Bodenschutz-Strategie? "Es geht nichts weiter, weil alle profitieren"
Drei große Ziele hat sich Umweltministerin Leonore Gewessler für diese Legislaturperiode noch gesteckt: Das Raus-aus-Öl-und-Gas-Gesetz, das Klimaschutzgesetz – und ein Stopp der Bodenversiegelung. Letzteres soll noch im Herbst entschieden werden.
Österreich bebaut oder betoniert derzeit etwa 11,4 Hektar (16 Fußballfelder) bisher unangetasteten Boden am Tag, die Bundesregierung will bis 2030 auf nur mehr 2,5 Hektar (dreieinhalb Fußballfelder) kommen. So einfach dieses Ziel klingt, tatsächlich wird seit mehr als 20 Jahren so ein Bodenschutz von den Bundesregierungen eingefordert, doch ohne Ergebnis. 2002 hatte die Regierung Schüssel erstmals in der neuen Nachhaltigkeitsstrategie das Problem des exzessiven Bodenverbrauchs genannt.
Fakt ist, Österreich ist keinen Schritt weiter. Was zuerst einmal an der Tatsache liegt, dass der Bodenschutz eine Querschnittsmaterie von Bund, Ländern und Gemeinden ist. Der Bund hat über die ÖROK, die Raumordnungskonferenz, bloß eine koordinierende Rolle, die „überörtliche Raumordnung“ ist Sache der Länder, die oberste Bauinstanz bleibt aber bei den Bürgermeistern.
„Dringlich“ seit 2002
Schon die Regierung Schüssel II hatte im Jahr 2002 versprochen, die anhaltende Versiegelung und Verbauung von Flächen verhindern zu wollen. Ähnlich dann fast alle nachfolgenden Regierungen, unter Faymann II 2013 war auch die „Verhinderung der voranschreitenden Bodenversiegelung“ Thema. Unter Kurz I 2017 sollte einmal mehr die „stärkere Rücksichtnahme hinsichtlich des Verlustes von unverbauter Fläche“ Thema sein
Aktuelle Regierung
Die türkis-grüne Regierung (Kurz II, Schallenberg I und Nehammer I) nennt im Koalitionsabkommen mehrmals einen: „Zielpfad zur Reduktion des Flächenverbrauchs auf Netto 2,5 ha/Tag bis 2030 und mittelfristig zusätzliche Bodenversiegelung durch Entsiegelung von entsprechenden Flächen kompensieren“
Raumordnungskonferenz
Im Juni scheiterte zuletzt eine Einigung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, die Grünen brachen ab, es gebe keine Zustimmung „ohne verbindliche, klare Ziele“, sagte Vizekanzler Kogler. Eine Arbeitsgruppe aus sechs Personen (je zwei von Bund und Ländern und je einer von Gemeinde- und Städtebund) sollten über den Sommer Kompromiss finden
Status quo
Der jährliche Bodenverbrauch geht zurück, aber nur sehr langsam und nicht jedes Jahr. 2022 waren wir bei knapp über 40 k jährlich oder 11,3 Hektar pro Tag (oder eben 16 Fußballfelder)
Versiegelungsranking
Laut dem WWF versiegelt die Steiermark vor Salzburg, Oberösterreich und dem Burgenland am meisten Fläche
Grüne ließen Einigung platzen
Mit Grünen erstmals in einer Regierung war der Druck bisher vielleicht größer als unter Türkis-Blau, Ergebnis gibt es dennoch keines.
Erst im Juni 2023 platzte die ÖROK-Konferenz am Veto der Grünen. Vizekanzler Werner Kogler stieß einige Verhandler vor den Kopf, als er erklärte, dass für die Grünen „ohne verbindliche, klar definierte Ziele“ keine Zustimmung möglich sei.
Vereinbart wurde damals eine Arbeitsgruppe aus Vertretern von Bund, Ländern, Gemeinde- und Städtebund, die über den Sommer alle offenen Fragen klären soll.
Das Landwirtschaftsministerium bestätigt, dass die Arbeitsgruppe „regelmäßig auf politisch-technischer Ebene die Arbeiten zur Klärung der offenen Punkte“ behandelt. Zieldatum gibt es noch nicht. Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig erklärt gegenüber dem KURIER, ihm sei die „Reduktion des Bodenverbrauchs ein wesentliches Anliegen“, und er sei „zuversichtlich, dass die ÖROK die erste Bodenstrategie für Österreich rasch über die Ziellinie bringt. Das sind wir den kommenden Generationen schuldig.“
Aber warum ist das so schwierig?
Die Umweltsprecherin der Grünen im Parlament, Astrid Rössler, nimmt sich da kein Blatt vor den Mund: „Wir sehen, dass der Widerstand so groß ist, weil massive Interessen dahinter stehen. Alle, von Rot bis Schwarz, sind gegen das 2,5 Hektar-Ziel, weil alle vom Bodenverbrauch profitieren – Banken, Bauwirtschaft, Immobilienentwickler. Weil es um ein riesiges Wirtschaftsgut geht, an dem alle auch immer gut verdient haben.“ Es habe schon seine Gründe, warum Österreich beim Rohstoffverbrauch weit über dem EU-Durchschnitt liege. „Es ist auch kein Zufall, dass der Bodenaushub mit 42 Millionen Tonnen die größte Abfallmenge ist, die wieder irgendwo in die Landschaft gekippt werden muss.“
Hebel Finanzausgleich?
Eine andere Idee ist, den Ländern und Gemeinden über die laufenden Bund-Länder-Verhandlungen mehr Geld für die Zieleinhaltung auch bei der Bodenversiegelung zu geben. Das Finanzministerium ist da vorsichtig und bestätigt gegenüber dem KURIER nur, dass im neu geschaffenen „Zukunftsfonds“ von Finanzminister Magnus Brunner auch der Bereich „Klima & Umwelt“ enthalten sein wird. Immerhin: „Die konkreten Ziele und die Ausgestaltungsdetails werden in den weiteren Verhandlungen gemeinsam definiert“, heißt es aus dem BMF.
Ein anderer Zielkonflikt ist, dass während nach wie vor im Rekordtempo das Land zubetoniert und asphaltiert wird, die Preise auch fürs Wohnen immer weiter steigen. Die Bodenstrategie soll ohnehin vier Ziele vereinen: den Schutz von Frei- und Grünland; die Zersiedlung soll unterbunden werden, es soll mehr Bewusstseinsbildung geschehen, und es soll einen Fokus darauf gelegt werden, die bereits versiegelten Böden und das Bauland zu nutzen, statt neu zu versiegeln.
Bodenneutralität
Das große EU-Ziel bis 2050 heißt ohnehin Bodenneutralität – dann soll in ganz Europa nur mehr Fläche versiegelt werden, wenn eine gleich große Fläche entsiegelt wird.
Umweltministerin Leonore Gewessler drängt auf einen raschen Abschluss: „Der letzte Sommer hat uns mit ziemlicher Härte vermittelt, welche Gefahren dieses Zubetonieren bringt. Wir brauchen jedes Stück gesunden Boden dringend wie nie zuvor. Nur dort versickert Wasser, dort wächst gesunder Wald. Und ich hoffe wirklich, dass das ein Weckruf für alle Beteiligten war. Beim Bodenschutz braucht es Bund, Länder und Gemeinden - die alle beschließen jetzt gemeinsam eine Bodenschutzstrategie. Dort gehört das verbindliche Bodenschutzziel hinein. Genau daran arbeitet Norbert Totschnig gerade. Je früher das fertig ist, desto besser.“
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