Gemeindebund-Präsident gegen Gewessler: "Da werden Angst-Bilder erzeugt"
94,4 Prozent stimmten für ihn als Nachfolger von Alfred Riedl an der Spitze des Österreichischen Gemeindebundes. Seit knapp einem Monat ist Johannes Pressl (ÖVP) Gemeindebundpräsident und damit Repräsentant von über 2.000 Städten und Gemeinden. Im KURIER-Interview spricht über eine Milliarden-Forderung an den Finanzminister, sein "Nein" zum 2,5 ha-Ziel und 700 neue Trafostandorte.
KURIER: Wie wollen Sie das Vertrauen in den Gemeindebund wiederherstellen, nachdem Ihr Vorgänger Alfred Riedl es durch fragwürdige Grundstückdeals für viele zerstört hat?
Johannes Pressl: Eines vorweg: Alfred Riedl hat über viele Jahre sehr gute Arbeit geleistet und die Vertrauenswerte in die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sind hoch, wie Umfragen zeigen. Aber natürlich werde ich gerade oft nach Compliance-Richtlinien gefragt.
Ihre Antwort?
Wir haben alle ein Gelöbnis abgelegt, unparteiisch und uneigennützig, zum Wohle unserer Gemeinden zu arbeiten. Unsere Bürger beurteilen uns tagtäglich danach und alle 5 Jahre bei Wahlen.
Die Wahlbeteiligung bei der Gemeinderatswahl in Salzburg lag bei 65,9 Prozent. Da geht noch mehr?
Ich glaube eher, dass andere Wahlen ein Problem mit der Beteiligung haben.
Zurück zum Gelöbnis: Was tun Sie, wenn sich jemand nicht an das Gelöbnis hält?
Man muss auf dem Boden der Gesetze arbeiten und die besagen, was wir zu tun haben – auch in der Raumordnung. Alfred Riedl hat die Gesetze nicht verletzt.
Es muss nicht immer das Gesetz gebrochen werden, um eine Konsequenz zu ziehen!
Mein Amtsverständnis ist, immer das persönliche Gespräch zu suchen. Ich habe erst unlängst mit dem Bürgermeister aus Phyra telefoniert. Wir haben bei uns, wie überall, nicht nur Wunderwuzzis und ich wünsche mir, dass wir die ganze Breite sehen: Die 99 Prozent, die besonders gut sind und, dass wir eine Fehlerkultur entwickelt haben.
Bürgermeister Andreas Kollross hat über das Recht der ersten Nacht auf Social Media geschrieben. Wenn schon keine Compliance dann wenigstens Social Media-Richtlinien?
Ich möchte den Fall Kollross nicht kommentieren.
Welche Voraussetzungen sind unabdingbar für das Bürgermeisteramt?
Man muss Menschen mögen und Freude daran haben, für sie zu arbeiten, braucht Gestaltungswillen und Visionen. Wir leben in einer Zeit der Selbstdarsteller, aber die Selbstdarsteller unter den Bürgermeistern leben kürzer. Wesentlich geworden ist – nicht nur wegen des Informationsfreiheitsgesetzes – möglichst transparent zu sein. Transparent, damit sich Menschen auch an unserer Arbeit beteiligen können. Wir treffen Entscheidungen, wofür welches Steuergeld verwendet wird – und wofür nicht.
Warum gibt es immer noch so wenige Bürgermeisterinnen?
Ich selbst habe im Gemeinderat erlebt, dass sich Frauen in der Politik leichter tun, wenn sie im Team arbeiten und die Aufgabenstellung ihrem Naturell entspricht. Dazu kommt, dass Frauen immer zwei, drei Mal gefragt werden müssen, weil sie sich selbst weniger zutrauen als Männer.
Vielleicht liegt es auch an den regierenden Männern?
Unsere Öffentlichkeitsarbeit zielt seit Jahren darauf ab, dass Frauen es mindestens genauso gut wie Männer machen. Mir geht es nicht um Quote, sondern einen Prozess, dass die Besten über Jahre in einer Gemeinde in eine Führungsaufgabe wachsen. Es muss nicht die Frau oder der Mann werden, sondern der oder die Bessere. Frauen wollen nicht kraft ihres Frauseins in eine Funktion kommen, sondern weil sie es gut machen.
Zurück zum Geld: Sie haben gleich bei Amtsantritt eine Milliarde Euro mehr vom Finanzminister gefordert, wobei der Finanzausgleich (FAG) erst wenige Monate her ist. Ist es so schlecht um die Gemeinden bestellt oder haushalten sie schlecht?
Die Gemeinden haushalten sehr gut, aber es gibt immer Verbesserungsbedarf. Wir sind österreichweit in eine krisenhafte Situation gekommen, weil die Wirtschaft schwächelt und Finanzflüsse aus dem FAG teilweise noch nicht laufen. Unsere Ertragssteueranteile stagnieren.
Können Sie das Minus beziffern?
Wir haben allein bei der Grunderwerbssteuer Einbrüche von rund einer Milliarde Euro, die Grundsteuer wurde nie valorisiert. Es ist eine Summe von Effekten. weshalb wir die Milliarde beim Bund eingefordert haben.
Glauben Sie, dass Magnus Brunner die Milliarde freimachen wird können?
Es ist kein absolutes Dementi gekommen, weil wir, so glaube ich, auf Verständnis gestoßen sind. Die Intensivverhandlungen stehen uns noch bevor, Rechnungsabschlüsse stehen noch aus. Bis Juni sollte ein Verhandlungsergebnis vorliegen. Bis dahin müssen die Gemeinden aber ihren laufenden Betrieb sicherstellen können.
Was steht zu befürchten?
Sie müssen, wenn sich´s nicht ausgeht, wie im Privatbereich Schulden machen oder Leistungen kürzen wie bei Personal, im Kindergarten oder in Schulen. Aber ich möchte den Teufel nicht an die Wand malen.
Sie wollen sich jedenfalls auch nicht an das Ziel halten, den täglichen Bodenverbrauch auf 2,5 ha zu reduzieren.
Der Österreichische Gemeindebund steht zu einem schonenden Umgang mit der Ressource Boden. Die 2,5 ha-Grenze ist aber unrealistisch. Deklinieren Sie´s durch 2093 Gemeinden. Dann sind das 12m² pro Tag pro Gemeinde. Das ist ein halbes Carport. Wir brauchen Flexibilität und wirtschaftlichen Realitätssinn. Da bin ich beim Finanzminister:
Wenn sich ein Betrieb ansiedeln und Arbeitsplätze schaffen will, dann darf das 2,5 ha-Ziel uns nicht apodiktisch daran hindern, denn der Betrieb wird nicht Jahre warten, bis das ha-Kontingent für eine Gemeinde wieder vorhanden ist.
Klimaministerin Leonore Gewessler sagt im KURIER-Interview: „Wirtschaftlichen Erfolg gibt es nur mit Klimaschutz“.
Da werden Angst-Bilder erzeugt, die nicht stimmen. Es geht natürlich darum, Bodenversiegelung hintan zu halten. Das geht von Schotterrasenflächen in Siedlungsstraßen bis hin zu Überschattungen oder bereits überbreite Straßen nicht für den Radweg weiter zu verbreitern, sondern die vorhandenen Flächen zu nutzen. Ich lasse mich nicht von einzelnen Interessensgruppen dafür an den Pranger stellen. Bodenverbrauch, das muss auch gesagt werden, ist ein gesellschaftliches Bedürfnis. Menschen wollen ein Carport, einen Radweg und ein Windrad statt ein Atomkraftwerk.
Es gibt einen Unterschied zwischen Wollen und Notwendigkeit.
Was heißt denn Rückwidmung oder Leerstandnutzung? Wir wollen es, aber wir müssen es gesellschaftlich ausdiskutieren. Ich möchte keine Links-rechts-, sondern eine Sach-Diskussion.
Gibt es sachliche Diskussionen über Windräder oder Migration auf Gemeindeebene?
Ich stehe zu Windkraft! Wir haben in Niederösterreich und dem Burgenland eine ambitionierte Zonierung und haben – wie in Waidhofen an der Thaya – die Bevölkerung eingebunden. Was wir diskutieren müssen: Den Bau von Leitungen und Masten und, dass die Menschen, die zukünftig an einer 180 KV-Leitung leben müssen, etwas davon haben sollten Wenn wir die Energiewende wollen, dann brauchen wir allein in Niederösterreich 700 neue Trafostandorte. Das muss klar ausgesprochen und diskutiert werden.
Wird Migration in den Gemeinden diskutiert wie in Deutschland, da wurde gerade eine Atempause eingefordert.
Wie auch 2015 leisten die Gemeinden ungeheuer viel, nur jetzt eben abseits des Scheinwerferlichts. Das ist Klein-Klein-Arbeit, keine Angst-Arbeit. Es ist immer eine Frage, wie man vor Ort zusammenleben will und kann – ganz unabhängig von der Provenienz. Wir arbeiten für und mit den Menschen, die bei uns wohnen. Dass wir die Migrationsströme national und international reduzieren müssen, das ist nicht unsere politische Baustelle. Das ist Sache des Bundes.
Was ist Ihre politische Baustelle?
Meine Baustelle ist die Vielfalt an Baustellen. Es heißt: „Schuster, bleib bei deinen Leisten“ und die Leiste der Gemeinden ist das örtliche Zusammenleben von der Wiege bis zur Bahre. Wir helfen von der Kinderbetreuung bis zu Bestattung als Dienstleister. Die Hauptbaustelle, wenn Sie so wollen, sind immer die Finanzen, viele Infrastrukturen können wir nicht anbieten, wenn wir räumlich eingeschränkt sind – und damit wären wir wieder beim Bodenverbrauch. Die größte Baustelle ist allerdings unsichtbar. Das ist die Digitalisierung vom Amtsweg bis zum bargeldlosen Bezahlen. Damit beschäftigen wir uns intensiv. Aber das haben viele noch nicht auf dem Radar.
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