Anders als ihre Vorgänger hat die aktuelle Regierung volle fünf Jahre durchgehalten. Nach der Polit-Sommerpause beginnt aber jetzt die heiße Phase des Wahlkampfs. Mit einer FPÖ im Umfrage-Hoch und Außenseitern mit realistischen Chancen. Der KURIER hat die Ausgangslage und mögliche Koalitionen nach der Wahl analysiert.
ÖVP: Kanzlerpartei im Sturzflug
Für die Volkspartei und ÖVP-Chef Karl Nehammer (51) wird am Wahltag aller Voraussicht nach ein dickes Minus aufscheinen. 2019 hatte Sebastian Kurz die ÖVP mit fulminanten 37,5 Prozent zur stimmenstärksten Partei gemacht. Derzeit liegen die Türkisen in Umfragen nur knapp über 23 Prozent.
Doch wie man aus den ÖVP-Ländern hört, muss Nehammer nur um seinen Chefposten fürchten, wenn ihn die SPÖ überholt und die ÖVP nur Platz 3 erreicht. Denn, wie die Koalitionsvarianten zeigen (siehe Kasten unten), besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die ÖVP, die seit 1987 fast ununterbrochen (bis auf die Expertenregierung Bierlein) regiert, auch nach dieser Wahl Teil der Regierung sein wird.
Offen bleibt, wie die Türkisen ihr Verhältnis zu den anderen Parteien definieren – derzeit wollen sie nicht mit FPÖ-Chef Herbert Kickl regieren. Auch die grüne Umweltministerin Leonore Gewessler ist für sie ein No-Go. Mit der Babler-SPÖ gibt es sowieso kaum inhaltliche Überschneidungen.
SPÖ: Kein Aufbruch in Sicht
Mehr als ein Jahr ist es her, dass der Traiskirchner Bürgermeister Andreas Babler (51) den roten Chefposten in einem dramatischen Duell mit Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil eroberte. Wirklich vom Fleck ist die SPÖ seitdem nicht gekommen. Bei der EU-Wahl im Juni fielen die Roten auf Platz drei zurück. Mehr droht laut aktuellen Umfragen auch im Herbst nicht herauszuschauen.
Wasser auf die Mühlen der parteiinternen Kritiker aus Länderorganisationen und Gewerkschaft, denen der explizit linke Kurs Bablers (Arbeitszeit-Verkürzung, Millionärssteuer) ohnehin von Anfang an suspekt war. Für die Nationalratswahl gilt für Babler Ähnliches wie für ÖVP-Chef Karl Nehmammer: Landet die SPÖ tatsächlich nur auf Platz drei, ist die Obmannschaft des hemdsärmeligen Bürgermeisters wohl auch schon wieder Geschichte. Das haben zuletzt erste Genossen bereits mehr oder weniger unumwunden angekündigt.
Kaum jemand hat vorhergesehen, dass sich die FPÖ nach dem Debakel von 2019 so rasch wieder erholen wird. Als ob es nie einen Ibiza-Skandal gegeben hätte, dürften die Blauen laut aktuellen Umfragen im Herbst erstmals Platz eins bei einer Nationalratswahl erobern. Brachialrhetoriker Herbert Kickl (56), seit 2021 FPÖ-Obmann, war es gelungen, aus den multiplen Krisen (Corona-Pandemie, Ukrainekrieg, Teuerung) Profit zu schlagen.
Somit sind vorerst auch die parteiinternen Kritiker verstummt, die weiter lieber den gemäßigteren Norbert Hofer oder einen anderen Blauen an der Spitze der Partei gesehen hätten. Abseits der üblichen Ausritte gegen Migranten geht Kickl in diesem Wahlkampf vor allem auf die ÖVP los. Mit einem für die selbst ernannte „soziale Heimatpartei“ ungewohnt wirtschaftsliberalen Kurs will er von den Türkisen Wähler zurückgewinnen. Dass Kickl trotz möglichem Platz eins Kanzler wird, ist allerdings ungewiss. Die Lust von ÖVP und SPÖ, mit ihm zu koalieren, ist überschaubar.
Grüne: Sie wollen weiterregieren
Die Grünen haben ihre erste Regierungsperiode bald hinter sich. Ob direkt darauf eine zweite folgen wird, ist zumindest fraglich. In einer möglichen Dreiervariante mit ÖVP und SPÖ müssten sie sich wieder mit der Volkspartei zusammenraufen. Dafür spricht, dass dem pragmatischen Parteichef Werner Kogler (62) ein gutes Verhältnis zu Kanzler Karl Nehammer nachgesagt wird und die Grünen zudem mit der SPÖ wirtschaftspolitisch mehr gemein haben als die Neos – etwa bei Vermögenssteuern.
Gleichzeitig offenbarten sich zuletzt tiefe Gräben zur ÖVP – vor allem wegen der Zustimmung von Klimaschutzministerin Lenore Gewessler zur EU-Renaturierungsverordnung. In den Umfragen liegen die Grünen laut APA-Wahltrend mit 8,5 Prozent knapp hinter den Neos auf Platz fünf. Die Pinken wären der große Konkurrent im Kampf um den freien Platz in einer Dreierkoalition. In der Bevölkerung hatte die Variante mit den Grünen laut APA-OGM-Umfrage Ende Juni leicht höhere Zustimmungswerte
Nach Platz fünf bei der EU-Wahl war bei den Neos kollektives Aufatmen zu vernehmen. Mit knapp über zehn Prozent erreichten die Liberalen ihr bisher bestes Ergebnis bei einer bundesweiten Wahl. Und das, nachdem sie bei den vorhergehenden Wahlgängen auf Landes- und Gemeindeebene Niederlage um Niederlage einfuhren.
Mit Blick auf die Umfragen ist ein ähnliches Abschneiden bei der Nationalratswahl realistisch. Parteichefin Beate Meinl-Reisinger (46) liegt bei rund 9,8 Prozent – und könnte die Grünen überholen. Die Vorsitzende hat bereits mehrmals betont, zwölf Jahre nach der Parteigründung endlich auf Bundesebene mitregieren zu wollen. Realistisch wäre das wohl nur in einer Dreier-Variante mit ÖVP und SPÖ.
Was spricht für die Neos als „Beiwagerl“? Die Regierungsarbeit mit der einflussreichen Landes-SPÖ in Wien funktioniert weitestgehend friktionsfrei. Mit der ÖVP gäbe es wiederum wirtschaftspolitisch deutlich mehr Überschneidungen als mit den Grünen.
KPÖ: Luchst Babler Stimmen ab
In Graz stellen die Kommunisten bereits die Bürgermeisterin, in Salzburg den Vizebürgermeister. Kann Spitzenkandidat Tobias Schweiger (34) mit dem Rückenwind aus den Städten die Vier-Prozent-Hürde überspringen? Laut den Umfragen ist das nicht unmöglich, aber auch nicht sonderlich wahrscheinlich. Da liegen die Dunkelroten knapp unter drei Prozent. Inhaltlich gibt es viele Überschneidungen mit der SPÖ, der Schweiger wichtige Stimmen im Kampf um Platz zwei kosten könnte.
Bierpartei: Wenig Einsatz, viel Ertrag?
Er macht sich rar. Einen ZiB2-Auftritt sagte Dominik Wlazny (37) zuletzt ab, beim Sommergespräch auf Puls24 blieb er inhaltlich blass. Der Musiker und Mediziner ist nach wie vor nicht wirklich in den Wahlkampf eingestiegen, ein konkretes Programm fehlt. Er fordert dafür eine „Entpolitisierung der Politik“. Kann das für den Einzug ins Parlament reichen? Umfragen weisen die Bierpartei stabil über vier Prozent aus. Offensichtlich sehnen sich genügend Wähler nach einem „Anti-Politiker“.
Die ehemalige Grünen-Politikerin Madeleine Petrovic (68) ist aus ihrer Ex-Partei mittlerweile ausgetreten. Nach ihrer harten Kritik an den Corona-Maßnahmen und der -Impfung hat sie eine eigene Liste gegründet. Petrovic stellt die Auswirkungen von auf den Klimawandel infrage, fordert „ernsthafte“ Friedensverhandlungen mit Russland und kann sich eine Zusammenarbeit mit der FPÖ vorstellen. Sie könnte die Blauen einige Stimmen kosten, ein Einzug ins Parlament ist aber unwahrscheinlich.
Wandel: Wer keine von denen möchte
Auf dem Stimmzettel wird die Kleinpartei „Wandel“ bundesweit als „Keine von denen“ stehen. Ob mit diesem Trick ein besseres Ergebnis als 2019 (0,5 %) gelingt, bleibt abzuwarten. Parteichef und Menschenrechtsaktivist Fayad Mulla (43) will die Arbeitszeit auf 35 Wochenstunden verkürzen, eine Grundsicherung von 1.650 Euro netto, 2.750 Euro netto Mindestlohn und Vermögensteuern ab 500.000 Euro einführen. Mehr noch: Er fordert eine „Reichtumsobergrenze“ von zehn Millionen je Haushalt.
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