Im Wartezimmer der Justiz: Welche Reformen noch eine Chance haben
Raffaela Lindorfer
02.02.24, 18:04Acht Monate – sofern der reguläre Wahltermin hält – bleiben der türkis-grünen Koalition noch, um Projekte umzusetzen. Das grün geführte Justizressort hat noch einiges in der Pipeline – kommt aber nur schleppend voran, weil es sich mit dem Koalitionspartner spießt. Über alledem schwebt ein Damoklesschwert: Wenn’s die Grünen nicht mehr hinkriegen, macht’s die ÖVP vielleicht in der nächsten Koalition mit der FPÖ.
Der KURIER hat sich umgehört, welche Projekte vor dem Abschluss stehen, welche in der Schwebe sind – und welche schon ad acta gelegt wurden.
Kostenersatz
70 Millionen Euro sind heuer im Budget für den Kostenersatz bei Freispruch und Einstellung des Strafverfahrens vorgesehen. Ein passendes Modell sei in „politischen Verhandlungen“, heißt es – ein Konsens dürfte nicht allzu lange auf sich warten lassen.
Für die folgenden Jahre hat die ÖVP – vermutlich ohne Grüne – schon eine Weiterentwicklung im Sinn: Der kürzlich präsentierte „Österreichplan“ sieht eine „volle Rückerstattung der Kosten bei Freispruch“ vor. Dafür braucht es aber deutlich mehr Geld.
Handysicherstellung
Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) zwingt die Regierung zum Handeln, indem er die aktuelle Regelung zur Sicherstellung mit Ende des Jahres aufheben lässt. Im Justizministerium arbeitet man gerade mit Hochdruck an einem Entwurf, der – gemäß Vorgabe des VfGH – eine richterliche Bewilligung vorsieht.
Die Standesvertretung der Rechtsanwälte (ÖRAK) wird es den Legisten aber nicht leicht machen: Der ÖRAK wandte bereits ein, dass ein bloßer Stempel des Richters nicht reicht. Von der Sicherstellung über die Auswertung der Ergebnisse müsse der Vorgang zielsicher und transparent gestaltet sein.
Medienprivileg und Zitierverbot
Auch hier gibt es wegen eines VfGH-Erkenntnisses Handlungsbedarf: Das „Medienprivileg“, das Ausnahmen beim Datenschutz vorsieht, muss bis 30. Juni repariert werden. ÖVP-Ministerin Karoline Edtstadler will im Zuge dessen ein Zitierverbot einführen, damit Journalisten nicht mehr aus Ermittlungsakten zitieren dürfen. Von der grünen Justizministerin Alma Zadić gibt es ein klares Nein. Auch in einer neuen Koalition dürfte sich die ÖVP schwertun: SPÖ und FPÖ waren zuletzt dagegen.
Unabhängige Weisungsspitze
Beide Seiten beharren auf ihrem Standpunkt: Die Grünen wollen das Weisungsrecht bei Strafverfahren, das bei der Justizministerin (also in Händen einer Politikerin) liegt, einem Dreiersenat übertragen. Die ÖVP will eine Einzelspitze. Nicht einmal über den Namen ist man sich einig: Die Grünen wollen einen Generalstaatsanwalt, die ÖVP einen Bundesstaatsanwalt.
Ob sich eine neue Regierung des Themas annimmt, ist offen. Zumindest die FPÖ hat kein Interesse daran, das Weisungsrecht wegzudelegieren.
Neubesetzung des Weisungsrates
Bei der Ausübung des Weisungsrechts – also der Entscheidung, ob ein Verfahren eingestellt oder ob Anklage erhoben wird – lässt sich die Justizministerin von einem Gremium beraten. Zwar gibt es seit November eine neue Vorsitzende (Generalprokuratorin Margit Wachberger), die Neubesetzung der Mitglieder wäre aber schon am 1. Jänner 2023 (!) fällig gewesen.
Dem Vernehmen nach können sich ÖVP und Grüne nicht einigen, daher lässt man die aktuelle Besetzung weiterarbeiten. Die nächste Koalition könnte sich die Mitglieder dann selber aussuchen – immerhin dauert die Funktionsperiode sieben Jahre.
Fußfessel
Um die Gefängnisse zu entlasten und Steuergeld zu sparen, sollen künftig mehr Straftäter ihre Strafe in den eigenen vier Wänden absitzen. Derzeit ist ein elektronisch überwachter Hausarrest nur bei Strafen von bis zu einem Jahr möglich. Ministerin Zadić will auf zwei Jahre ausweiten (ausgenommen sind schwere Gewalt- und Sexualdelikte). Ein Entwurf, der Teil einer Strafvollzugsreform ist, liegt seit Juli 2023 vor, die ÖVP hat dem Vernehmen nach keine gröberen Einwände. „Die Ausweitung wird kommen“, heißt es aus Regierungskreisen.
Gewaltambulanzen
Zwei Pilotprojekte – eines in Wien, eines in Graz – sollen im Frühjahr starten. Parallel dazu wird am passenden Gesetz gearbeitet: In Spitälern sollen Ambulanzen eingerichtet werden, an die sich Gewaltopfer wenden können. Gerichtsmediziner sollen dafür sorgen, dass Spuren am Körper so sichergestellt werden, dass sie vor Gericht halten.
Familien- bzw. Kindschaftsrecht
Die Verhandlungen zwischen Zadić und Familienministerin Susanne Raab (ÖVP) kommen nicht vom Fleck – zu heikel sind die einzelnen Punkte des Pakets rund um Ehe und elterliche Verantwortung bei Trennung. Eine „Ehe light“, wie sie Zadić einmal angedacht hatte, wurde relativ rasch gekübelt.
Einig sind sich alle Parteien bezüglich einer Unterhaltsgarantie – dass also der Staat einspringt, wenn ein Elternteil seine Alimente nicht zahlt. Umgesetzt wurde es trotzdem nie. Möglich, dass das Thema im Wahlkampf eine neue Dynamik entwickelt.
Obsorge für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
NGOs warnen seit Langem, dass Großquartiere des Bundes nicht kinderadäquat seien – ein Vorfall in Steyregg hat das neuerlich bewiesen. Ein Gesetzesentwurf, der vorsieht, dass die Länder automatisch die Obsorge übernehmen und für ein geeignetes Quartier sorgen, dürfte am Widerstand der Länder gescheitert sein. Auch, weil das ein Thema ist, mit dem die FPÖ Stimmung machen könnte.
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