Knötzl über Korruption: "Das Böse ist immer und überall"
Bettina Knötzl ist Wirtschaftsanwältin in Wien und berät Unternehmen in Sachen Compliance. Ihre Kanzlei – hoch oben, mit Blick über die Innenstadt – verrät, dass sie in ihrem Job recht erfolgreich ist. Nebenbei ist Knötzl Präsidentin von Transparency International und geht als solche ihrem „Hobby“ nach, wie sie es nennt: dem Kampf gegen Korruption und Freunderlwirtschaft.
„Es ist eine Schande, dass in einem fortschrittlichen Land mit Industriegütern in Spitzenqualität, die in der ganzen Welt nachgefragt werden, so ein Sumpf herrscht“, sagt Knötzl. Der Wirbel um Chats, die jüngst aufgetaucht sind (siehe unten), freut sie: „Diese Empörung kann endlich den Kulturwandel beschleunigen, den wir dringend brauchen.“
KURIER: Wenn Sie in Chats lesen, wie in der Politik Posten zugeschoben werden – wie geht es Ihnen da?
Bettina Knötzl: Da geht mir das G’impfte auf, aber es wundert mich auch nicht. Wir beobachten seit Jahrzehnten, dass mit jeder Veränderung der politischen Machtverhältnisse auch Umfärbungen stattfinden. Man möchte meinen, dass die besten Köpfe die wichtigsten Posten besetzen. Aber kaum ist ein anderer an der Macht, ist dieser Kopf plötzlich unfähig und muss gehen? Offenbar werden Posten nicht nach Qualifikation besetzt, sondern nach „Treue“ für die Partei. Das finde ich ekelhaft.
Der frühere Generalsekretär im Finanzministerium Thomas Schmid und der nunmehrige Klubobmann der ÖVP August Wöginger sollen 2017 den Chefposten im Finanzamt Braunau rechtswidrig besetzt haben. Bereits vom Bundesverwaltungsgericht festgestellt ist, dass der damaligen Interimsleiterin Christa Scharf (sie ist inzwischen pensioniert) der Leitungsposten zu Unrecht vorenthalten wurde. Ein ÖVP-Bürgermeister bekam den Job. Nun sind Chats aufgetaucht, wonach Wöginger bei Schmid für den ÖVPler interveniert hat. Schmid setzte Erfolgsmeldung an Wöginger ab: „Der Bürgermeister schuldet Dir was.“ Die WKStA fordert nun die Auslieferung Wögingers wegen des Verdachts auf Anstiftung zum Amtsmissbrauch.
Die Leitung im Finanzamt Baden bekam eine Finanzbeamtin, weil sie dem Manager Siegfried Wolf 630.000 € Steuern nachließ. Die Belohnung für den Nachlass bestellte Wolf bei Schmid per Chat: „Sie will Baden.“
Michael Kloibmüller war Kabinettschef mehrerer ÖVP-Innenminister. Aus Chats von seinem Handy geht hervor, wie ÖVPler bevorzugt wurden. In Salzburg wurde 2016 ein ÖVP-Politiker zum Chef des Landesverfassungsdiensts befördert. Nach Kritik von SP-Gewerkschaftern musste der Betroffene seine Parteifunktionen zurücklegen und weinte sich darüber bei Kloibmüller aus. Dieser tröstete ihn mit den Worten: „Merk dir die Arschlöcher und wir knöpfen sie uns einzeln vor.“
In den Chats ist auch die Rede von einer Interventionsliste unter Innenminister Wolfgang Sobotka. Sobotka war seinerzeit im BVT-U-Ausschuss zu Postenschacher befragt worden, jetzt durchsucht die Opposition die Protokolle, ob er damals wahrheitsgemäß ausgesagt habe.
Alle 38.000 Mitarbeiter des Innenministeriums sind vom aktuellen U-Ausschuss aufgefordert worden, noch verfügbare dienstliche Mails von und an Kloibmüller zu suchen und dem U-Ausschuss zur Verfügung zu stellen.
Politiker argumentieren, sie brauchen Leute um sich, denen sie vertrauen – und das sind am ehesten Parteifreunde. Ist das nicht legitim?
Dann sitzt auf dem Posten offenbar schon der Parteifreund vom Vorgänger. Da ist doch der Wurm drin! Das muss sich von Grund auf ändern.
Wann sind denn parteipolitische Besetzungen legitim?
Da, wo es einen guten Grund gibt und es gesetzlich geregelt ist – zum Beispiel beim Verfassungsgerichtshof (VfGH-Richter werden von Regierungsparteien nominiert, Anm.). Wenn es transparent ist, hat auch die Bevölkerung eine Chance mitzureden oder der Partei an der Wahlurne einen Denkzettel zu verpassen. Es geht aber nicht, dass man Posten heimlich über Sideletter ausdealt. Dadurch werden auch Ausschreibungen zur Farce.
Sie sprechen den Sideletter von ÖVP und Grünen an. Von Letzteren hätte man sich so etwas weniger erwartet, oder was denken Sie?
Solche Praktiken sind kein Spezifikum einer bestimmten Partei, sondern: Macht korrumpiert. Immer dort, wo die öffentliche Hand Eigentümer ist, gibt es logischerweise ein Bedürfnis des Mächtigen, Einfluss zu nehmen und auch, die eigenen Leute zu versorgen.
Korruption in Österreich: Transparency International erstellt jährlich ein Korruptionsranking, den „Corruption Perceptions Index“ (CPI). Österreich hat 2021 im Vergleich zum Vorjahr zwei Punkte verloren und landete auf Rang 13 (2020: Rang 15). Für den Index werden Forscher und Unternehmen gefragt, wie sie Machtmissbrauch und Korruption im jeweiligen Land wahrnehmen.
Straftatbestände: In den aktuellen Skandalen geht es hauptsächlich um den § 302 im Strafgesetzbuch, Missbrauch der Amtsgewalt. Korruption, also Bestechlichkeit fällt unter § 304. Die Strafe hängt vom Wert des Nachteils, bei der Korruption des Vorteils, ab: Übersteigt der Wert 3.000 Euro, drohen sechs Monate bis fünf Jahre Haft; bei über 50.000 Euro sind es ein bis zehn Jahre. Überdies droht dem Beamten Amtsverlust. Dem „Geber“ droht für Bestechung, § 307, gleiches Strafmaß. Für Vorteilsannahme bzw. -zuwendung, § 305 und § 307a, drohen nur sechs Monate bis fünf Jahre Haft.
Türkis-grüner Plan: Im Rahmen eines Transparenzpakets sind die Abschaffung des Amtsgeheimnisses, neue Prüfrechte für den Rechnungshof und Verschärfungen im Korruptionsstrafrecht geplant.
Inwiefern schädigt Freunderlwirtschaft den Steuerzahler?
In einem privat geführten Unternehmen würde man nicht ohne Grund alle vier Jahre eine Leitungsfunktion tauschen. Es dauert, bis eine Person eingearbeitet ist, das Business und die Partner kennt, die Abläufe passen. Jeder Personalwechsel ist ein Aderlass. Da gehen mehrere Monats-, wenn nicht Jahresgehälter drauf.
Warum dreht das niemand ab? Weil es eh alle Parteien schon immer so gemacht haben?
Natürlich ist das ein gemeinsamer Konsens. Es arbeiten in einer politischen Partei viele Leute mit, opfern ihre Zeit und Energie. Logisch, dass man den Funktionären eine Karotte vor die Nase hängt, um sie zu mobilisieren. Die offiziellen politischen Jobs sind rar – es kann nicht jeder ein Mandat im Nationalrat mit Salär bekommen.
„Postenschacher“, „Freunderlwirtschaft“ – das klingt nach Kavaliersdelikt. Ist es aber nicht?
Das Zuspielen eines Jobs, der regelmäßig ein schönes Gehalt bringt, ist genau so schlimm wie ein Geldkoffer, den man jemandem in die Hand drückt. Beides ist ein „Vorteil“, eine „Zuwendung“ und kann einen Korruptionstatbestand erfüllen. Man muss genau hinschauen, es gibt Graubereiche – aber manches ist schwarz wie die Nacht.
Inwiefern ist die Wirtschaft in solche Machenschaften verstrickt?
Es kommt vor, dass ein Unternehmen, das sich auf eine Ausschreibung des Staates bewirbt, dem Entscheidungsträger sagt: „Wenn dein politisches Ticket abgelaufen ist, dann bekommst du bei uns eine Leitungsfunktion.“ Das ist ganz klar Bestechung. Genauso kriminell ist die Einflussnahme auf die Ausschreibung im Vorfeld, sodass die Anforderungen genau auf einen Bewerber passen.
Welche Erfahrungen haben Sie sonst noch gemacht in Ihrer Laufbahn als Wirtschaftsanwältin?
Als ich zu praktizieren begonnen habe, gab es in den Bilanzen sogenannte „nützliche Aufwendungen“, die man von der Steuer absetzen konnte. Das war Schmiergeld. Selbst der redlichste Unternehmer ist nicht davor gefeit, schwach zu werden. Ich habe Klienten, die mir sagen: Ich muss da mitmachen und zahlen, sonst kann ich mein Geschäft zusperren. Das sind erpresserische Situationen. Deshalb ist es so wichtig, dass Korruption für die fordernde Seite hart bestraft wird. Die gebende Seite ist oft die schwächere. Niemand besticht wirklich gerne.
Braucht es schärfere Gesetze?
Die Gesetzeslage bei Korruption ist schon sehr streng. Für die Postenvergaben gibt es oft fixe Verfahren. Daran hat sich die Politik verdammt noch mal zu halten. Aber es ist noch viel zu tun. Bei Transparency International wissen wir, dass sich die Bevölkerung eine unabhängige Justiz wünscht. Man könnte ein unabhängiges Expertengremium schaffen, das bestimmt, wer Spitzenposten bei den Gerichten und in den Staatsanwaltschaften bekommt.
All die Skandale seit der Ibiza-Affäre – schadet uns das international?
Skandale um die höchsten Ämter und Korruptionsverdacht sind für einen Wirtschaftsstandort sehr schädlich. Wer will sich hier engagieren, investieren, wenn man weiß, dass es unfaire Praktiken zugunsten bestimmter lokaler Netzwerke gibt? So fehlen uns die besten Produkte und wichtige Steuereinnahmen.
Am 2. März startet der U-Ausschuss zu den Korruptionsvorwürfen gegen die ÖVP. Was kann dieser leisten?
Seine Kraft liegt im erzieherischen Effekt. Niemand will gerne an den Pranger gestellt werden. Diese Sorge vor dem Imageschaden soll innerhalb der Partei ein Umdenken bewirken. Der U-Ausschuss macht Schwachstellen deutlich, der Wähler kann sich seine Meinung bilden.
Kanzler Karl Nehammer sagt: „Die ÖVP hat kein Korruptionsproblem.“ Ist das Realitätsverweigerung?
Eine Partei, die an der Macht ist, sollte sehr genau hinschauen. Wie gesagt: Macht korrumpiert. Ich glaube, auch die ÖVP kann sich dem nicht entziehen.
Was müsste ein Unternehmen tun, wenn Chats ihrer Manager permanent in den Schlagzeilen landen?
Zuerst macht man eine Feststellung des Ist-Zustandes, eine sogenannte Risikoanalyse: Wo liegen die Probleme? Dann stellt man Richtlinien auf, um genau diese Probleme in Zukunft zu verhindern. Als nächstes gibt es Schulungen für Mitarbeiter und Führungskräfte. Und dann prüft man in regelmäßigen Abständen, ob die Regeln eingehalten werden und sich eh nicht wieder der Schlendrian eingestellt hat. Denn, wie wir wissen: Das Böse ist immer und überall.
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