KURIER: An den Schulen ist schon Notenschluss. Welche Note würden Sie sich geben?
Martin Polaschek: Ich komme ja von der Universität, und da ist klar, dass man sich nicht selbst benotet.
Welche Reformen muss die kommende Bundesregierung im Bildungsbereich sofort angehen?
Eine Reform der VWA, der vorwissenschaftlichen Arbeiten in den Schulen, ist unbedingt notwendig sowie weitere Schritte in Richtung Digitalisierung. Etwa eine Fortsetzung der 100 Pilot-Schulen mit einem KI-Schwerpunkt, also zur Künstlichen Intelligenz.
Ihr Ansinnen ist, die verpflichtende VWA abzuschaffen – freiwillig soll sie weiter möglich sein. Was löst das in der Frage des Schummelns mit KI-Programmen?
Bei meinen zahlreichen Gesprächen mit Pädagoginnen und Pädagogen war ein großer Wunsch zu erkennen, die VWA nicht mehr verpflichtend zu machen. Zudem haben wir durch die Künstliche Intelligenz noch mehr einen dringenden Handlungsbedarf gesehen. Deshalb soll die Wahlfreiheit kommen. Eines ist klar: Die jungen Leute müssen auch in Zukunft eine Eigenleistung erbringen.
Und wie sollen Schulen, Lehrer wie Schüler, mit KI umgehen?
Wir haben bereits vor eineinhalb Jahren den Schulen Handlungsempfehlungen übermittelt. Wir haben eine Expertengruppe im Ministerium eingerichtet, die sich damit auseinandergesetzt hat. Da müssen wir für mehr Problembewusstsein sorgen. Zudem haben wir das Fach "Digitale Grundbildung" eingeführt. Wir müssen auch die Chancen der KI nutzen und den jungen Leuten vermitteln, wie man damit am Besten umgehen soll. Aber es muss auch klar sein: Schummeln geht nicht, und Missbrauch von KI genau so wenig.
Die Mittlere Reife für die 15-Jährigen war im Regierungsprogramm, da geht es um ein qualitätsgesichertes Erreichen der nötigen Grundkompetenzen in Mathematik, Deutsch und Englisch. Warum wurde das nicht umgesetzt?
Es gab intensive Gespräche auch mit dem Koalitionspartner, aber es gab leider keine Einigung, da es sehr unterschiedliche Zugänge zu dem Thema gab. Dennoch halte ich es für enorm wichtig, dass alle, die das Bildungssystem verlassen, die nötigen Grundkompetenzen beherrschen.
Auch die Industriellenvereinigung sagt, die geringe Zahl an guten Bewerbungen sei die größte Herausforderung für ausbildende Betriebe. Die Jugendlichen können schlecht rechnen, 40 Prozent haben schlechte Deutschkenntnisse. Wie kann das nach 9 Jahren Schule sein?
Genau deshalb habe ich in diesem Schuljahr den Schwerpunkt „Lesen“ ausgerufen, weil wir gesehen haben, dass viele junge Leute nicht in der Lage sind, sinnerfassend zu lesen. Und wir haben die Grundkompetenzen in den Lehrinhalten ausgebaut. Niemand darf das Schulsystem verlassen, ohne lesen, schreiben und rechnen zu können.
Die Lehrpläne ändern daran aber scheinbar nichts.
Doch! Die Lehrpläne geben jetzt klar vor, dass es eben nicht ausreicht, dass ein Text als einmal gelesen wird, sondern ein gutes Leseniveau erreicht werden muss.
Themenwechsel: Der Familienzuzug von Migranten insbesondere in die Bundeshauptstadt wird zum Problem in den Schulen. In Wien müssen Containerklassen gebaut werden, fehlt das entsprechende Lehrpersonal. Wurden Sie als Bildungsminister von ihren ÖVP-Ministerkollegen Schallenberg und Karner gewarnt, dass das zu einem Problem werden könnte?
Das, was wir an Informationen hatten, haben wir selbstverständlich an die Stadt Wien weitergegeben. Wir waren jedenfalls seit Herbst im regelmäßigen Austausch mit dem Schulerhalter – also der Stadt Wien. Die Verantwortung liegt in Wien. Ich habe Neos-Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr am Rande von Veranstaltungen auch immer wieder darauf angesprochen, ob wir die Stadt noch mehr unterstützen können. Wien hat uns aber keine Platzmängel gemeldet und ist mit keiner Bitte an uns herangetreten. Was wir getan haben: die Möglichkeit von noch mehr Deutschförderklassen geschaffen.
Lässt sich Ihre Hilfestellung für Wien bis dato beziffern in Euros, Lehrpersonal?
Wir arbeiten derzeit intensiv an vielen Möglichkeiten! Ich kann Ihnen versichern, dass wir uns bewusst sind, dass wir in Wien noch mehr tätig werden müssen, aber Genaues kann ich Ihnen noch nicht sagen. Was wir für ganz Österreich wissen: Es sind 7.000 Lehrerinnen- und Lehrer-Stellen zu besetzen. Entsprechend der Bedarfsmeldungen werden wir dann weiter agieren.
Klafft beim Bedarf eine Lücke oder wird diese durch die Quereinsteiger-Programme gefüllt?
Die 7.000 offenen Lehrerinnen und Lehrer Stellen umfassen Voll- und Teilzeitkräfte. Derzeit haben wir 12.000 Bewerberinnen und Bewerber. Wie in den letzten Jahren werden wir alle Schulstunden abhalten können. Die Kampagne „Klasse Job“ wird besonders gut angenommen.
Das heißt in Zahlen ausgedrückt?
Alle Quereinsteiger, die Lehrer werden wollen, müssen ein besonders strenges Auswahlverfahren durchlaufen. Fast 3.300 Menschen haben dieses Qualifizierungsverfahren bereits durchlaufen, über 30 Prozent der Bewerber haben es nicht geschafft. 7.000 Personen haben das Qualifizierungsverfahren in Summe angestrebt oder schon durchlaufen. Dazu kommt, dass wir im vergangenen Studienjahr ein Plus von 17 Prozent bei Lehramtsstudenten – in Summe 950 – verzeichnet haben.
Sie haben so vieles evaluiert – warum nicht die Mittelschule?
Ich erinnere an die Herausforderungen der Pandemie, der ukrainischen Schüler, des Familiennachzugs. Wichtig ist, dass wir herausfinden, was Schule im 21. Jahrhundert leisten muss.
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