Leonore Gewesslers Gegenspieler und Baustellen
„Die Emissionen in Österreich sinken, grüne Klimaschutzpolitik wirkt“: Es sind Sätze wie diese, die bei keinem öffentlichen Auftritt von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) fehlen dürfen. Genauso wie mantrahafte Aufzählungen ihrer Leistungsbilanz: Klimaticket, CO2-Bepreisung, Wärmepaket, et cetera. Wirkt grüne Politik wirklich? Nun, Gewessler zu widersprechen, ist gegen Ende vorletzter Woche etwas schwieriger geworden.
Zwar handelt es sich nur um vorläufige Zahlen, doch 2023 war laut Umweltbundesamt das zweite Jahr in Folge, in dem Österreichs klimaschädliche Emissionen deutlich gesunken sind. Umgerechnet in CO2, hat Österreich im Vorjahr 69 Millionen Tonnen ausgestoßen. Das ist der niedrigste Wert seit Beginn der Aufzeichnungen 1990.
Wermutstropfen: Anteil an diesem Teilerfolg hat die Industrie. Sie schwächelt und verbraucht weniger Energie. Und: Auch der Klimawandel ermöglicht CO2-Sparen. Aufgrund der wärmeren Winter sinkt die Zahl der Heiztage.
Kampf gegen die Realität
Gewessler sieht Österreich dennoch „auf Kurs“. Die Bundesregierung hatte sich ja auf das ambitionierte Ziel geeinigt, Österreich bis 2040 klimaneutral zu machen. Im Green Deal der EU ist diese Vorgabe erst für 2050 verankert. Wie genau Österreich dieses Ziel erreichen will, ist nach wie vor unklar. Verbindliche CO2-Sparvorgaben – etwa für den Verkehrssektor – fehlen. Die sollten im Klimaschutzgesetz (KSG) geregelt werden, das am 31. Dezember 2020 ausgelaufen ist. Eine Einigung fehlt nach wie vor.
Auch abseits davon gilt: Wohl kein Ministerium hat noch so viele Gesetzesvorhaben in der Schublade wie Gewesslers. Da wären die fixen oder realistischen: Ökostromausbau, Netzinfrastrukturplan, Elektrizitätswirtschaftsgesetz. Die unrealistischen: Klimaschutzgesetz, Verpflichtung zum Ausstieg aus russischem Gas. Und die gescheiterten, wie die Bodenschutzstrategie.
Dass die ehemalige Geschäftsführerin von Global 2000 selbst bei den gescheiterten Vorhaben nicht aufgeben will, hat mehrere Gründe. Ein ganz zentraler: Ihr läuft die Zeit davon. In Umfragen liegen die Grünen meist auf dem vierten Platz, gleichauf mit den Neos, knapp vor der Bierpartei – unter zehn Prozent. Dass sie noch einmal ein Superressort mit Klima-, Energie- und Infrastrukturthemen bekommen, darf bezweifelt werden.
Nach ihren Verhandlungsfortschritten gefragt, spricht Gewessler gerne vom „Bohren harter Bretter“. In letzter Zeit stößt sie dabei etwas häufiger auf politische Granitblöcke: Bundesländer, Gemeinden, ÖVP, SPÖ. Wo wird Gewessler blockiert, wen blockiert sie selbst? Das sind ihre zentralen Gegenspieler in den letzten Monaten von Türkis-Grün:
Ulli Sima: Will Verkehr fotografieren
Wiens Mobilitätsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) wünscht sich weniger Verkehr im ersten Bezirk. Das soll so geregelt werden: In die Wiener City dürfen nur noch Bewohner, anderweitig Berechtigte oder Menschen ihr Auto lenken, die in einer Garage parken. Um die Zahl der Vehikel gering zu halten, definiert die Stadt Zufahrtslimits. Überwachen will sie das mit Kameras. Diese sollen Autokennzeichen fotografisch festhalten.
Das Problem: Um das zu ermöglichen, müsste Gewessler die Straßenverkehrsordnung (StVO) überarbeiten. Bei ihrem aktuellen Entwurf sollen die Kameras aus datenschutzrechtlichen Gründen bei Demos oder Events verhängt werden. Aus Simas Sicht ist das nicht praktikabel.
Ist eine Lösung in Sicht? Eine passende Novelle der StVO fehle nach wie vor, heißt es aus Simas Büro zum KURIER. Mittlerweile unterstützen übrigens weitere Kommunen und auch der Städtebund Simas Kamera-Lösung.
Johanna Mikl-Leitner: Machtwort beim Wolf
In Klima- und Energiegesetzen stieß Gewessler auch deshalb öfter an Grenzen, weil die Bundesländer weitreichende Kompetenzen haben. Vorsitzende der Landeshauptleutekonferenz ist derzeit NÖ-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP).
Zwei aktuelle Beispiele sind das Renaturierungsgesetz und der Schutzstatus des Wolfes. In beiden Fällen muss Gewessler auf EU-Ebene dem Willen der Länder Folge leisten – und ihren eigenen hintanstellen. Bei der Renaturierung geht es darum, beispielsweise Wälder, Flüsse oder Moore mit einheitlichen Vorgaben wieder in einen naturnahen Zustand zu bringen.
Ungewöhnlich: Das Gesetz fand keine Mehrheit im EU-Rat, obwohl sich sämtliche europäische Gremien bereits darauf geeinigt hatten. Gegen ihre Interessen müsste Gewessler auch beim Schutzstatus des Wolfes abstimmen. Wie die EU-Kommission wollen die Bundesländer diesen nämlich senken.
Norbert Totschnig: Bauern statt Wald
Die Medienpräsenz von ÖVP-Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig hat klar zugenommen. Der Minister nutzte die europaweiten Bauernproteste, um überbordende Bürokratie in Brüssel zu kritisieren, die Österreichs Landwirte gefährde. Und hier gibt es gleich mehrere Spannungsfelder mit Gewessler. Jüngstes Beispiel: die Entwaldungsverordnung der EU.
Sie tritt mit Jahresende in Kraft und soll garantieren, dass der Handel mit holzbasierten Produkten in der EU nicht die weltweiten Waldbestände gefährdet. Nun ist Österreichs Waldfläche – im Gegensatz zum Amazonas – in den vergangenen 50 Jahren um 330.000 Hektar gewachsen. Totschnig kann nicht nachvollziehen, dass österreichische Kleinbauern dennoch nachweisen müssen, dass ihre Rinder nicht auf gerodeten Flächen weiden. Er will die Verordnung kippen.
Gewessler hat indes die EU-Kommission per Brief gebeten, an ihrem Waldschutz-Pfad festzuhalten.
Magnus Brunner: Straßenbau forcieren
Magnus Brunner (ÖVP) kennt Gewessler und ihr Ressort bestens. Bevor er Ende 2021 Finanzminister wurde, dirigierte er dort als Staatssekretär die Luft- und Schifffahrt. Seitdem ringen die beiden häufig um Kompromisse und erzielen oft genug pragmatische Lösungen – etwa beim Ausbau der WAG-Gaspipeline in OÖ. Gewesslers Gesetz zum beschleunigten Ausbau Erneuerbarer Energien prüft das BMF aktuell.
Keine Einigung gab es jedoch beim Bodenschutz. Länder und Gemeindebund stemmten sich gegen das Regierungsziel, den Bodenverbrauch bis 2030 auf 2,5 Hektar pro Tag zu drosseln. Brunner unterstützte den Widerstand, Gewessler kritisierte ihn dafür indirekt als Betonierer und will weiterkämpfen.
Auch beim Straßenbau gibt es Unstimmigkeiten. Brunner hat Gewessler per Brief aufgefordert, den Lobautunnel gemäß des gesetzlichen Auftrags bauen zu lassen. Die Ministerin lehnt das weiterhin ab.
Karoline Edtstadler: Allergisch auf Alleingänge
Bis Ende 2023 hätte Österreich den Nationalen Energie- und Klimaplan (NEKP) an die EU-Kommission übermitteln sollen. Dieser muss festhalten, wie die EU-Staaten ihre Energie- und Klimaziele einhalten wollen. Gewessler schrieb ambitionierte Ziele wie 100 Prozent E-Mobilität bei neuzugelassenen Pkw vor 2035 in den NEKP. Doch Europa- und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) stoppte die Übermittlung des Entwurfs.
Dieser sei nicht mit den anderen Ministerien abgestimmt worden. „Das war kein nationaler Plan sondern ein Gewessler-Plan“, sagte Edtstadler.
Österreich muss bis Ende Juni eine finale Version vorlegen, sonst drohen Strafzahlungen in Millionenhöhe. Gewessler schlug vor drei Wochen im KURIER-Interview vor: „Wenn Kollegin Edtstadler den Einspruch zum Entwurf zurückzieht, haben wir das Vertragsverletzungsverfahren und die drohende Strafe aus dem Weg geräumt.“