IV-Präsident-Knill: "Wir müssen uns mit Stagflation und Rezession beschäftigen“
KURIER: Die OMV hat sich Pipeline-Kapazitäten für 40 Terrawattstunden gesichert. Für den IV-Präsidenten ein Grund zum Verschnaufen?
Georg Knill: Damit ist das Etappenziel, einen warmen Winter haben zu können, greifbarer. Aus Sicht der Industrie ist das aber noch zu wenig. Was ist in den nächsten Jahren? Wie können wir langfristig russisches Gas substituieren? Woher bekommen wir Gas bis ausreichend erneuerbare Energiequellen da sind? Das wird Jahre dauern, doch davon spricht jetzt niemand.
40 Prozent des Gases verbraucht die Industrie, 20 Prozent die Haushalte. Die Politik versichert die Versorgung für Private. In Deutschland wird diese Priorität schon infrage gestellt. Stimmen Sie mit ein?
Wir haben in Deutschland und in Österreich eine vollkommen andere Diskussion. Man könnte glauben, es handelt sich um zwei unterschiedliche Krisen und Tempi in der Debatte. In Deutschland wird offen und ganz klar auch über Worst-Case-Szenarien gesprochen und die Bevölkerung perspektivisch informiert.
Sie sprechen auf Energie- und Wirtschaftsminister Robert Habeck an, der als Krisenmanager gefeiert wird …
… ich befürworte eine Kommunikation à la Habeck und Co., die ganzheitlich ist und Szenarien wie einen Totalausfall miteinschließt. In Deutschland spricht man schon darüber, ob der Job wichtiger ist oder die Wärme in den eigenen vier Wänden.
"Kein Job“ oder "Frieren bei 19 Grad“ ist populistisch oder realistisch?
Es muss offen darüber debattiert werden, und: Ich glaube, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich schon Gedanken über diese Prioritäten machen. Angeregt werden soll jedenfalls eine Debatte, dass alle einen Beitrag leisten müssen, um Gas einzusparen.
Wie rüstet sich die Industrie?
Bei der Gas-Einlagerung hat die Regierung durch eine Gesetzesänderung einen wichtigen Schritt gemacht. Manche Betriebe haben davon Gebrauch gemacht, andere haben das aus Liquiditätsproblemen nicht getan, weil es bei diesen Preisen nicht leistbar ist. Punktuell gibt es die Möglichkeit auf andere Energieträger wie Öl umzusteigen. Doch das braucht eine gewisse Vorlaufzeit, zudem erlauben viele Anlagen gar keine Umrüstung.
Mellach wird umgerüstet.
Gut, dass das Gaskraftwerk in Mellach umgerüstet wird auf Kohle. Doch wo bekommen wir Steinkohle her auf den Weltmärkten zu welchen Preisen? Das einzig Gute an dieser Krise ist, dass wir an Tempo zulegen, was den Umstieg auf Erneuerbare betrifft. In der Industrie sind wir bereit dazu, aber die Genehmigungsverfahren dauern immer noch zu lange.
Warum sorgt die Industrie nicht selbst vor, wenn die Politik scheints so säumig ist?
Die Industrieunternehmen machen ihre Hausaufgaben – das ist im Sinne ihrer Verantwortung ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und der heimischen Bevölkerung gegenüber auch geboten. Aber wir werden weiterhin Gas brauchen – über Jahre. Das kann nicht entweder die Politik oder der Markt managen, sondern das geht nur gemeinsam. Wir wollen die heimische Industrie bis 2050 transformieren und die Klimaziele erreichen, doch Gas ist dafür eine der fossilen Übergangstechnologien. Dafür müssen wir unsere Gas-Lieferungen diversifizieren - Am meisten Erfolg versprechen wir uns derzeit vom Süden, von Knotenpunkten in Italien und Kroatien, um über das Mittelmeer Gas aus Afrika und dem mittleren Osten zu bekommen.
Seit wann ruft der Markt derart laut nach dem starken Staat?
Das ist ein billiges Spiel zu sagen: „Ich ändere die Rahmenbedingungen, lieber Markt, organisier dich selbst.“ So einfach kann man es sich nicht machen, denn wir haben massiv geänderte Marktbedingungen durch die Sanktionen und Preise. Aus rein marktwirtschaftlicher Sicht muss ich auch bedenken, ob ich mir die Investition in ein Gasnetzwerk erlauben kann, wenn es politisch in 15 Jahren wahrscheinlich nicht mehr erlaubt sein wird? Diese Themen müssen wir im Schulterschluss mit der Politik klären.
Geben Sie WKO-Präsident Harald Mahrer recht, der Klimaministerin Leonore Gewessler im KURIER-Interview schwere Versäumnisse beim Krisenmanagement vorwarf.
Jeder, der Krisenmanagement kann, weiß, dass offen und transparent kommuniziert werden muss. Und, dass in Worst-Case-Szenarien gedacht und gehandelt werden muss. "Teile der Politik können nicht Krise“, das habe ich bereits gesagt und daran halte ich fest. Insofern hat Mahrer die öffentliche Debatte mit angestoßen, was notwendig war, wenn man sich das Tempo der Politik vor Augen führt.
Welcher Industriebereich wird zuerst unter der Gasknappheit leiden?
Was passiert, wenn uns das Gas ausgeht, kann man am Beispiel Frühstück sehen: Ohne Gas keine Milch für den Kaffee, weil die Molkerei nicht betrieben werden kann, kein Brot, weil der Ofen nicht mehr läuft, keine Wurst, weil sie nicht mehr verpackt werden kann und keine Zeitung, weil die Papierindustrie steht. Wenn Unternehmen nicht mit Gas versorgt werden, wird das sofort Auswirkungen auf uns alle haben.
Gibt es Blackout-Notfall-Pläne?
Wir setzen uns regelmäßig mit Strom-Blackout-Plänen auseinander. Auf IV-Initiative hin haben wir mit dem Klimaschutzministerium digitale Plattformen geschaffen, damit Betriebe sich informieren können. Der Bedarf an Detailwissen ist enorm. Es gibt 7.000 energieintensive Betriebe in Österreich und die wollen wissen, was wird geplant und was passiert, wenn.
Die Inflation steigt – und das schneller als erwartet. Gegenwärtig geht man in Österreich von 7,4 Prozent aus. Was bedeutet das für die Lohnverhandlungen im Herbst?
Ich gehe von intensiven Lohnverhandlungen aus. Die Industrie wird sich auf keine Zahlenspiele einlassen. Wir wissen nicht, wie die Situation im Herbst betreffend Energieversorgung sein wird. Ob wir – in die Zukunft blickend – mit dieser Inflation und Zinslage nicht vor ganz anderen Problemen stehen werden. Wir haben Sorgen, müssen uns in nächster Zeit mit Themen wie Stagflation und Rezession beschäftigen. Ich weiß nicht, ob die Arbeitnehmervertreter diese Sorgen schon teilen.
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