Erdoğans Spitzel in Österreich haben viele Gesichter

Erdoğans Spitzel in Österreich haben viele Gesichter
Der umstrittene Moscheen-Verband ATIB ist nicht die einzige Organisation, die für Erdoğans AKP in Österreich Augen und Ohren aufhält. Insider Güngör: "Wir haben eine Zensur, die über die Grenzen der Türkei hinausgeht.".

Die allgemeine Aufregung war zwar groß, als der grüne Sicherheitssprecher Peter Pilz Ende der vergangenen Woche Indizien für die Spitzeltätigkeiten des Moscheen-Dachverbandes ATIB im Auftrag der türkischen Regierung vorlegte (der KURIER berichtete). Bei Kennern der türkischen Community in Österreich hielt sich die Überraschung allerdings in Grenzen: Es sei doch naheliegend, dass Präsident Recep Tayyip Erdoğan die Vorfeldorganisationen seiner AKP nutze, um politische Gegner – wie Anhänger der Gülen-Bewegung (die er für den Putschversuch in der Türkei verantwortlich macht) – auszuspionieren. In Österreich finden sich die Helfer aber nicht nur in den Reihen von ATIB. Nicht eben zurückhaltend agiert auch der verlängerte politische Arm Erdoğans, die Union Europäisch-Türkischer Demokraten – kurz UETD.

Bespitzelungsaufruf via Facebook

So hatte der Verein nach dem türkischen Putschversuch vergangenen Juli über soziale Medien den Aufruf der türkischen Sicherheitsbehörden, "Personen, die ihre Unterstützung für terroristische Aktionen kundtun" zu melden, veröffentlicht. Zu den Opfern der daraufhin erfolgten Denunziationen gehören auch Lehrer des Gülen-nahen Vereins Phönix, der in Wien eine Volksschule, eine Neue Mittelschule sowie ein Realgymnasium betreibt.

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Der Aufruf über Facebook sei allerdings nicht die erste Bespitzelungsaktion gewesen, erzählt ein Betroffener, der anonym bleiben möchte. "Bereits im Mai des Vorjahres hat die UETD eine Liste unseres Kollegiums nach Ankara geschickt. Unsere Lehrer mussten danach Flüge in die Türkei stornieren. Niemand will ein Risiko eingehen."

Zudem sei in der türkischen Gemeinde Druck auf Eltern ausgeübt worden, damit sie ihre Kinder von den Phönix-Schulen abmelden. Mit Erfolg: Seit Beginn des Schuljahres habe man in den drei Privatschulen mit 170 Schülern rund 60 weniger als vor den Ferien. "Das waren herbe finanzielle Rückschläge, die wir erst einmal verkraften mussten. Wir mussten Klassen zusammenlegen." Außerdem flogen Steine durch Schulfenster.

Bei der UETD sieht man sich allerdings im Recht: Die Gülen-Bewegung sei, "ebenso wie die PKK, eine terroristische Vereinigung", sagt Ramazan Aktas, Sprecher von UETD-Präsident Fatih Karakoca (dessen Vater ebenfalls in Verdacht geriet, Gülen-Anhänger zu sein). Pilz und seine Grünen stünden zudem der PKK nahe.

"Die UETD macht die Propagandaarbeit für die AKP", erklärt der ehemalige grüne Bundesrat Efgani Dönmez. Subventioniert werde sie vom türkischen YTB – dem Präsidium für Auslandstürken. In Millionenhöhe, wird gemutmaßt. Aktas bestreitet dies – man finanziere sich ausschließlich über "monatliche Mitgliedsbeiträge zwischen 5 und 30 Euro sowie Sponsoring bei Großveranstaltungen".

Wie gut die UETD zu mobilisieren imstande ist, bewies der Verein bereits mit mehreren Pro-Erdoğan-Demos in Wien. Im Rahmen jener, die am 16. Juli des Vorjahres über die Mariahilfer Straße zog, wurde der Schanigarten eines kurdischen Lokals verwüstet (wovon sich die größten türkischen Vereine auf Geheiß der türkischen Botschaft später offiziell distanzierten – auch die UETD).

Auf dem religiös-politischen Sektor lasse sich dagegen ATIB vor Erdoğans Karren spannen, sagt Pilz – und belegt dies mit Dokumenten aus der türkischen Botschaft. Schlüsselfigur ist deren bisheriger Religionsattaché Fatih Mehmet Karadas – der Vorsitzende von ATIB. Der Theologe spricht dagegen von rein "religiösen Einschätzungen" zur österreichischen Situation der Gülen-Bewegung, die er nach Ankara weitergeleitet hätte - von Bespitzelung könne aber keine Rede sein.

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Der türkische Religionsattaché und ATIB-Präsident Fatih Mehmet Karadas nimmt Stellung zu den Spionagevorwürfen von Peter Pilz, die Grünen. Das Gespräch fand im Präsidium der ATIB in der Sonnleithnergasse 10-20 in Wien-Favoriten statt. Wien, 11.02.2017

Pilz, der der Vereinspolizei eine Sachverhaltsdarstellung zu den "nachrichtendienstlichen Aktivitäten" von ATIB vorlegte und eine Prüfung der ATIB-Finanzgebarung durch das Kultusamt (siehe Abschnitt unten) erwirkte, geht weiters davon aus, dass der Einfluss Ankaras bis in die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) reicht. Ist deren Präsident Ibrahim Olgun doch von ATIB entsandt.

Die Freunde von ATIB

Obwohl dieser im KURIER bestritt, Befehle aus der Türkei zu erhalten, steht Pilz mit seiner Meinung nicht alleine da. Auch Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger erachtet den gemäßigten 28-jährigen Theologen als "Marionette" – "er bekommt seine Marschbefehle aus der türkischen Botschaft".

Das Argument, dass nur drei der 15 Mitglieder des Obersten Rates der IGGÖ Vertreter von ATIB seien, entkräfte diese Einschätzung nicht. Denn: der mit 63 Moscheen größte Verein innerhalb der IGGÖ sei mit der konservativen Islamischen Föderation der Milli-Görüs-Bewegung und der Türkischen Föderation, die der nationalistischen türkischen MHP (Graue Wölfe) nahesteht, ein Bündnis eingegangen, so Schmidinger. Im Obersten Rat sitzen acht Türken.

"Ja, wir haben eine ATIB-Milli-Görüs-Führung", bestätigt ein Eingeweihter aus der IGGÖ. Der noch junge Olgun sei jedoch bemüht, sein individuelles Profil zu schärfen. Eine Befehlsstruktur aus Ankara sei zwar nicht erkennbar, dafür gehe ohne die Islamische Föderation "gar nichts". Schon jetzt sei zwischen dieser und ATIB vereinbart, dass der nächste Präsident von Milli Görüs kommt. Gülen-Anhänger seien IGGÖ-intern zwar bekannt, aber keinen Repressalien ausgesetzt.

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Religiöse Vereine in der Opferrolle

"Die Islamische Föderation und ATIB sind im Moment schwer zu differenzieren", meint auch Religionspädagoge Ednan Aslan. Ideologische Unterschiede seien kaum erkennbar.

Das war nicht immer so. Während ATIB seit den 1980er-Jahren Agententätigkeiten ausführe, sei früher im Speziellen Milli Görüs deren Ziel gewesen, sagt Aslan. Die damaligen Opfer seien nun die Täter.

Die muslimische Community in Österreich sieht er fest in türkischer Hand: mit rund 200 Moscheen würden etwa 60 Prozent des Bedarfs von türkischen Organisationen abgedeckt. Die Isolation gegenüber der Mehrheitsgesellschaft werde von diesen zum Teil "professionell gestaltet". In dieselbe Kerbe schlägt auch Schmidinger: "Das nationalreligiöse Spektrum der türkischen Diaspora hat sich in der Opferrolle einzementiert".

Das habe auch mit dem Ursprungsland zu tun, erläutert Soziologe Kenan Güngör. Dieses könne "eine Brückenfunktion übernehmen oder die Konflikte im Land noch weiter ins Ausland tragen. Und die Türkei hat hier zunehmend einen desintegrativen Einfluss."

Für Güngör ist die mutmaßliche Bespitzelung durch ATIB nur die Spitze des Eisbergs, viel weiter verbreitet sei die Kontrolle über soziale Medien. Die Leute in der türkischen Community seien vorsichtig geworden, was sie öffentlich sagen oder posten. "Das ist das größte Problem: Wir haben faktisch eine Zensur, die über die Grenzen der Türkei hinausgeht."

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Aufruf Erdogan-Gegner

Personen, „die Terror unterstützen“ sollten türkischen Sicherheitsbehörden gemeldet werden, verbreitete die UETD via Facebook.

Ob der aktuellen Vorwürfe wird das Kultusamt die Finanzgebarung von ATIB prüfen. Dass dort gegen das Islamgesetz – sprich: gegen das Verbot der Auslandsfinanzierung – verstoßen wird, glaubt Kultusamt-Leiter Oliver Henhapel jedoch nicht. Zum einen, weil ATIB stets kooperativ sei. Zum anderen, weil der Verein ordentliche Bilanzen lege.

Woher Spender kommen, ist egal

ATIB ist mit rund 100.000 Mitgliedern der größte türkische Verein in Österreich und bündelt rund 65 Moscheevereine unter seinem Dach. Laut Sprecher Selfet Yilmaz finanzieren sich die einzelnen Vereine selbstständig über Mitgliedsbeiträge (12 bis 50 Euro im Monat) und Spenden. Jeder Verein hat seine individuelle Rechnungslegung. Die Imame werden vom Dachverband bezahlt, die einzelnen Vereine leisten einen Beitrag. Derzeit sind rund 65 Imame beschäftigt, die nach Kollektivvertrag entlohnt werden. ATIB betont, dass die Vereine kein Geld aus dem Ausland beziehen und die Gesetze einhalten, die Staatsangehörigkeit von Spendern werde freilich nicht überprüft. ATIB besitzt auch eine Reihe von Immobilien, die über Kredite von heimischen Banken finanziert werden, so Yilmaz.

Der KURIER fragte auch bei der Islamischen und der Türkischen Föderation sowie bei der Union Islamischer Kulturzentren (UIKZ) nach deren Finanzierung. Geantwortet hat Ersoy Bülbül, Sprecher der Islamischen Föderation mit mehr als 8000 Mitgliedern: "Jeder der 21 Moscheevereine finanziert sich über monatliche Mitgliedsbeiträge zwischen 10 und 50 Euro, über Spenden und Wohltätigkeitsveranstaltungen. Stiftungen gibt es bei uns nicht."

Und auch Baki Uslu von der Türkischen Föderation, die rund 5000 Mitglieder und 20 Moscheen zählt, betont: "Jeder unserer Vereine bezahlt seinen Imam selber. Die Mittel stammen nur aus dem Inland." Die Finanzierung werde gesichert durch Mitgliedsbeiträge von 10 bis 20 Euro pro Monat, Spenden und Benefizveranstaltungen. Vom Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) bekäme man trotz mehrerer integrativer Projekte, wie zum Beispiel Deutschkurse oder Gute-Nachbarschaft-Feste leider keine Subvention, bedauert Uslu.

Die Islamische Glaubensgemeinschaft hat kaum Budget. Die Bürogebäude in der Wiener Bernardgasse und in der Neustiftgasse sind im eigenen Besitz, der muslimische Friedhof in Liesing trägt sich selbst und die Religionslehrer werden vom Bund bezahlt. Das Gehalt, das der Präsident nach der neuen Verfassung der IGGÖ erhalten soll, und das Büropersonal werden von den Kultusgemeinden finanziert.

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