„Ich will in 30 Jahren nicht sagen müssen, dass mir der Mut gefehlt hat.“ Dieser Satz stammt von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne). Ein Satz, der als Einleitung diente, um eine Maßnahme zu verkünden, die in Österreichs Politlandschaft für ein ziemliches Erdbeben sorgen sollte. Ein Satz, der als Ouvertüre zu dem derzeitigen Politspiel rund um das EU-Renaturierungsgesetz zu werten ist, das derzeit die Regierung spaltet.
Gewesslers angekündigte Zustimmung ist, wie berichtet, für Koalitionspartner ÖVP „rechtswidrig“.
Keine Überraschung
Allzu überraschend ist Gewesslers derzeitiges Vorgehen nicht. Der Alleingang begann schließlich bereits viel früher.
Denn besagter Satz stammt aus dem Jahr 2021. „Die Lobauautobahn wird nicht gebaut", sagte die Klimaschutzministerin damals, um exakt 9.19 Uhr am 1. Dezember. "Sämtliche Planungen werden eingestellt."
Damals wie heute erklärte sie ihr Vorgehen mit Emotion: Vor drei Jahren sagte sie, sie wolle „unseren Kindern keine Welt voller Beton hinterlassen“, am Wochenende ließ sie verlauten, dass sie, wenn sie in 20 bis 30 Jahren mit ihren Neffen und Nichten spazieren gehe, ihnen die Schönheit des Landes zeigen wolle.
Wenige Tage vor dem Lobautunnel-Aus hatte sie auch die Planung für die Klagenfurter Schnellstraße S 37 abgeblasen. Generell sollten alle geplanten Asfinag-Bauprojekte evaluiert werden.
Aufschrei damals wie heute
Was dann folgte unterscheidet sich von der aktuellen Situation nur in Nuancen: Die betroffenen Landeshauptleute schrien auf, mehrere Rechtsgutachten wurden erstellt, Gewessler wurde „rechtswidriges Vorgehen“ vorgeworfen, es wurde laut über eine Ministerinnenanklage nachgedacht, mit Klagen wurde gedroht.
Der größte Aufschrei kam aus den Ländern. Niederösterreich kämpft nach wie vor um die Umsetzung der Marchfeld-Schnellstraße S8. Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), der rund um die Frage um das EU-Renaturierungsgesetz kürzlich umgeschwenkt ist und auf Gewesslers Seite steht, pocht auf die Fertigstellung der Schnellstraße S1, den Lückenschluss für einen Ring um die Bundeshauptstadt, der auch den Lobautunnel beinhaltet.
Die Rolle der Bundes-ÖVP
Die Bundes-ÖVP ließ vor drei Jahren ihren Unmut verlauten, allzu hart wurde aber nicht gegen Gewessler vorgegangen. Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) zögerte zwar monatelang, das Straßenbauprogramm der Asfinag zu unterschreiben, tat es letztendlich aber doch. Man gehe davon aus, dass die Pläne nur „ruhend gestellt“ und nicht gestoppt sind und somit spätestens in zwei Jahren wieder in Angriff genommen werden könnten.
Eine Beendigung der Koalition hätte damals zudem wesentlich weitreichendere Konsequenzen gehabt als heute, wenige Monate vor der nächsten Wahl.
Jetzt, fast zwei Jahre später, liegen die Straßenbaupläne immer noch auf Eis und können demnach nur in der nächsten Legislaturperiode umgesetzt werden. Die Asfinag bemüht sich im Hintergrund aber weiter um die noch ausstehenden Genehmigungen für die Straßenbauprojekte, weswegen Klimaschützer und Anrainer auch weiter gerichtlich dagegen vorgehen, um gerüstet zu sein, falls die von Gewessler verordnete Ruhe aufgehoben wird. Etwas, das wohl nur passieren wird, wenn die Grünen nicht in der nächsten Regierung sind.
Nachdem sich Gewessler beim ersten Mal also durchgesetzt hat, war ihr Vorgehen bei der EU-Renaturierung nur die logische Fortsetzung.
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