Rätselraten bis zur letzten Minute: Das Drama um die Renaturierung in Brüssel

Rätselraten bis zur letzten Minute: Das Drama um die Renaturierung in Brüssel
Das von Anfang an umstrittene Gesetz zur Renaturierung hat in der EU ständig für Streit und bis zuletzt für Unklarheit gesorgt.

Kommt es überhaupt zu einer Abstimmung - und wann? Welches Land stimmt dafür, welches dagegen? Eigentlich Routinefragen für Journalisten, die sich mit EU-Politik beschäftigen.

Doch wenn es um das Gesetz zur Renaturierung ging, blieben sie trotzdem unbeantwortet - und zwar bis zum frühen Montagmorgen vor dem Rat der EU-Umweltminister in Luxemburg. Selbst bei Hintergrundgesprächen abseits der Kameras, wie sie auch der KURIER führte, blieben die Antworten aus dem EU-Rat und aus den Vertretungen der EU-Mitgliedsländer bemerkenswert vage.

Klar war bis zuletzt nicht einmal, ob Belgien, das derzeit den EU-Vorsitz hat, das Gesetz überhaupt auf die Tagesordnung des EU-Umweltministertreffens setzen würde. Auf den Entwürfen für die diese Tagesordnung, die in den Tagen zuvor kursierten, war es jedenfalls nicht vermerkt. Die Belgier hielten sich bis zuletzt zurück, man wollte sich die Blamage eines "Nein" bei der Abstimmung unbedingt ersparen.

Wer bleibt beim Nein, wer kippt?

Eigentlich war die Front der Gegner des Gesetzes unter den EU-Staaten über Monate gleich geblieben. Seit das EU-Parlament im Februar dieses Jahres dem eigentlich ausverhandelten Kompromissvorschlag zugestimmt hatte, lag der Ball bei den Mitgliedsstaaten. Üblicherweise segnen die einen einmal mit dem EU-Parlament fertig verhandelten Gesetzesentwurf routinemäßig ab: Ein EU-Formalakt also.

Anhaltender Widerstand

 Beim Renaturierungsgesetz aber gab es immer noch einige Staaten, die massive Vorbehalte gegen diesen Kompromiss hatten. Allen voran Italien und die Niederlande, die Eingriffe in ihre Landwirtschaft befürchteten, so wie auch Belgien, dazu die skandinavischen Länder Schweden und Finnland, die sich vor allem bei ihrer Forstwirtschaft und ihren Wäldern nichts dreinreden lassen wollten. Dazu kam Ungarn, das sich ohnehin bei allen heiklen Streitfragen in der EU querlegt und Österreich. Hier hatte vor allem die Regierungspartei ÖVP schon gegen das "Ja" des EU-Parlaments klar Stellung bezogen, ebenso wie die FPÖ. SPÖ und Grüne dagegen waren dafür.

Warnung vor Versorgungskrise

Der ÖVP-EU-Abgeordnete und Agrarexperte Alexander Bernhuber sprach von einer „inhaltlichen Fehlentscheidung“. Die EU-Kommission solle den Gesetzesvorschlag noch einmal zurückzuziehen: "Wir müssen das Gesetz richtig machen. So bedeutet das nicht nur einen massiven Eingriff in das Eigentum der Grundbesitzer, sondern auch, dass wir aus Nicht-EU-Staaten Lebensmittel importieren müssten.“ Auch Österreichs Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig, ebenfalls ÖVP, warnte vor einer Gefährdung der Lebensmittelversorgung durch das Gesetz.

Heftiger Streit von Anfang an

Kaum ein anderes EU-Gesetz hat von Anfang an für derart heftige Konflikte gesorgt. Schon als der Umweltausschuss des EU-Parlaments darüber im Sommer des Vorjahrs beraten hatte, stand es bei der Abstimmung bis zuletzt spitz auf Knopf. Die brachte schließlich exakt gleich viele Stimmen für "Ja" und "Nein", was nach den Regeln des EU-Parlaments in diesem Fall als Zustimmung galt. Knapp drei Wochen später schaffte es das Gesetz mit einer knappen Mehrheit durch das Plenum des EU-Parlaments. 

Rund um die Abstimmung aber gab es wilde über die Medien ausgetragene Wortgefechte zwischen Gegnern und Befürwortern und Protestkundgebungen beider Seiten vor dem EU-Parlament in Straßburg. Die Befürworter boten Fridays-for-Future-Anführerin Greta Thunberg auf, die Gegner bekamen Unterstützung von Bauern, die mit ihren Traktoren vor dem Parlament anrollten, um gegen die "sinnlose Bürokratie" zu protestieren.

Kommentare