"Imame werden weiterhin gesteuert"

Bilal Baltaci ist türkischer Journalist und Edogan-Kritiker
Insider Bilal Baltaci mahnt zu strengeren Kontrollen der Moschee-Vereine und Predigten.

Er kam als Gastarbeiterkind nach Tirol, wuchs als überzeugter Europäer auf – und steht aufgrund seines Jobs auf einer jener umstrittenen Listen, die Erdoğan-treue Vereine nach Ankara gemeldet haben: Journalist Bilal Baltaci erklärt im KURIER-Interview, wie türkische Kultur-Vereine in Österreich Politik machen und woraus sich ihre Macht speist.

KURIER: Herr Baltaci, kann man wirklich davon ausgehen, dass Kultur-Vereine wie ATIB die Namen von Erdogan-Kritikern in Österreich in die Türkei melden?

Bilal Baltaci: Ehrlich gesagt wundere ich mich, dass man das, was Abgeordnete wie Peter Pilz kritisieren, nicht schon vor Jahren thematisiert hat. Natürlich ist es so. Ich selbst stehe auf einer der Listen von Regime-Kritikern, die die UETD (Union Europäisch-Türkischer Demokraten) nach Ankara geschickt hat.

Wie kam es dazu?

Ich bin seit meinem sechsten Lebensjahr in Österreich, bin im Zillertal aufgewachsen, bin durch und durch Europäer. Ich wollte Journalist werden und habe für die Österreich-Ausgabe von Zaman gearbeitet. Zaman war die größte Tageszeitung der Türkei. Vor zwei Jahren wurde die Redaktion in der Türkei von Erdoğans Schergen gestürmt und schließlich geschlossen. Die Zeitung zu lesen war ein Sicherheitsrisiko – auch hier in Österreich.

Warum?

Weil Zaman eine Nähe zu Fethullah Gülen hatte, der von Erdoğan für den Putsch verantwortlich gemacht wird. Zaman gilt, wenn Sie so wollen, als Terroristen-Blatt. Mir haben Freunde in Wien gesagt: "Wenn Zaman auf meiner Türmatte liegt, krieg’ ich Schwierigkeiten, dann steht bald der türkische Geheimdienst vor der Tür."

Sind Sie Gülen-Anhänger?

Nein, die treue Anhängerschaft widerspricht meinem Charakter. Man kennt mich in meinem Umfeld als einen Kritiker, das spielt aber für Ankara keine Rolle. Die einfache Logik Erdoğans ist: Ich habe für diese Zeitung gearbeitet, also bin ich ein Feind. In der Türkei wurde Zaman mit Gewalt geschlossen, in Österreich wurde die Zeitung subtiler umgebracht.

Hintergrund: Erdoğans Spitzel in Österreich haben viele Gesichter

Und zwar wie?

Unternehmer wurden genötigt, nicht mehr zu inserieren. Stellen Sie sich vor, sie haben eine Firma in Wien, die ihr Geld mit dem Handel mit der Türkei verdient, ja vielleicht sogar Filialen in der Türkei betreibt. Irgendwann kommt jemand zu Ihnen und sagt: "Wenn Du diese Zeitung unterstützt, kriegst Du in der Türkei ernste Probleme. Außerdem wohnen ja noch deine Freunde und Verwandten dort." Was tun Sie? Ignorieren Sie das einfach?

Warum haben die Türkei oder Präsident Erdogan ein Interesse daran, über Moschee-Vereine Einfluss auf österreichische Türken zu nehmen?

Zum Teil sind die Türken, die er über die Vereine in Deutschland oder Österreich anspricht, in der Türkei noch wahlberechtigt – es sind also potenzielle Unterstützer. 2014 war Erdoğan persönlich zum Wahlkämpfen in Wien, und jetzt startet der Ministerpräsident Yildirim den Wahlkampf für das Referendum in Europa. Der zweite Grund: Er kann mit dieser Bevölkerungsgruppe Druck auf die EU ausüben. Wenn Erdoğans Vereine in Europa mobil machen, gehen Tausende auf die Straße – das macht Eindruck, schafft Instabilität. Nach dem Putschversuch schrieben viele Erdoğan -Anhänger in den sozialen Medien, dass sie bei einem erfolgreichen Putsch gegen Erdoğan Europa in Brand setzen würden. Erinnern Sie sich noch, wie er in der Flüchtlingskrise die Flüchtlinge in der Türkei als Druckmittel gegen Brüssel verwendet hat? So funktioniert er einfach.

Und Vereine wie ATIB werden aus Ankara finanziert?

Davon bin ich überzeugt. Man muss sich nur ansehen, welche Aktivitäten sie entfalten: Da müssen jeden Monat Imame bezahlt werden, daneben gibt es Feste, Groß-Veranstaltungen, all das kostet Geld. Was ich kritisiere ist, dass bestimmte Vereine und Moscheen zu einer Spaltung der Gesellschaft beitragen. Das sind immer noch Parallel-Systeme und -Gesellschaften.

Aber die Auslandsfinanzierung der Imame ist längst verboten.

Das heißt aber nicht, dass sie nicht passiert. Im Vorstand von ATIB sitzen sehr kundige Menschen, Steuerberater, Anwälte etc. Die wissen, wie man sich gegenüber Behörden verhält, wie man Zahlungsflüsse frisiert. Und das Geld kann ja auch indirekt aus Ankara kommen.

Und zwar wie?

Muslimische Unternehmer werden "gebeten", "freiwillig" eine "Spende" an einen Verein zu leisten, damit im Gegenzug die Geschäfte gut laufen – was macht dieser Unternehmer? Wer immer noch nicht begriffen hat, was abläuft, der sollte einen Blick auf die türkische Auslandsvertretung in Wien werfen: Der Chef von ATIB ist gleichzeitig ein mit Immunität ausgestatteter Diplomat der türkischen Regierung. Noch klarer kann man die Verbindung Erdoğan -ATIB nicht darstellen.

Was müsste geschehen?

Zunächst einmal sollte eine funktionierende Kontrolle der Moschee-Vereine eingerichtet werden. Noch immer wird beim Freitagsgebet anti-österreichische und anti-europäische Propaganda verbreitet. Noch immer werden die Imame von Ankara aus gesteuert. Entweder werden die Predigten – wie im Islamischen Zentrum in Wien-Floridsdorf – auf Deutsch gehalten. Oder man übersetzt und kontrolliert sie. Derzeit geschieht zu wenig, um die Parallelgesellschaften aufzulösen.

Die allgemeine Aufregung war zwar groß, als der grüne Sicherheitssprecher Peter Pilz Ende der vergangenen Woche Indizien für die Spitzeltätigkeiten des Moscheen-Dachverbandes ATIB im Auftrag der türkischen Regierung vorlegte (der KURIER berichtete). Bei Kennern der türkischen Community in Österreich hielt sich die Überraschung allerdings in Grenzen: Es sei doch naheliegend, dass Präsident Recep Tayyip Erdoğan die Vorfeldorganisationen seiner AKP nutze, um politische Gegner – wie Anhänger der Gülen-Bewegung (die er für den Putschversuch in der Türkei verantwortlich macht) – auszuspionieren. In Österreich finden sich die Helfer aber nicht nur in den Reihen von ATIB. Nicht eben zurückhaltend agiert auch der verlängerte politische Arm Erdoğans, die Union Europäisch-Türkischer Demokraten – kurz UETD.

Bespitzelungsaufruf via Facebook

So hatte der Verein nach dem türkischen Putschversuch vergangenen Juli über soziale Medien den Aufruf der türkischen Sicherheitsbehörden, "Personen, die ihre Unterstützung für terroristische Aktionen kundtun" zu melden, veröffentlicht. Zu den Opfern der daraufhin erfolgten Denunziationen gehören auch Lehrer des Gülen-nahen Vereins Phönix, der in Wien eine Volksschule, eine Neue Mittelschule sowie ein Realgymnasium betreibt.

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Der Aufruf über Facebook sei allerdings nicht die erste Bespitzelungsaktion gewesen, erzählt ein Betroffener, der anonym bleiben möchte. "Bereits im Mai des Vorjahres hat die UETD eine Liste unseres Kollegiums nach Ankara geschickt. Unsere Lehrer mussten danach Flüge in die Türkei stornieren. Niemand will ein Risiko eingehen."

Zudem sei in der türkischen Gemeinde Druck auf Eltern ausgeübt worden, damit sie ihre Kinder von den Phönix-Schulen abmelden. Mit Erfolg: Seit Beginn des Schuljahres habe man in den drei Privatschulen mit 170 Schülern rund 60 weniger als vor den Ferien. "Das waren herbe finanzielle Rückschläge, die wir erst einmal verkraften mussten. Wir mussten Klassen zusammenlegen." Außerdem flogen Steine durch Schulfenster.

Bei der UETD sieht man sich allerdings im Recht: Die Gülen-Bewegung sei, "ebenso wie die PKK, eine terroristische Vereinigung", sagt Ramazan Aktas, Sprecher von UETD-Präsident Fatih Karakoca (dessen Vater ebenfalls in Verdacht geriet, Gülen-Anhänger zu sein). Pilz und seine Grünen stünden zudem der PKK nahe.

"Die UETD macht die Propagandaarbeit für die AKP", erklärt der ehemalige grüne Bundesrat Efgani Dönmez. Subventioniert werde sie vom türkischen YTB – dem Präsidium für Auslandstürken. In Millionenhöhe, wird gemutmaßt. Aktas bestreitet dies – man finanziere sich ausschließlich über "monatliche Mitgliedsbeiträge zwischen 5 und 30 Euro sowie Sponsoring bei Großveranstaltungen".

Wie gut die UETD zu mobilisieren imstande ist, bewies der Verein bereits mit mehreren Pro-Erdoğan-Demos in Wien. Im Rahmen jener, die am 16. Juli des Vorjahres über die Mariahilfer Straße zog, wurde der Schanigarten eines kurdischen Lokals verwüstet (wovon sich die größten türkischen Vereine auf Geheiß der türkischen Botschaft später offiziell distanzierten – auch die UETD).

Auf dem religiös-politischen Sektor lasse sich dagegen ATIB vor Erdoğans Karren spannen, sagt Pilz – und belegt dies mit Dokumenten aus der türkischen Botschaft. Schlüsselfigur ist deren bisheriger Religionsattaché Fatih Mehmet Karadas – der Vorsitzende von ATIB. Der Theologe spricht dagegen von rein "religiösen Einschätzungen" zur österreichischen Situation der Gülen-Bewegung, die er nach Ankara weitergeleitet hätte - von Bespitzelung könne aber keine Rede sein.

"Imame werden weiterhin gesteuert"
Der türkische Religionsattaché und ATIB-Präsident Fatih Mehmet Karadas nimmt Stellung zu den Spionagevorwürfen von Peter Pilz, die Grünen. Das Gespräch fand im Präsidium der ATIB in der Sonnleithnergasse 10-20 in Wien-Favoriten statt. Wien, 11.02.2017

Pilz, der der Vereinspolizei eine Sachverhaltsdarstellung zu den "nachrichtendienstlichen Aktivitäten" von ATIB vorlegte und eine Prüfung der ATIB-Finanzgebarung durch das Kultusamt erwirkte, geht weiters davon aus, dass der Einfluss Ankaras bis in die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) reicht. Ist deren Präsident Ibrahim Olgun doch von ATIB entsandt.

Die Freunde von ATIB

Obwohl dieser im KURIER bestritt, Befehle aus der Türkei zu erhalten, steht Pilz mit seiner Meinung nicht alleine da. Auch Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger erachtet den gemäßigten 28-jährigen Theologen als "Marionette" – "er bekommt seine Marschbefehle aus der türkischen Botschaft".

Das Argument, dass nur drei der 15 Mitglieder des Obersten Rates der IGGÖ Vertreter von ATIB seien, entkräfte diese Einschätzung nicht. Denn: der mit 63 Moscheen größte Verein innerhalb der IGGÖ sei mit der konservativen Islamischen Föderation der Milli-Görüs-Bewegung und der Türkischen Föderation, die der nationalistischen türkischen MHP (Graue Wölfe) nahesteht, ein Bündnis eingegangen, so Schmidinger. Im Obersten Rat sitzen acht Türken.

"Ja, wir haben eine ATIB-Milli-Görüs-Führung", bestätigt ein Eingeweihter aus der IGGÖ. Der noch junge Olgun sei jedoch bemüht, sein individuelles Profil zu schärfen. Eine Befehlsstruktur aus Ankara sei zwar nicht erkennbar, dafür gehe ohne die Islamische Föderation "gar nichts". Schon jetzt sei zwischen dieser und ATIB vereinbart, dass der nächste Präsident von Milli Görüs kommt. Gülen-Anhänger seien IGGÖ-intern zwar bekannt, aber keinen Repressalien ausgesetzt.

"Imame werden weiterhin gesteuert"

Religiöse Vereine in der Opferrolle

"Die Islamische Föderation und ATIB sind im Moment schwer zu differenzieren", meint auch Religionspädagoge Ednan Aslan. Ideologische Unterschiede seien kaum erkennbar.

Das war nicht immer so. Während ATIB seit den 1980er-Jahren Agententätigkeiten ausführe, sei früher im Speziellen Milli Görüs deren Ziel gewesen, sagt Aslan. Die damaligen Opfer seien nun die Täter.

Die muslimische Community in Österreich sieht er fest in türkischer Hand: mit rund 200 Moscheen würden etwa 60 Prozent des Bedarfs von türkischen Organisationen abgedeckt. Die Isolation gegenüber der Mehrheitsgesellschaft werde von diesen zum Teil "professionell gestaltet". In dieselbe Kerbe schlägt auch Schmidinger: "Das nationalreligiöse Spektrum der türkischen Diaspora hat sich in der Opferrolle einzementiert".

Das habe auch mit dem Ursprungsland zu tun, erläutert Soziologe Kenan Güngör. Dieses könne "eine Brückenfunktion übernehmen oder die Konflikte im Land noch weiter ins Ausland tragen. Und die Türkei hat hier zunehmend einen desintegrativen Einfluss."

Für Güngör ist die mutmaßliche Bespitzelung durch ATIB nur die Spitze des Eisbergs, viel weiter verbreitet sei die Kontrolle über soziale Medien. Die Leute in der türkischen Community seien vorsichtig geworden, was sie öffentlich sagen oder posten. "Das ist das größte Problem: Wir haben faktisch eine Zensur, die über die Grenzen der Türkei hinausgeht."

"Imame werden weiterhin gesteuert"
Aufruf Erdogan-Gegner

Personen, „die Terror unterstützen“ sollten türkischen Sicherheitsbehörden gemeldet werden, verbreitete die UETD via Facebook.

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