Wann wurde es in Deutschland eingeführt?
In der jetzigen Form schon 1974 – und zwar, um einerseits eine Vorverurteilung des Beschuldigten und andererseits eine Beeinflussung der Richter zu vermeiden, die durch die mediale Berichterstattung entstehen könnte, erklärt Gerhard Dannecker, Strafrechtsprofessor an der Universität Heidelberg.
Mit dem Gesetz werde eine klare Linie gezogen: „Strafrechtliche Ermittlungen sind nicht öffentlich. Sie werden es erst, wenn sich ein unabhängiges Gericht damit in öffentlicher Hauptverhandlung beschäftigt.“
Was, wenn sich der Beschuldigte selbst mit dem Akt an die Medien wendet?
Auch sein Einverständnis ändert nichts an der Strafbarkeit – wie erwähnt, sollen Zeugen und Richter nicht in eine Richtung gelenkt werden können. Zudem gibt es in Deutschland einen Straftatbestand, wenn Anwälte, Sachverständige und andere Berufsgruppen unbefugt Akten weitergeben (§ 203 StGB „Verletzung von Privatgeheimnissen“). Im österreichischen Strafgesetzbuch gilt das nur für Beamte (§ 310 StGB Verletzung des Amtsgeheimnisses). Anwälte aber dürfen Akten weitergeben, wenn ihr Mandant zustimmt.
Wie viele Strafen gibt es wegen des Zitierverbots?
Sehr wenige. Laut deutschem Justizministerium gab es 2021 sieben Verurteilungen, 2020 zwölf, 2019 acht und 2018 nur drei (für 2022 liegen noch keine Daten vor).
Dannecker betont aber: „Die Bedeutung eines Gesetzes bemisst sich danach, ob es eingehalten wird. In Deutschland geben sich die Medien spürbar Mühe.“
Welche prominenten Fälle gab es bisher?
In der Cum-Ex-Causa wurden beim Banker Christian Olearius Tagebücher sichergestellt, in denen Treffen mit dem damaligen Hamburger Bürgermeister und heutigen Kanzler Olaf Scholz geschildert werden. Olearius verklagte erfolgreich die Medien, die daraus zitiert hatten, schildert Dannecker.
Die Tagebücher durften auch im Untersuchungsausschuss nicht verwendet werden, weil sie sonst ja auf diesem Wege öffentlich geworden wären. In Österreich kann man davon – siehe Ibiza-U-Ausschuss – ein Lied singen.
Können Medien das Zitierverbot umgehen?
Mit Paraphrasierungen oder Teilzitaten kann man sich nicht durchschummeln. „Entscheidend ist, ob wesentliche Teile des Dokuments im Wortlaut wiedergegeben werden“, sagt Strafrechtler Dannecker.
Es kommt durchaus vor, dass sich Medien eine Verurteilung „leisten“, weil die Geschichte es ihnen wert ist. In der Cum-Ex-Causa hat beispielsweise ein Boulevardblatt aus den Tagebüchern zitiert, ein Nachrichtenmagazin hat dann den Boulevard-Artikel zitiert. Auch das Veröffentlichen bereits veröffentlichter Dokumente sei nach Auffassung der Rechtssprechung strafbar, sagt Dannecker.
Schränkt das Zitierverbot die Pressefreiheit ein?
Gerade der Investigativjournalismus lebt davon, dass Journalisten veröffentlichen, was – aus welchen Gründen auch immer – der Öffentlichkeit vorenthalten wurde. Dannecker sagt aber: „Journalisten dürfen in eigenen Worten schreiben, was sie aufgedeckt haben.“ Die Einschränkung sei nur eine geringfügige.
Chats von Ex-ÖVP-Intimus Thomas Schmid, die Einblicke in die „türkise Familie“ gegeben haben („Du bist die Hure für die Reichen“ etc.), könnten veröffentlicht werden. „Die Zitierung einzelner Sätze ist nicht verboten, erst die Veröffentlichung wesentlicher Teile des Dokuments im Wortlaut.“
Wie steht die deutsche Politik zum Zitierverbot?
Marco Buschmann, Justizminister der liberalen FDP, erklärte im Standard: „Wir haben hier eine schwierige Abwägung zwischen der Pressefreiheit und den Rechten der Beschuldigten, die bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig gelten. Und natürlich kann eine bestimmte Form der Berichterstattung den Ruf und die Zukunft von Menschen vernichten. Deshalb haben wir eine Verantwortung gegenüber diesen Personen.“
Und er widersprach seiner Amtskollegin Zadić, dass sich das Gesetz nicht bewährt hätte: „Ich habe den Eindruck, dass wir in Deutschland gut damit zurechtkommen.“
Kommentare