Türkis-grüne Koalitionskrise: Scheidung ohne Rosenkrieg
Beim gemütlichen „Frühstück bei mir“-Talk auf Ö3 erzählt Vizekanzler Werner Kogler am Sonntagvormittag noch, wie stolz er sei auf das bisher in der Koalition Erreichte. Inbrünstig verwahrt er sich nach dem dritten doppelten Espresso mit Claudia Stöckl gegen eine „Denunziation des Kompromisses“. „Ich bin froh, dass es Kompromisse gibt und nicht einer alleine alles anschafft“, so der Grünen-Chef.
Und dann das: Um 14 Uhr stellt sich seine Ministerin Leonore Gewessler vor die Medien und erklärt, dass sie sich beim EU-Renaturierungsgesetz über das Nein der Kanzlerpartei hinwegsetzen und mit Ja stimmen wird. „Ich will im entscheidenden Moment das Richtige tun und mich nicht verstecken.“
So geschah es dann auch: Gewesslers Zustimmung hat den „historischen“ Beschluss im Rat der EU-Umweltminister erst möglich gemacht. Die Renaturierungsverordnung kommt.
Die Folgen dieses Affronts gegen den Koalitionspartner waren zunächst nicht absehbar: Von Ministeranklage bis Koalitionsbruch schienen alle Eskalationsstufen denkbar. Letztlich, so war man sich in der ÖVP einig, würde man die grüne Ministerin damit nur zur Märtyrerin machen, in der linken Wählerschaft würde sie für ihren Mut gefeiert. Ganz zu schweigen von dem Chaos, das ein Bruch so kurz vor der Wahl im Nationalrat bedeuten würde.
Nehammer: "Krasses Fehlverhalten"
Also: durchatmen. Erst am Montagabend tritt Kanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer in Brüssel vor die Kameras. Was Gewessler getan habe, sei für ihn als Kanzler ein „mehr als schwerer Vertrauensbruch“. Die Erwartungshaltung sei, nach einem „so krassen Fehlverhalten“ die Koalition zu beenden, ist er sich bewusst. Aber: „Ich werde das nicht tun.“ Was das bedeuten würde, hat Österreich schon erlebt: Etliche Beschlüsse im freien Spiel der Kräfte im Nationalrat, die den Steuerzahler Milliarden kosten.
Nehammer gesteht aber ein: „Wenn Sie mich nach meiner Emotion fragen, dann würde ich sofort sagen: Ja, es ist Zeit. Der grüne Koalitionspartner hat sein wahres Gesicht gezeigt: Moralisierend bis zum geht nicht mehr, dann aber sofort bereit, die Ideologie über Recht und Verfassung zu stellen.“
Wie gesagt sei sein Ziel aber, das Land „geordnet“ bis zur Wahl am 29. September zu führen. „Notwendige und wichtige Vorhaben werde ich soweit umsetzen, wie es mit diesem Koalitionspartner noch möglich ist.“
Aus ÖVP-Kreisen ist zu hören, dass „außertourliche Vorhaben“ nicht mehr drin seien – so dürfte etwa das neue ORF-Gesetz nicht mehr kommen. Und: Die Chancen, dass die ÖVP nach der Wahl wieder mit den Grünen in eine Koalition geht, lägen nach diesem Vorfall bei Null, heißt es.
„Rechtswidrig“
Nehammer erklärte auch, dass er weiter gegen den Beschluss der EU-Umweltminister, der „rechtswidrig entstanden“ sei, ankämpfen werde. Und zwar mit einer Nichtigkeitsklage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH).
Damit betrete man „juristisches Neuland“, sagt Europarechtsexperte Walter Obwexer. Die Chancen stünden aber „nicht schlecht“, dass der Beschluss wegen Formmängeln aufgehoben wird.
Österreichs Stimme war im EU-Votum die ausschlaggebende Stimme – ob sie rechtmäßig zustande gekommen ist, werde man sich deshalb genau anschauen müssen. Das Kanzleramt argumentiert damit, dass das nötige Einvernehmen mit dem Landwirtschaftsminister gefehlt habe und es eine aufrechte negative Stellungnahme der Bundesländer gebe.
Die Entscheidung des EuGH über die Nichtigkeitsklage werde „richtungsweisend“ sein, etwas Vergleichbares sei noch nie vorgekommen, sagt Obwexer. Er geht davon aus, dass der Beschluss demnächst aber trotzdem vorerst in Kraft tritt.
Kogler gelassen
Weiters will die ÖVP Anzeige wegen Amtsmissbrauchs gegen Gewessler einbringen. „Wir sehen diesen Ankündigungen sehr gelassen entgegen, weil wir die rechtliche Situation selbst geprüft haben“, sagt dazu Grünen-Chef Werner Kogler. Er verteidigt das Ja Gewesslers zum „weltweit wichtigsten Naturschutzgesetz“: „Die Natur ist keine Frage der Ideologie, sondern der Verantwortung. Wer kümmert sich sonst um die Natur als die Grünen?“
Zum Zustand der Koalition sagt er: „Wir hatten schon oft schwierige Momente. Aber wir haben uns immer wieder zusammengerauft. Ich bin zuversichtlich, dass das auch jetzt gelingt.“
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