Nehammer: "Gewessler hat das gemeinsame Band durchschnitten"
KURIER: Für alle, die es nicht mitverfolgt haben: Können Sie in 5 Sätzen erklären, was seit Sonntag passiert ist?
Ein Rechtsbruch der Energieministerin. Sie hat das Recht und die Verfassung gebrochen, indem sie einen aufrechten Landeshauptleute-Beschluss und das Bundesministeriengesetz ignoriert hat. Sie hat in Brüssel für das Renaturierungsgesetz gestimmt und damit gegen die rechtlichen Bedingungen in Österreich verstoßen.
Wem schadet das Renaturierungsgesetz – außer der Koalition?
Das Gesetz hat einen großen Einfluss auf die heimische Land- und Forstwirtschaft und auf die Länder und Gemeinden und würde sie überregulieren. Deshalb gibt es in Österreich seitens jener, die es besonders betrifft, eine ablehnende Haltung. Die teilen wir übrigens mit Finnland, Italien, Polen und Schweden.
Sind Sie jetzt g‘schiedene Leut?
Das wäre übertrieben. Ich will Chaos vermeiden und habe das Versprechen abgegeben, dass diese Regierung geordnet in die nächsten Wahlen gehen wird. Chaos entsteht allerdings, indem sich nicht mehr an Koalitionsvereinbarungen gehalten wird, das freie Spiel der Kräfte im Parlament beginnt und milliardenschwere Wahlzuckerl beschlossen werden, die die Menschen jahrzehntelang belasten.
Natur- und Umweltschutz ist seit Jahrzehnten ein wichtiger Teil der Politik. Die ökosoziale Marktwirtschaft basiert auf einer ÖVP-Idee unter der Führung von Josef Riegler. Gegen die EU- Verordnung spricht, dass sie zentralistisch gedacht ist und damit den Bedürfnissen der Länder nicht gerecht wird. In Österreich sind über 50 Prozent der Fläche mit Wald bedeckt, wir haben mit die höchsten Umwelt- und Naturschutzstandards und das strengste Forstwirtschaftsgesetz. Wir brauchen weniger Regeln – nicht mehr.
Egal, welche Umfrage man sich ansieht: Das Gros der Menschen ist für die Renaturierung.
Ich warne davor, das eine gegen das andere auszuspielen. Wir sind uns einig und sagen bei Umwelt- und Naturschutz „Ja“. Wir investieren beispielsweise beim Rhesi Projekt am Rhein eine Milliarde Euro, unter anderem in Renaturierung. Wenn die Menschen aber auch wüssten, dass durch die EU-Regulierung Gegenden wie Salzburg und Tirol besonders in ihrem täglichen Leben beschwert werden, würden sie verstehen, warum es so wichtig war, die mahnende Stimme zu erheben und zu sagen: „Es ist gut, dass sich die EU mit Umweltschutz auseinandersetzt, aber es ist schlecht, wenn die Kommission versucht, für 27 Mitgliedsstaaten einheitliche Regelungen zu finden.“
Sie haben am Montag gesagt „Die Grünen haben ihr wahres Gesicht gezeigt". Wäre es nicht davor möglich gewesen, mit den Grünen beim Staatsoberhaupt, das stets die Schönheit der Verfassung lobt, vorstellig zu werden und zu sagen: „Wir haben ein Problem“?
Nein, weil ich davon ausgehe, dass eine Ministerin oder ein Minister sich an geltendes Recht hält. Ich hege nicht den Grundverdacht, dass Regierungsmitglieder das Recht beugen, denn die rechtliche Lage war eindeutig. Es gibt einen aufrechten, einstimmigen Beschluss der Landeshauptleutekonferenz und eine klare Meinung des Verfassungsdienstes, der nur dafür da ist, Interpretationsspielräume auszuräumen. Daher gehe ich eben nicht davon aus, dass ein Regierungsmitglied andere Gutachten bestellt und sich nicht für geltendes Recht interessiert.
Beobachter fühlen sich in der Rechtsdiskussion an die Aussage von Herbert Kickl 2019 erinnert: „Recht muss Politik folgen, nicht Politik dem Recht“.
Leonore Gewessler hat durch ihren Schritt genau das gelebt und geht scheinbar davon aus, dass das Recht der Politik zu folgen hat. Die Politik muss dem Recht folgen. Und natürlich macht die Politik auch Recht, indem sie Gesetze beschließt. Bei Kickl kam lautstarke Kritik, weil er es gesagt hat – aber Gewessler hat genau das getan. Sie hat Aktionismus betrieben, eine plumpe Provokation gesetzt, wahrscheinlich auch, weil die Grünen am Samstag Bundeskongress haben. Dafür allerdings Recht und Verfassung aufs Spiel zu setzen, das halte ich für falsch.
Wie kann ich mir die Gesprächsebene seit Sonntag bis zum Wahltag am 29. September 2024 zwischen Ihnen und den Grünen vorstellen?
Ich darf seit 4,5 Jahren in der Regierung dienen und weiß, was die Menschen von mir erwarten. Es ist keine Frage der Emotion, sondern eine der Disziplin, dieses Land zu führen. Das heißt, ich werde Ihnen diszipliniert begegnen.
Da spricht der Offizier aus Ihnen?
Die Ausbildung hilft jedenfalls. Im Militär gibt es Belastungstests, die dabei helfen sollen, viel auszuhalten und gleichzeitig die Aufgabe nicht aus dem Auge zu verlieren. Ich hätte gerne emotionaler reagiert, aber meine Aufgabe ist es, das Land zu führen und Chaos zu verhindern.
Die Grünen können jetzt die Renaturierung, das Klimaticket und PV-Förderungen für sich verbuchen. Was weisen Sie den ÖVP-Wählern vor?
Wir haben die Kalte Progression, den schleichenden Lohnfraß, abgeschafft, die ökosoziale Steuerreform durchgezogen, Familienleistungen erhöht und valorisiert. Unser Ziel ist es, das letzte Drittel der Kalten Progression jetzt noch umzusetzen, und ich gehe davon aus, dass die Dinge, die mit Werner Kogler fixiert sind, auch eingehalten werden. Es liegen noch viele Dinge im Parlament, die umgesetzt werden können – genau deshalb habe ich die Eskalation nicht zugelassen und die Koalition nicht beendet.
Der Grünen-Chef fühlt sich nicht mehr an jenen Sideletter gebunden, der vorsieht, dass die ÖVP den nächsten EU-Kommissar stellt.
Ich gehe davon aus, dass sich Werner Kogler gut daran erinnern kann, was er unterschrieben hat. Ich gehe davon aus, dass seine Unterschrift etwas wert ist.
Was, wenn nach Gewessler auch Kogler wortbrüchig wird?
Als ich das Amt des Bundeskanzlers übernommen habe, bin ich mit Kogler diese Vereinbarungen durchgegangen. Wenn er das heute anders sieht, dann muss er das sagen.
Er muss es rasch sagen!
Richtig! Ich werde alles dafür tun, dass alles, was wir ausgemacht haben, auch eingehalten wird.
Ist es denkbar, dass es zu einer weiteren Situation durch die Grünen kommt, in der Sie sagen müssten: „Genug ist genug“ und die Koalition doch aufkündigen?
Es gibt keinen früheren Wahltermin als den 29. September! Bis dahin will ich das Chaos vermeiden und dem ordne ich alles unter. Ich bin ein großer Fan davon, dass man aus der Vergangenheit lernen soll. Das freie Spiel der Kräfte hat seit 2008 Mehrkosten von 30 Milliarden Euro verursacht. Ich gehe davon aus, dass bei Werner Kogler diesbezüglich die Vernunft ähnlich ausgeprägt ist wie bei mir und er zu seinem Wort steht.
Nichtigkeitsbeschwerde, Amtsmissbrauch, Ministeranklage – wird irgendetwas von den rechtlichen Schritten schlagend?
Für die Wählerinnen und Wähler gibt es am 29. September jedenfalls die Gelegenheit über das Verhalten der Grünen abzustimmen. Jedes Regierungsmitglied hat sich an die Verfassung zu halten und ist auf die Verfassung angelobt. Die Verfassung ist das gemeinsame Band, das alle verbindet, und die Energieministerin hat das Band durchschnitten.
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