Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) sieht Europa an einem Wendepunkt. Sie plädiert dafür, Integrationsunwillige rigide zu bestrafen.
KURIER: Wie erklären Sie sich und der nächsten Generation wie Ihren Töchtern, woher der Antisemitismus rührt, warum Juden in Österreich 78 Jahre nach Kriegsbeginn Angst haben müssen?
Johanna Mikl-Leitner: Meinen Töchtern ist das schon sehr bewusst. Für die beiden ist es aber genauso unbegreiflich, wie für die meisten Menschen, wie ein barbarischer Terror-Anschlag auf Juden umgekehrt eine neue Welle des Antisemitismus auslösen kann. Das muss für uns alle jedenfalls ein Weckruf sein. Es kann nicht sein, dass sich bei uns Gegengesellschaften entwickeln. Genau aus diesem Grund haben wir die Initiative „Null Toleranz“ ins Leben gerufen.
Ihr Stellvertreter, FPÖ-Chef Udo Landbauer, gehört einer Burschenschaft an, die wegen eines Liederbuchs in die Schlagzeilen geriet, in dem in einem Lied von „der siebten Million“ die Rede war, der Vernichtung von Juden …
… gegen Antisemitismus – egal von welcher Seite – ist vorzugehen. Dabei darf man auf keinem Auge blind sein. Und der Antisemitismusbericht legt eben offen, dass sich unter Zuwanderern aus muslimischen Ländern besonders viele Holocaust-Verharmloser und Antisemiten finden. .
Sie verlangen von Muslimen sich von Antisemitismus zu distanzieren, sagen, „wir dürfen Intolerante nicht tolerieren“. Sie unterstellen damit, dass Muslime antisemitisch sind, sagen Ihre Kritiker. Was kontern Sie?
Ich erwarte von allen Religionsgemeinschaften, dass sie sich von Gewalt, Terror und Antisemitismus distanzieren. Und, ja, auch von Muslimen erwarte ich, dass sie in Moscheen Überzeugungsarbeit für unsere westlichen Werte, wie die Gleichberechtigung von Mann und Frau und gegen Gewalt, Terror und Antisemitismus leisten. Auch in Schulen erwarte ich eine derartige Haltung im Rahmen des islamischen Religionsunterrichts.
Haben Ihnen die Distanzierungen der islamischen Gemeinschaft nicht gereicht?
Distanzierung ist das eine, überzeugende Maßnahmen zu setzen, das andere. Integration ist auch eine Bringschuld der Zuwanderer.Wir brauchen mehr aktives Engagement von Muslimen für eine bessere Integration. Die antisemitischen Parolen auf den Demos der letzten Wochen akzeptieren wir nicht.
Was verstehen Sie unter „klare Maßnahmen“?
Wir müssen in den Schulen beginnen, denn wir merken, dass dort die Radikalisierung zunimmt. Wir können nicht dulden, dass es Mitschüler gibt, die sich als Sittenwächter aufspielen, wenn Mädchen im Turnunterricht ihr Kopftuch abnehmen wollen. Darum müssen wir die Eltern solcher integrationsunwilliger Familien mit Geldstrafen in die Pflicht nehmen.
Ihnen schweben strengere Regeln und schärfere Sanktionen vor?
In der Schule – als Ort der Wissensvermittlung – werden auch Regeln des Miteinanders gelehrt und gelernt, wird Integration gelebt. Wenn man die ausgestreckte Hand aber nicht annimmt, muss es Sanktionen geben. Wir brauchen eine neue Interpretation der „Mitwirkungspflicht der Eltern“ und eine verpflichtende Kooperation zwischen Lehrern, Eltern und Schülern.
Sie wollen Eltern zur Kasse bitten, wenn sich Kinder nicht an die Regeln halten?
Wer sich nicht an Werte und Regeln hält, kein Anti-Gewalt-Training oder psychologische Beratung in Anspruch nimmt, obwohl sie angeboten wird, der muss mit Strafen rechnen. Ohne Strafen wird das nichts.
Also keine Freiwilligkeit?
Es braucht eine verpflichtende Kooperation. Wenn Väter aus anderen Herkunftsländern bewusst nicht zum Elternsprechtag gehen, weil sie nicht mit einer Lehrerin sprechen …Das darf es bei uns nicht geben.
Wie hoch sollen die Strafen bei Nicht-Einhaltung ausfallen?
Derzeit belaufen sich die Strafen auf höchstens 440 Euro. Wir sollten sie auf 500 bis 2.500 Euro anheben.
Was wollen Sie gegen Menschen tun, die eine österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, sich antisemitisch äußern oder der Wiederbetätigung schuldig machen?
Wer wegen Verhetzung oder wegen dem Verbotsgesetz verurteilt wurde, dem soll die Staatsbürgerschaft entzogen werden können. Für Doppelstaatsbürger könnte man das gesetzlich regeln. Ich halte das für angemessen.
Kriege, Klimawandel: Die illegale Migration wird künftig eher mehr. Muss man das Asylrecht auf EU-Ebene verschärfen?
Eine selbstbewusste EU braucht vor allem einen sicheren Grenzschutz. Und: Selbstverständlich braucht es auch eine Verschärfung des Asylrechts. Dazu zählt, dass Asylverfahren in Drittstaaten vorgenommen werden können. Das sind mittlerweile 20 verlorene Jahre, die wir über derartige Initiativen diskutieren. Das sollte jetzt endlich umgesetzt werden.
Inwiefern 20 Jahre?
Ich habe als Innenministerin 2014 EU-Asylauffanglager in Nordafrika eingefordert. Und vor mir hat das schon 2004 Otto Schily, damals deutscher Innenminister (SPD; Anm.), gefordert. Wir sind leider beide am Widerstand anderer Staaten gescheitert.
Ich denke, alle EU-Mitgliedstaaten sind an einem Wendepunkt. Selbst der Ampelkoalition in Deutschland ist bewusst, dass sie das nicht mehr schaffen. Die Deutschen sehen das Resultat in ihren Städten, wie in Essen, wo Islamisten für das Kalifat und die Scharia demonstrieren.
Braucht der Staat mehr rechtliche Möglichkeiten, um zu wissen, was innerhalb der Moscheen gepredigt wird?
Das will ich nicht ausschließen. Fakt ist, dass Radikalisierung in manchen Moscheen stattfindet, aber vor allem auch im Web. Das ist die größte Gefahr.
Werden Sie, nach dem Vorarlberger Vorbild, auch einen Niederösterreich-Kodex umsetzen?
Alles, was einer besseren Integration hilft, ist zu unterstützen. Wir werden uns jeden einzelnen Vorschlag sehr genau anschauen.
Können Sie drei Werte nennen, zu denen jeder stehen muss?
Zu unseren demokratischen, westlichen Werten, zu unserer Verfassung und zum Existenzrecht des Staates Israel: Das sind drei zentrale Punkte, die ich von jedem neuen Mitglied unserer Gemeinschaft erwarte. Deshalb setze ich mich auch für verpflichtende Kurse für die Staatsbürgerschaftsprüfung ein, denn die Staatsbürgerschaft ist der letzte Schritt zur Integration.
Beim Vorarlberger Kodex sollen Asylwerber zu gemeinnütziger Arbeit verpflichtet werden. Wäre es nicht klüger, gleich den Arbeitsmarkt für Asylwerber zu öffnen?
Absolut nicht. Wir brauchen eine klare Trennung. Es gibt das Asylrecht und es gibt die qualifizierte Zuwanderung für unsere Wirtschaft, um unseren Wohlstand zu erhalten. Da geht es aber um jene, die wir wirklich am Arbeitsmarkt brauchen und die wir uns aussuchen.
Asylwerber sind bereits da und kosten ohnehin Geld. Wenn sie eine passende Qualifikation haben: Was spricht dagegen, sie einzusetzen?
Hier gibt es mit mir kein Aufweichen. Eine Zuwanderung zum Arbeitsmarkt über das Asylrecht ist ein No-Go. Das ist nur ein Magnet für noch mehr Migration.
Die ÖVP will Anreize zum Arbeiten im Alter schaffen. Wann gehen Sie in Pension?
Ich bin mitten im Leben! (lacht) Also noch lange nicht.
Die Europa-Partei ÖVP hat noch immer keinen Kandidaten für die EU-Wahl gefunden. Was sagt das über die Verfasstheit Ihrer Partei aus?
Wir haben keinen Zeitdruck und eine sehr gute Auswahl. Da muss ich nur an meine Kandidaten in Niederösterreich, wie Lukas Mandl oder Alexander Bernhuber, denken. Ich halte die Europawahl für eine entscheidende. Wir brauchen eine Kursänderung, Europa muss sich wieder auf seine Kernaufgaben konzentrieren: Friede, Freiheit und Wettbewerbsfähigkeit. Das sage ich als glühende Europäerin.
Mich hat das zusehends geärgert, dass die Links- und Rechtsextremen immer lauter werden und sich die breite Mitte der Gesellschaft immer weniger gehört fühlt. Deshalb war es mir wichtig, dieser breiten Mitte eine Stimme zu geben. Die normalen Bürgerinnen und Bürgern im Gegensatz zu den Radikalen und Extremen. Ich gebe das weiter, was ich bei meinen Landsleute spüre. Wir müssen die Themen bearbeiten, die den Menschen wirklich wichtig sind: Leistbares Leben, Eigentum, Gesundheitsversorgung und eben nicht ein Genderstern oder rücksichtslose Klimakleberei.
Im Sommer haben Sie Druck gemacht, dass weitere Unternehmenshilfen ausbezahlt werden. Deutschland verbilligt seinen Betrieben mit einer Strombeihilfe jetzt wieder die Energie. Soll Österreich nachziehen?
Das gilt es in den nächsten Monaten genau zu bewerten. Klar ist, dass unsere Wettbewerbsfähigkeit nicht hinter die der Deutschen zurückfallen darf.
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