Koalitionskrise nach Gewessler-Ja zum EU-Renaturierungsgesetz

Koalitionskrise nach Gewessler-Ja zum EU-Renaturierungsgesetz
Der Alleingang der Umweltministerin auf EU-Ebene sorgt für eine veritable Regierungskrise. Die ÖVP hat Anzeige erstattet und will den EuGH anrufen.

Das EU-Renaturierungsgesetz ist am Montag in Luxemburg beschlossen worden - trotz Warnungen aus dem Bundeskanzleramt. Österreichs Stimme war entscheidend - sie kam von Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne), die damit einen Alleingang auf EU-Ebene hinlegte. Die Reaktion aus dem Kanzleramt folgte prompt: Die von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) angekündigte "Nichtigkeitsklage" vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) sei fix. Für 16:30 hat Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) ein Statement angekündigt. Er befindet sich aktuell in Brüssel.

Die ÖVP kündigte ihrerseits eine Anzeige wegen Amtsmissbrauchs an, wie Generalsekretär Christian Stocker ankündigte: "Es besteht der Verdacht, dass Leonore Gewessler mit ihrer Zustimmung zur Renaturierungsverordnung rechtswidrig und wissentlich gegen die klaren Vorgaben des Verfassungsdienstes und gegen die Verfassung handelt - dies begründet Amtsmissbrauch."

Nehammer hatte bereits im Vorfeld der Abstimmung in Luxemburg den belgischen Ratsvorsitz darüber informiert, dass eine Zustimmung von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) zur EU-Renaturierung rechtswidrig sei. Es müsse "bei der bereits gemäß den üblichen Verfahren eingemeldeten Stimmenthaltung Österreichs bleiben".

Aus dem Kabinett des Bundeskanzlers hieß es dazu: "Dies unter anderem deswegen, weil eine aufrechte negative Stellungnahme der Bundesländer vorliegt und das notwendige Einvernehmen zwischen den betroffenen Bundesministerien fehlt. Wie in anderen Staaten auch sind die Voraussetzungen für eine Zustimmung zum vorliegenden Entwurf nicht gegeben."

Warnung vor Klage aus Deutschland

Deutschlands Umweltministerin Steffi Lemke reagierte auf ORF-Anfrage umgehend auf den Vorstoß aus dem Kanzleramt in Wien: Sie kenne kein politisches Verfahren auf europäischer Ebene, das diesen Beschluss noch umkehren könne. "Ich kann daher nur appellieren, keine Einwände gegen dieses Gesetz vorzubringen - es besteht die Gefahr, dass wir das Vertrauen der Menschen in die europäischen Institutionen verlieren."

Knappes Ja im EU-Rat

Nach der Abstimmung, die ein äußerst knappes Ja, vor allem gegen den Widerstand Italiens, Ungarns und der skandinavischen Länder brachte, zeigt sich Gewessler erleichtert und hocherfreut: "Die heutige Entscheidung ist ein Sieg für die Natur. Die Europäische Union stellt sich geeint hinter den Schutz unserer Lebensgrundlage. Wir geben der wunderbaren Artenvielfalt in unserer Heimat den Platz, der ihr zusteht."

"Verfassungs- und Gesetzesbruch"

Die grüne Umweltministerin hatte am Sonntag angekündigt, dem EU-Renaturierungsgesetz zuzustimmen und damit einen Koalitionskrach forciert. ÖVP und Grüne sind sich nicht einig darüber, inwiefern Gewessler Einvernehmen mit den Bundesländern und dem Landwirtschaftsministerium herstellen müsste. Gewessler "begeht vorsätzlich einen Verfassungs- und Gesetzesbruch", sagte Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) dazu.

Gesetz seit langem umstritten

Das Gesetz hat die EU und ihre Mitgliedsstaaten seit mehr als zwei Jahren beschäftigt. Schon im EU-Parlament hatte die christdemokratische EVP, zu der auch die ÖVP gehört, massiven Widerstand gegen das Gesetz geleistet, das schließlich deutlich abgeschwächt wurde. So wurden nicht nur die Prozentziele für jene Flächen und Landschaften, deren Zustand verbessert werden soll, abgesenkt, auch wurden die Maßnahmen der Landwirtschaft ausdrücklich als "freiwillig" definiert. Damit wurde auf Bedenken der Bauern eingegangen. Das EU-Parlament hat den in den Verhandlungen mit den 27 Mitgliedsstaaten abgeschwächten Entwurf schließlich im Februar 2024 abgesegnet. Obwohl die Zustimmung der Mitgliedsstaaten im EU-Rat  nach eine solchen Einigung üblicherweise ein Formalakt ist, blieb der Widerstand, etwa von Italien, massiv. Die belgische Ratspräsidentschaft verhandelte intensiv hinter den Kulissen, um eine Einigung zustande zu bringen. Schließlich aber war es der Schwenk der grünen Umweltministerin, der die Entscheidung möglich machte.

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