So viel Blau steckt in Nehammers Wahlprogramm
In seit den Zeiten von Sebastian Kurz gewohnter Manier präsentierte die ÖVP auch die wichtigsten Punkte ihres aktuellen Wahlprogramms in den vergangenen Wochen bereits in kleinen Happen. Das gesamte Papier rückte man schließlich am Donnerstag heraus. Mit 270 Seiten ist es das umfangreichste aller Parteien. Ein „Angebot an die Mitte“ soll es sein, betont Bundeskanzler Karl Nehammer. Vieles daraus ist freilich schon aus dem „Österreich Plan“ bekannt, den er zu Jahresbeginn vorlegte.
In den vergangenen Tagen war viel die Rede davon, wie stark sich das FPÖ-Wirtschaftsprogramm an jenem der Türkisen orientiert - Stichwort Leistung, Senkung der Lohnnebenkosten, Nein zu neuen Steuern oder zu einer Arbeitszeit-Verkürzung.
Gemessen an der Vehemenz, mit der die ÖVP in diesem Wahlkampf gegen die FPÖ und Parteichef Herbert Kickl ins Felde zieht, finden sich aber auch umgekehrt im ÖVP-Programm bemerkenswert viele Punkte, die eins zu eins aus dem FPÖ-Papier stammen könnten. Es geht dabei vor allem um Themen, die zuletzt immer wieder für besonders hitzige öffentliche Debatten sorgten. Ein paar Beispiele:
Verkehr: Die FPÖ beklagt sich in ihrem Programm darüber, dass „Schnellstraßen oder Autobahnen nicht gebaut oder gestoppt werden, was ein klarer Verstoß gegen einen bestehenden Auftrag des Bundesstraßengesetzes ist“. Gemeint ist das Vorgehen der grünen Klimaschutzministerin Leonore Gewessler gegen Projekte wie die Wiener Nordost-Umfahrung. Die ÖVP verspricht in ihrem Programm eine „robuste Verkehrsinfrastruktur, deshalb bauen wir neue Straßen und Verkehrswege dort, wo sie die Menschen brauchen“. Weiters will man aber auch die regionalen Flughäfen absichern. Wenn es um das von der EU geplante Aus für den Verbrennermotor geht, das beide Parteien vehement ablehnen, plädieren ÖVP und FPÖ wortident für eine „Technologieoffenheit“. Während die Türkisen unter anderem dem „grünen Verbrenner“ das Wort reden, setzen die Blauen ebenfalls auf „moderne Verbrennermotoren“.
Klima- und Umweltschutz: Beide Parteien lehnen den Green Deal der EU aufgrund von ökonomischen Bedenken ab. Während die ÖVP ihn zu einen „Wohlstandsdeal“ weiterentwickeln will, um dadurch Überregulierungen zu vermeiden und Verwaltungsprozesse zu vereinfachen, spricht sich die FPÖ überhaupt gegen „wohlstandszersetzende Öko-Planwirtschaft“ aus. Einer Meinung ist man sich jedenfalls bei einem wesentlich praxisnäheren Thema: Der Wolf bzw. der Schutz der Landwirtschaft vor ihm. Die ÖVP plädiert konkret für die Senkung des Schutzstatus des Raubtieres.
Kultur und Traditionen: Gegen die vermeintliche oder tatsächliche Streichung des Nikolofests – jedes Jahr ein spätherbstlicher Aufreger – machen sich ebenfalls beide Parteien stark. Die ÖVP will das „Abhalten unserer Fest- und Feiertage wie Nikolaus oder Weihnachten“ gar durch eine Festlegung im Schulunterrichtsgesetz absichern. Beide Parteien sind gegen das Gendern, die FPÖ allerdings mit weit größerer Inbrunst.
Migration: Groß sind die türkis-blauen Übereinstimmungen seit der Ära Kurz vor allem beim Thema Migration. Neben den diversen Verschärfungen im Asylwesen, die mittlerweile aber auch andere Parteien fordern, machen sich beide Parteien zum Beispiel für solche beim Erwerb der Staatsbürgerschaft stark. Die FPÖ fordert eine Reform nach dem Vorbild Liechtensteins und der Schweiz: „Die Anforderungen und Wartefristen sind deutlich anzuheben. Neben dem Einkommen müssen Staatsbürgerschaftswerber auch Vermögen nachweisen. Assimilation muss Leitprinzip jeder Einbürgerung werden.“ Auch die ÖVP beruft sich auf das Schweizer Vorbild. „Wir wollen im Staatsbürgerschaftsgesetz strengere Prüfungen und Standards verankern. Dies gilt insbesondere für höhere Anforderungen bei den Deutschkenntnissen.“
Wo sich FPÖ und ÖVP uneins sind
Die schärfsten türkis-blauen Gegensätze finden sich indes beim Thema Sicherheit, wie auch Nehammer am Donnerstag betont. Während die ÖVP hinter dem europäischen Luftabwehr-System Sky Shield steht, ist die FPÖ mit Verweis auf die Neutralität strikt dagegen.
Und dann wäre da noch die von der FPÖ abgelehnte geplante Chat-Überwachung von Terror-Verdächtigen. Ohne sie werde es kein Regierungsprogramm geben, bekräftigt der ÖVP-Chef.
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