Politische Bombe: EU-Naturschutzgesetz vor dem Fall, keine Mehrheit im Rat
Seit Jahren wird in der EU über das Nature Restauration Law, also das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur, verhandelt. Die EU will damit ihr Versprechen gegenüber der UNO zum Schutz der Natur halten.
Es gab längst eine Einigung beim Trilog, das ist jenes Gremium aus Vertretern des EU-Rates (der Minister), des EU-Parlaments und der EU-Kommission, das immer aktiviert wird, wenn ein finaler Kompromiss ausgehandelt werden muss. Solche Trilog-Verhandlungen scheitern immer wieder, dann muss die Gesetzgebung neu gestartet werden.
Doch bei der Nature-Restauration-Gesetzgebung war das nicht der Fall, es gab bereits eine Trilog-Einigung.
Die Gesetzwerdung in der EU sieht dann jedenfalls noch vor, dass das Trilog-Ergebnis von (irgendeinem) EU-Ministerrat formell beschlossen werden muss. Das Gesetz wird üblicherweise also durchgewunken.
Doch diesmal ist das nicht der Fall: Dieses Naturschutzgesetz braucht auch im Rat eine so genannte Qualifizierte Mehrheit: Das heißt, dass 55 % der Mitgliedstaaten für den Vorschlag stimmen müssen – in der Praxis bedeutet das 15 von 27; Und der Vorschlag muss von Mitgliedstaaten unterstützt werden, die zusammen mindestens 65 % der Gesamtbevölkerung der EU ausmachen.
Heute, Mittwoch, fand dazu wie üblich ein Treffen der EU-Botschafter in Brüssel statt, wo quasi testweise überprüft wird, ob es nach wie vor eine Mehrheit gibt. Eigentlich nur ein Formalakt.
Bekannt war, dass Finnland, Italien, Schweden, Niederlande, Belgien und Polen gegen den Vorschlag waren. Auch Österreichs Umweltministerin Leonore Gewessler hatte in diesem Fall von den Bundesländern, in deren Kompetenz der Naturschutz ist, die verbindliche Vorgabe bekommen, dem Gesetz nicht zuzustimmen.
Nun wollen aber offensichtlich auch die Regierungen von Rumänien, Slowakei und Ungarn plötzlich gegen das Gesetz stimmen.
Damit gibt es keine Qualifizierte Mehrheit mehr, das Gesetz kann also nicht beschlossen werden.
EU-Vorsitzland Belgien hat die Abstimmung deshalb von der Tagesordnung genommen. Möglich, dass es beim kommenden Treffen der EU-Botschafter (COREPER) am kommenden Freitag wieder auf die Tagesordnung gesetzt wird.
Oder aber die Belgier entscheiden, dass das Gesetz noch nachverhandelt werden muss.
Für die Arbeitsweise der EU ist dieses Nein jedenfalls ein Desaster, weil erneut eine Trilog-Einigung torpediert wurde, also eine Einigung wieder zurückgenommen wurde. Damit leidet die Glaubwürdigkeit der Brüsseler Politik massiv, weil immer weniger klar wird, ob eine beschlossene Einigung auch hält. Es ist also ein grundsätzliches Problem, wie Beschlüsse in Zukunft getroffen werden, wenn Ausverhandeltes nicht mehr hält.
Worum geht es beim Nature Restauration law?
Kernaussagen des EU-Gesetzes zur Wiederherstellung der Natur:
- Wiederherstellung von Land und Meer: Die EU hat sich das Ziel gesetzt, bis 2030 mindestens 20% der Land- und Meeresflächen und bis 2050 alle gefährdeten Ökosysteme wiederherzustellen.
- Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme: Die EU-Mitgliedsstaaten müssen geschädigte Ökosysteme wiederherstellen, wie Wälder, Wiesen, Feuchtgebiete, Flüsse, Seen, und Korallenriffe. Dies trägt zur Erreichung der EU-Ziele im Bereich Klima und Biodiversität bei und verbessert die Ernährungssicherheit.
- Konkrete Ziele: Die Mitgliedsstaaten müssen bis 2030 mindestens 30% der unter das Gesetz fallenden Lebensräume in einen guten Zustand bringen. Dieses Ziel erhöht sich bis 2040 auf 60% und bis 2050 auf 90%. Natura 2000 Gebiete sollten bis 2030 Priorität haben.
- Nationale Wiederherstellungspläne: Die Mitgliedsstaaten müssen nationale Wiederherstellungspläne erstellen, in denen sie detailliert darlegen, wie sie die gesetzten Ziele erreichen wollen.
Ökosysteme in der Landwirtschaft:
- Verbesserung der Biodiversität: Die EU-Länder müssen in landwirtschaftlichen Ökosystemen Fortschritte erzielen, zum Beispiel bei der Artenvielfalt von Schmetterlingen in Graslandschaften, in der Menge von Landschaftselementen mit hoher Diversität und im Gehalt an organischem Kohlenstoff in Ackerböden.
- Wiederherstellung von Moorgebieten: Die Mitgliedsstaaten müssen entwässerte Moorgebiete wiederherstellen. Diese Maßnahme ist zur Reduzierung von landwirtschaftlichen Emissionen äußerst effektiv. Bis 2030 sollen 30% der entwässerten Moorgebiete wiederhergestellt werden, mit weiteren Steigerungen bis 2040 und 2050.
- Ausnahmeregelung: Für außergewöhnliche Umstände, die die für die Nahrungsmittelproduktion benötigte EU-Fläche einschränken könnten, kann ein Notbremsmechanismus greifen.
Andere Ökosysteme:
- Wälder: Das Gesetz fordert Verbesserungen in Bezug auf Waldökosysteme und die Anpflanzung von drei Milliarden zusätzlichen Bäumen.
- Flüsse: Die Mitgliedsstaaten müssen mindestens 25.000 km Flüsse wieder in naturnahe, frei fließende Flüsse umwandeln.
- Städtische Grünflächen: Es darf zu keinem Nettoverlust an städtischen Grünflächen und an der städtischen Baumkronenüberdeckung kommen.
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