Welche Lehren Verfassungsrechtler aus der Regierungskrise ziehen
Oft sind es im Alltag kaum bekannte juristische Feinheiten, die zu den größten politischen Verwerfungen führen können. So geschehen aktuell rund um das EU-Renaturierungsgesetz. Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) stimmte im EU-Rat für die Regelung, obwohl es eine einheitliche Länderstellungnahme dagegen gab und auch das mitbetroffene Landwirtschaftsministerium dagegen war. Nun wirft die ÖVP Gewessler Verfassungsbruch vor und geht rechtlich gegen die Ministerin vor, während diese mit Rechtsgutachten dagegen hält.
Was die Frage aufwirft, ob die bestehenden Bestimmungen, die die Rolle der Länder und der Ministerien bei solchen Entscheidungen regelt, zu unklar und damit mitschuld an der aktuellen Regierungskrise sind. Oder wurde sie von einer Ministerin verursacht, die die bestehenden Regeln bis an die Grenzen und darüber hinaus ausgereizt hat?
„Ich bezweifle, dass es auf Länderebene verfassungsrechtlicher Präzisierungen bedarf“, sagt der Verfassungsjurist Peter Bußjäger. Die einheitliche Länderstellungnahme, an die sich der Bund zu halten hat, sei relativ klar geregelt, die Praxis habe sich in den 30 Jahren der EU-Mitgliedschaft bewährt.
Die aktuelle Unklarheit sei vor allem durch das Vorgehen Wiens entstanden, das mit seinem Umschwenken in Richtung Zustimmung zum Renaturierungsgesetz gemeinsam mit Kärnten aus dem Kreis der Länder ausgeschert ist. „Einerseits hat man der Ministerin damit signalisiert, dass sie nun dem Gesetz zustimmen kann, informell hat man andererseits zugegeben, dass die einheitliche Länderstellungnahme weiter besteht“, sagt Bußjäger.
Wo es Reformbedarf gibt
Am ehesten sieht der Experte in einem Punkt Reformbedarf: Die Landeshauptleute müssen sich klar werden, wie sie von erfolgten Beschlüssen wieder abgehen können. Ähnlich auch der Verfassungsjurist Christoph Bezemek: „Es geht um eine klarere Festlegung, wie solche Beschlüsse gefasst und wieder revidiert werden können.“
Strittig war im aktuellen Fall auch, ob Gewessler nur im Einvernehmen mit anderen betroffenen Ministerien dem Gesetz im EU-Rat hätte zustimmen dürfen. Wie berichtet, hatte vor allem das Landwirtschaftsministerium massiv gegen das Renaturierungsgesetz opponiert. „Allerdings hat es sich zwei Jahre lag hinter der Länderstellungnahme versteckt“, kritisiert Bußjäger. „Erst als diese zu bröckeln begann, ist es aus der Deckung gegangen.“
Grundsätzlich sei es aber wichtig, dass im Vorfeld solcher Abstimmungen auf EU-Ebene Einigkeit innerhalb der Regierung hergestellt werde. „Auch die Bevölkerung erwartet sich eine einheitliche österreichische Position.“
Um Unklarheiten künftig zu vermeiden, schlägt der Experte die Festlegung eines Abstimmungsmechanismus vor, wie man regierungsintern zu einer Position kommt. Ähnlich wie dies zwischen den Bundesländern schon der Fall ist.
Das Bundesministeriengesetz, in dem diese Zuständigkeiten geregelt sind, stamme in seinem Kern aus dem Jahr 1973, gibt Bezemek zu bedenken. „Es handelt sich an sich um eine klare Regelung, sie müsste nur im Zusammenhang mit der Mitwirkung auf EU-Ebene noch einmal spezifiziert werden.“
Nichtigkeitsklage gegen Gewessler
Ob ein Einvernehmen zwischen den Ministern bestehen muss, könnte noch in einer anderen Frage interessant werden. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat angekündigt, wegen Gewesslers Vorgehen Nichtigkeitsklage beim EuGH einzubringen. Bußjäger dazu: „Bis jetzt habe ich keine Gesetzesstelle gefunden, laut der dafür ein Ministerratsbeschluss nötig wäre. Man könnte hier die böse Frage stellen, ob auch in diesem Fall die zuständige EU-Ministerin Karoline Edtstadler ein Einvernehmen mit der betroffenen Umweltministerin Gewessler herstellen müsste.“ “
Ob eine solche Klage vor dem EuGH Erfolg hätte, ist eine wiederum eine andere Frage.
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