Meinl-Reisinger: "Das ist kein Match Blümel gegen Opposition"
Die Neos-Chefin über ihren Brief an U-Ausschuss-Vorsitzenden Sobotka, Femizide, chauvinistische Kultur und welcher Politiker sich wie ein trotziges, kleines Kind verhält.
KURIER: Elf Frauen wurden seit Jahresbeginn von Männern ermordet. Sind die Femizide den Lockdowns und, oder Versäumnissen der Politik geschuldet?
Beate Meinl-Reisinger: Ja und nein. Dass Konflikte eskalieren können, wenn man wie im Lockdown lange auf engem Raum zusammenlebt, ist evident. Ich glaube, dass in Österreich – im internationalen Vergleich – eine patriarchale, chauvinistische Kultur vorherrscht. Und ja, die Politik hat vieles versäumt. Warum es Frauen in der Krise so geht, das ist nicht allein der Pandemie geschuldet.
Sondern?
Das ist das Resultat einer Jahrzehnte andauernden konservativen Politik. Es geht ja auch in der Familien- und Frauenpolitik nichts weiter. Familienministerin Susanne Raab hat mit Professor Wolfgang Mazal zuletzt den Familienbericht präsentiert. Mazal kam zum Schluss, dass bei der Väterbeteiligung für die Politik das Ende der Fahnenstangen erreicht sei. Das ist unfassbar.
Was setzen Sie dem entgegen?
Das ist eine Selbstaufgabe der Politik! Ich kenne ÖVP-Familienministerinnen, die mehr Ambitionen hatten. Ich weiß, wir können deutlich mehr machen – wie ein Blick nach Skandinavien zeigt. Für die aktuelle Regierung muss ich sagen: Es ist ihr kein Anliegen, etwas zu tun, denn es gibt keinen steuerlichen Anreiz, Eltern und erwerbstätig zu sein. Ein Beispiel: Beim Familienbonus ist die steuerliche Absetzbarkeit der Kinderbetreuung weggefallen.
Man muss die Kinderbetreuung in einen viel breiteren Kontext stellen. Wenn wir von Frauenpolitik sprechen, sprechen wir immer auch von Männerpolitik. Wir können Anreize schaffen und Rollenbilder durchbrechen, um Männern das Selbstbewusstsein zu vermitteln, zu ihren Arbeitgebern zu gehen, um Karenz zu beantragen. Je mehr Väter das tun, desto weniger sind sie mit sozialer Ächtung und Karriereknicks konfrontiert. Beides passiert leider immer noch.
Ich spreche von Neustart, weil wir in der Krise gesehen haben, was alles nicht funktioniert. Zu Beginn waren die Förderungen extrem bürokratisch. Ich hatte den Eindruck, man unterstellt jedem Unternehmer, er sei prinzipiell ein Betrüger. Im Herbst war von Überförderung die Rede. Jetzt ist der Zeitpunkt, darüber nachzudenken, wie lange wir bestehende Strukturen konservieren. Die Politik darf nicht zurück zum Alten, sondern muss Neues entstehen lassen.
Was verstehen Sie unter "Neues“?
Förderungen, die nicht konservieren, sondern Innovation ermöglichen. Wir leben von der Innovationskraft der Menschen, denn wir haben in Österreich keine Bodenschätze wie Erdöl oder ausgeprägte Industriezweige. Wir müssen Restrukturierungen unterstützen, also sanieren statt schließen. Unser Vorbild ist das amerikanische Chapter 11. Wir müssen jenen, die jetzt scheitern werden, aber ohne Corona nicht gescheitert wären, eine zweite Chance geben. Dafür müssen wir an großen Schrauben drehen statt an Schräubchen.
Eine richtige Liberalisierung der Gewerbeordnung oder ein radikaler Schnitt bei den Lohnnebenkosten. Das alles muss eingebettet sein in eine Steuerreform. Dass der Faktor Arbeit zu hoch besteuert ist, das höre ich, seit ich politisch denken kann, doch die Regierung tut nichts. Auch in der Bildung müssen wir jetzt handeln.
Sie plädieren beispielsweise für Finanzbildung – als eigenes Schulfach?
Das wäre eine plakative Lösung. Geografie und Wirtschaftskunde sind historisch zusammengewachsen, doch es wäre ein erster Schritt, das Finanz- und Wirtschaftswissen aus der Geografenhand zu befreien, externe Experten in Schulen einzuladen und Gamification (Anwendung von Spielprinzipien, Anm.)zu nutzen.
2022 soll die ökosoziale Steuerreform kommen. Neos haben seit 2019 Vorschläge dazu in Ihrem Programm. Gibt es Schnittmengen zwischen türkis-grün und pink?
Oh ja, es gibt viele Dinge, die wir gut finden. Ohne eine wirkliche Steuerreform wird es aber keinen effektiven Kampf gegen den Klimawandel geben. Der Wandel kann viele soziale Verwerfungen in sich bergen, wenn man nicht gleichzeitig eine Steuer-Strukturreform durchführt. Wir haben das einzige Modell, das tatsächlich durchgerechnet ist und eine schrittweise CO2-Bepreisung vorsieht bei gleichzeitiger Senkung der Lohn- und Einkommenssteuer.
Wie hier agiert wird, das ist eine Respektlosigkeit dem VfGH und dem Parlament gegenüber, dessen Aufgabe es ist, die politische Verantwortung zu klären. Es ist kein Match Blümel gegen Opposition. Es ist verfassungsgemäßes Recht und Pflicht des Parlaments. So, wie der U-Ausschuss vom Vorsitzenden abwärts behandelt wurde, verstehe ich, dass sich die Menschen abwenden. Man hat von Anfang an den U-Ausschuss diskreditiert, diffamiert und delegitimiert.
Ist Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka in seiner Rolle als U-Ausschuss-Vorsitzender befangen?
Allein der Anschein der Befangenheit bringt es aus Respekt vor der Institution mit sich, dass man sagt: „Ich kann es nicht machen.“ Das hat nichts mit einem Schuldeingeständnis zu tun. Ich habe Sobotka deshalb auch einen Brief geschrieben. Ich habe ÖVP-Nationalratspräsident Karlheinz Kopf erlebt – als jemanden, der fair war und alle Fraktionen im Parlament vertreten hat. Das erlebe ich bei Wolfgang Sobotka nicht.
Mindert oder stärkt der U-Ausschuss das Vertrauen in die Politik?
Das Ziel des U-Ausschusses ist es, eine bessere politische Kultur zu schaffen. Daher muss ich mit der bestehenden erst einmal aufräumen. Es geht um Parteienfinanzierung, Postenschacher und Korruption - wenn auch nicht im strafrechtlichen Sinne. Es geht um das Ausnutzen der eigenen Position, um sich oder anderen einen Vorteil zu verschaffen. Und dabei ist es ist mir herzlich wurscht, ob dass die Roten auch schon so gemacht haben. Korruption ist Korruption.
Apropos politische Kultur. Sie sitzen im Parlament in einer Reihe mit FPÖ-Klubchef Herbert Kickl, der keine FFP2-Maske trägt. Soll er dafür Strafe zahlen?
Nein, weil es derzeit keine Grundlage für eine Strafe gibt. Für mich sind die FPÖler, die die Maske verweigern, wie kleine, trotzige Kinder, die „Nein, nein, nein“ sagen. Es gibt die Möglichkeit, Ordnungsgelder einzuführen, doch da es diese noch in keinem Bereich gibt, müssen wir das breiter diskutieren. Das Verfassungsgesetz deshalb zu ändern, käme für mich einem Missbrauch des Verfassungsgesetzes gleich.
Ja, sobald es möglich ist. Ich bin eine Anhängerin der Aufklärung und der Wissenschaft und war immer schon eine Impfbefürworterin.
Das Neue Österreich (Neos) wird im Oktober 2012 gegründet, erreicht bei der Nationalratswahl 2013 erstmals den Einzug in den Nationalrat und fusioniert 2014 mit dem Liberalen Forum. Bei der Nationalratswahl 2019 erreichen Neos 8,10 Prozent. Derzeit sind Neos in 6 Landtagen (mit Ausnahme von Oberösterreich, dem Burgenland und Kärnten) vertreten.
In Wien und Salzburg sind die Pinken Teil der Landesregierung. Die Juristin Beate Meinl-Reisinger übernahm 2018 den Parteivorsitz von Matthias Strolz.
Die Neos sind in 6 von 9 Landtagen vertreten. Werden Sie im September den Einzug in den 7. Landtag in Oberösterreich schaffen?
Wir werden den Einzug schaffen. Ich bin sehr stolz auf das, was wir und auch ich in den letzten Jahren geschafft haben: Auf Anhieb in einen Landtag einzuziehen und mitzugestalten - wie in Salzburg mit der ÖVP, in Wien beim zweiten Antritt mit der SPÖ. Wir zeigen damit, dass wir verbinden und nicht polarisieren, in der Mitte stehen und die Hand nach links und rechts ausstrecken können.
Woran denken Sie beim 9. Mai?
Politisch denke ich an den Europatag, den Muttertag blende ich immer ein bisschen aus, wiewohl ich mich sehr auf Zeit mit meinen Kindern und meinem Mann freue.
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