Kerns "Plan A" auf dem Prüfstand
In seiner Grundsatzrede hat Christian Kern seine Vision für die Zukunft Österreichs entworfen. "Wir müssen zu einem Land werden, in dem sich Fleiß und Leistung lohnen", sagte Kern vor 1.500 Menschen am Mittwoch in Wels. Wie genau er das schaffen will - Kurier.at hat die wichtigsten Punkte im neuen "Plan A" unter die Lupe genommen.
Arbeitsmarkt
200.000 neue Arbeitsplätze bis 2020 zusätzlich zu 156.000 Stellen durch "normales" Arbeitsplatzwachstum – das ist für Bundeskanzler Christian Kern jenes Ziel, das über allen anderen steht. IHS-Arbeitsökonom Helmut Hofer betrachtet dieses Vorhaben skeptisch. "Die Regierung kann kaum Arbeitsplätze schaffen und nur die Rahmenbedingungen ändern." In den Kern-Vorschlägen sei "viel aktives und wirtschaftsfreundliches drinnen" und überraschenderweise keine Forderung nach Arbeitszeitverkürzung. Die Umsetzung der Forderungen hänge aber an den Details. "Ein kurzfristiges Wundermittel" gegen die Rekordarbeitslosigkeit gebe es nicht, betonte Hofer.
Bei den wirtschaftsbelebenden Maßnahmen setzt Kern vor allem auf sogenannte "Green Jobs" - 30.000 davon sollen bis 2020 dazukommen.
Als längerfristiges Ziel gab Kern Vollbeschäftigung aus. Diese wäre bei aktuell rund 410.000 als arbeitslos gemeldeten Personen (Stand: Dezember 2016) jedoch auch mit der anvisierten Zahl an neuen Arbeitsplätzen nicht erreicht. Von dieser spricht man in Österreich ab einer Arbeitslosenquote von 3,5 Prozent. Die Zahl der neuen Jobs reicht noch nicht einmal aus, um die Arbeitslosigkeit zu senken, sie könnte maximal stabilisiert werden, sagte Helmut Hofer vom Institut für Höhere Studien im Dezember zum KURIER. In ihrer Konjunkturprognose (Stand: Dezember 2016) rechnen Wifo und IHS bis 2018 mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit auf 9,5 bzw. 9,6 Prozent – bei einem gleichbleibenden Wirtschaftswachstum von rund 1,5 Prozent.
Kern will sich zudem für einen gesetzlichen Mindestlohn von 1.500 Euro einsetzen - bisher ein No-Go in der sozialdemokratisch geführten Gewerkschaft. Dieses Dogma will Kern nun beenden und plädiert für einen Generalkollektivvertrag, der 1.500 Euro Mindestentlohnung festlegt. Gelinge dieser nicht, will Kern alles tun, um dieses Ziel über gesetzliche Maßnahmen zu erreichen.
Als populistisches Signal an jene Wähler, die man von der FPÖ zurückgewinnen will, ist folgender Vorschlag zu werten: Nur wenn sich kein Inländer für eine Stelle findet, soll ein (EU-)Ausländer genommen werden. Eine sektorale Arbeitsbeschränkung für EU-Bürger sei ein "Zurück zu den 1970er-Jahren" und "in der heutigen Zeit nicht sinnvoll", sagte Helmut Hofer vom IHS. Eine der vier Grundfreiheiten der EU einzuschränken, wäre "ein sehr starker Eingriff" und eine "sehr gefährliche Forderung", weil dann jedes EU-Land damit beginnen könnte, warnte Hofer. Ausländische Arbeitskräfte würden auch Inländern den Arbeitsplatz sichern. Beispielsweise gäbe es ohne Restaurant-Abwäschern aus dem Ausland auch keine Jobs für Köche aus dem Inland.
Um die Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen auszugleichen, soll es ein Lohntransparenzgesetz geben – damit jede Frau weiß, um wie viel mehr Männer verdienen. Dazu eine 40-Prozent-Frauen-Quote für Aufsichtsräte und Leitungsfunktionen in der Privatwirtschaft.
Bildung
Kern stärkte Bildungsministerin Hammerschmid bei ihren geplanten Reformen, die teils kurz vor Umsetzung stehen, den Rücken: Brennpunktschulen, jene mit einem "sozioökonomisch schwachen Umfeld" sollen mehr Mittel über einen Sozialindex bekommen, der zur besseren Vermarktung inzwischen "Chancenindex" heißt. Dieser ist bereits umgesetzt, allerdings nur temporär. Kern will wie Hammerschmid diesen Index flächendeckend initiieren.
Lehrer sollen finanziell belohnt werden, wenn sie an solchen Schulen unterrichten. Dafür muss wohl das Dienstrecht geändert werden. Zudem soll der Lehrerberuf geöffnet werden, indem Quereinsteiger einfacher ins Bildungssystem geholt werden können.
Gratis-Tablet, Gratis-Laptop: Der Kanzler zollt auch der Digitalisierung Tribut, bereits Kindergartenkinder sollen mit Bauklötzen erste Erfahrungen mit Programmieraufgaben machen. In der Volksschule soll es dann eine "digitale Grundbildung" geben. Nach der Volksschule soll jeder Schüler ein Tablet erhalten, nach den ersten acht Schuljahren (also mit 14 Jahren) zudem einen Laptop. Was Bruno Kreisky einst mit dem Gratis-Schulbuch begann, wird nun für das 21. Jahrhundert neu interpretiert. Offen bleiben die zweifellos jährlich hohen Kosten, bei rund 70.000 Kindern eines Jahrgangs.
Bewegung kündigt Kern auch beim Thema Uni-Zugang an. Die Doktrin der freien und offenen Unis für alle ist Geschichte, die Unis sollen sich mehr an den Notwendigkeiten des Staates orientieren, Studienplätze in den Massenfächern begrenzt, und in Mangelfächern wie Technik und Naturwissenschaften erweitert werden. Hier ist Kern eine interne Opposition sicher, denn die Sozialdemokratischen Studenten sehen jede Beschränkung des Uni-Zugangs als Kampfansage. Und so veröffentlichte der VSStÖ noch während Kerns Rede eine erste Reaktion auf dessen "Plan A". In der Forderung nach einer Studienplatzfinanzierung ortet man einen "deutlichen Angriff auf den offenen und freien Hochschulzugang". Dieser stelle eine "Errungenschaft der Kreisky Ära" dar, "von der auch Kern selbst noch als Student profitiert hat und diese nun mit Füßen tritt".
Integration
Kern will, wie das die ÖVP wenige Stunden zuvor gefordert hatte, den Zuzug durch Flüchtlinge senken. Und dies so lange, bis die Integration der schon in Österreich Lebenden nicht abgeschlossen sei. Um dies zu erreichen, soll jeder Flüchtling verpflichtet werden, ein Integrationsjahr zu bestreiten, in dem Sprachmaßnahmen und Arbeitsschulungen verpflichtend sind. Es stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien die Politik hier vorgehen soll. Der Grad an Integration ist keine Größe, die in absoluten Zahlen messbar ist.
Zudem will Kern die Bürokratie im Asylbereich vereinfachen. "Wir müssen wissen, dass die Aufnahmefähigkeit unserer Gesellschaft Grenzen hat", sagte Kern. Was Islamisten angeht, sprach sich der Kanzler dafür aus, "mit voller Härte" gegen Rekrutierungsversuche vorzugehen. Alles Ansagen, die mittlerweile durchaus auf Konsens stoßen. Allerdings setzte Kern an dieser Stelle eine der wenigen Spitzen gegen den Koalitionspartner: Integrationspolitik solle nicht als Instrument zur Profilierung einzelner Politiker oder Parteien dienen.
Gesundheit & Pflege
Im Gesundheitsbereich will der Kanzler sicherstellen, dass es für CT-Untersuchungen Wartefristen von maximal zwei Wochen und für MRT-Untersuchungen von höchstens vier Wochen gibt. Annehmen will er sich auch psychischen Krankheiten wie Burn-Out. Das Kontingent von kostenlosen Therapie-Einheiten soll um 50 Prozent erhöht werden. Dies und andere Verbesserungen bei der ärztlichen Versorgung sollen über eine Auflösung von Rücklagen in der Sozialversicherung erreicht werden.
Rücklagenauflösungen waren immer wieder gesundheitspolitische Forderungen der Freiheitlichen. Zuletzt wurde in der rot-schwarzen Regierung ein Sozialversicherungsrabatt für Bauern paktiert, der aus Rücklagen aus der Sozialversicherung der Bauern finanziert werden soll.
Wahlrecht
Auch beim Wahlrecht sieht Kern Reformbedarf, denn "der zweite Platz (bei einer Wahl) ist der erste Verlierer, und unser Land ist zu wertvoll, um es von Verlierern regieren zu lassen". Der Regierungsbildungsauftrag solle daher bindend an die stimmenstärkste Partei ergehen, die auch automatisch den Kanzler stellen soll. Kern stellt sich kein direktes Mehrheitswahlrecht vor, sondern, wie etwa in Griechenland, einen Mandats-Bonus für den Wahlsieger. Es ist schwer vorstellbar, dass diese Verfassungsreform eine Mehrheit bekommen wird, denn die SPÖ lag in der zweiten Republik bei den allermeisten Wahlen auf Platz 1. Die Mitbewerber würden mit einer Zustimmung also womöglich ihre eigene Position schwächen.
Für die Grünen könnte Kerns vorgeschlagene Wahlrechtsreform allerdings dann attraktiv sein, falls sie die Beteiligung an einer rot-grünen Koalition anstreben. Seit 1986 wäre Rot-Grün drei Mal möglich gewesen, hätte man der Regierung einen Mehrheitsbonus gegeben. Für den Politikwissenschafter Laurenz Ennser-Jedenastik würde der Mehrheitsbonus aber auch eine Änderung des Wahlverhaltens zu Lasten von Kleinparteien bewirken, sagte er der APA. Er verweist darauf, dass Kern selbst - der bei der letzten Wahl ja nicht kandidiert hat - mit diesem Modell wohl nicht Bundeskanzler hätte werden können.
Verfassungsrechtlich möglich wäre eine solche Vorgehensweise aus Sicht des Juristen Theo Öhlinger schon - zumindest mit einer entsprechenden Zweidrittelmehrheit im Parlament. "Es gäbe sicher Konstruktionsmöglichkeiten, die keine Gesamtänderung der Verfassung darstellen", sagt Öhlinger.
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