Scheidungsanwältin Helene Klaar: "Um Kinder kämpft man nicht"
Justizministerin Alma Zadić (Grüne) plant eine Reform des Kindschafts- und Eherechts – eine „feministische Reform“, wie sie betont. Bei dem Stichwort erschaudert Helene Klaar, renommierte Scheidungsanwältin aus Wien. Das Gegenteil könnte passieren: Frauen könnten noch mehr unter Druck kommen. Warum, erklärt sie im Interview anhand von früheren Fällen, mit Anekdoten und mit Bezügen zu ihrer eigenen Kindheit und Ehe.
KURIER: Ein Kind braucht beide Elternteile. Stimmt das?
Helene Klaar: Bei „braucht“ zögere ich. Ich bin 1948 geboren und in einer sogenannten „intakten Familie“ aufgewachsen. Bei vielen meiner Freunde haben die Väter gefehlt, aber da wäre niemand darauf gekommen, zu einer Mutter zu sagen: „Schmeißen Sie das Kind weg, weil ohne Vater können Sie es nicht großziehen.“ Was ein Kind wirklich braucht, ist eine Person, die ihm zugewendet ist und es gut betreut. Wenn es zwei oder mehrere gibt, ist das gewissermaßen Luxus.
Wie wichtig ist ein Vater?
Das kommt darauf an, ob er den Kindern zugewendet ist. Ich bin ein Vaterkind. Es gibt kaum einen Tag, an dem ich meinen Vater nicht erwähne oder zitiere. Für mich war er unendlich wichtig, aber das war ich auch für ihn.
Solche liebevollen Väter halten Sie für die Ausnahme?
In meiner Generation war das die absolute Ausnahme. Jetzt entdecken die meisten Männer das Interesse an ihren Kindern oft erst nach der Trennung.
Die Reform des Kindschaftsrechts zielt auf Gleichstellung ab. Ist das realistisch?
Der Gedanke ist: Wenn der Vater so viele Rechte hat wie die Mutter, dann wird das Interesse am Kind schon kommen. Ich denke, es muss umgekehrt sein: Wenn sich ein Vater für das Kind interessiert, dann soll er auch nach der Trennung der Eltern einen möglichst intensiven Kontakt halten können. Aber ich bin dagegen, dass ein Kind so lebt wie ein burgenländischer Pendler.
Sie meinen die Idee der Doppelresidenz?
Ja, aber die ist im Gesetz gar nicht vorgesehen, sondern müsste vereinbart werden, wenn die Eltern es wollen.
Gibt es Kinder, die bei beiden Elternteilen leben wollen?
Wenn sie das sagen, dann oft nur, damit ihre depperten Alten nicht streiten. Ich finde das schrecklich.
Wie soll man die Obsorge nach der Trennung regeln?
Für die Kinder wäre es gut, wenn sich möglichst wenig ändert. Wenn sie weiter wohnen könnten, wo sie bisher gewohnt haben und wenn der Elternteil, der sich bisher mehr um Haushalt und Betreuung gekümmert hat, das weiterhin tut. Zum anderen Teil soll das Kind entsprechend dem bisherigen Kontakt weiterhin eine intensive Beziehung haben können. Der Kontakt sollte jedes zweite Wochenende und, wenn möglich, einen Nachmittag pro Woche umfassen. Über die genaue zeitliche Ausgestaltung kann man diskutieren.
Woran erkennt man in einem Scheidungsverfahren, ob ein Vater engagiert ist?
Indem er zum Beispiel weiß, was sein Kind in der Schule mag und was nicht, wer die Freunde sind, wer der Lieblingssänger ist. Ich halte nichts von diesen unsäglichen Interaktionstests beim Psychologen, wo die Väter mit den Kindern Lego bauen. Ich hätte gerne einmal einen Interaktionstest beim Zehennägel schneiden.
Mit der geteilten Obsorge geht einher, dass ein Vater weniger oder gar keinen Unterhalt zahlen muss, wenn er sich zu mehr als 35 Prozent um das Kind kümmert.
Es ist erwiesen, dass Frauen in der Ehe verarmen, weil sie schon durch die Kinder weniger arbeiten und verdienen. Wenn dann noch der Unterhalt wegfällt, ist das eine Armutsfalle. Das Ganze hat bezüglich der Väter auch einen unangenehmen Klassenaspekt. Ein Schichtarbeiter bei der Voest kann nicht zu 35 Prozent betreuen. Das heißt: Die Proleten zahlen Unterhalt; die IT-Berater und Beamten lustwandeln mit ihren Kindern am Licht und zahlen nichts.
Was halten Sie dann von der Idee eines Betreuungsunterhalts für Frauen, die wegen der Kinder nicht voll arbeiten können?
So gut es gemeint ist, das ist leider, was man im Wienerischen nennt: dem Dreck eine Watschen geben. Wir haben schon jetzt Beweisverfahren, wie oft er den Müll hinuntergetragen und wie oft sie den Geschirrspüler ausgeräumt hat, um zu sehen, wie stark jemand vom Haushalt belastet ist. Bis eine Frau da ihren Anspruch durchgesetzt hat, haben die Kinder Matura.
Die Justizministerin sagt, sie plant hier eine „feministische Reform“. Ist das so?
Ein Gros der Frauen ist heute berufstätig, ist tendenziell unabhängiger als früher. Darum schlägt das Patriarchat jetzt zu, wo Frauen noch verwundbar sind: bei den Kindern. Was uns da, als feministische Reform angepriesen wird, ist in Wahrheit ein Racheakt des Patriarchats. Geschiedene Frauen werden eine weniger intensive Beziehung zu ihren Kindern haben und die bisherige Lebensqualität noch weniger aufrechterhalten können als jetzt.
Was müsste passieren?
Das Familienrecht kann nicht losgelöst werden von den wirtschaftlichen Gegebenheiten. Ich bin fest überzeugt: Wenn wir die 30-Stunden-Woche hätten, zumindest für Eltern von Kindern unter 15 Jahren, dann hätten wir weniger Scheidungen. Und auch nach einer Scheidung ließen sich Beruf und Kinderbetreuung besser vereinbaren, wenn beide nur 30 Stunden arbeiten.
Apropos: Woran scheitern eigentlich die meisten Ehen?
Ich habe einmal gesagt: am zweiten Kind. Aber das Kind kann nichts dafür. Es ist einfach der Alltag und dieser Dauerlauf von Erledigungen. Alles bleibt auf der Strecke – jede Kommunikation zwischen Partnern, etwas Schönes für sich selbst zu machen und so weiter.
Die ökonomischen Verhältnisse werden wir so schnell nicht ändern können ...
... dann muss man in Kauf nehmen, dass die Menschen in einer ständigen Überforderung leben und ihre Ehen scheitern. Ich bin einmal kritisiert worden, weil ich in einem Interview gesagt habe: Der Kapitalismus ist schuld. Viele geben sich aber lieber gegenseitig die Schuld am Scheitern.
Welche Reform bräuchte es aus Ihrer Sicht dann?
Das jetzt vorgesehene Gesetz wäre eine gute Regelung für intakte Ehen, aber nicht für Menschen, die sich gerade getrennt haben. Dieses Scheitern ist meist mit Enttäuschungen und Kränkungen verbunden. Wir brauchen eine einfache und rigide Regelung für Fälle, wo gar nichts geht. Etwas anderes ausmachen können sich die Leute immer. Selbst bevor wir die gemeinsame Obsorge im Gesetz hatten, gab es Leute, die sich die Kinder aufgeteilt haben, ohne dass jemand ein Taferl um den Hals hatte: „Ich habe die Mit-Obsorge“. Das waren offenbar sehr ausgeglichene Menschen, die unter diesem Prestigeverlust nicht gelitten haben.
Die Justizministerin will den Gewaltbegriff auf psychische Gewalt ausweiten. Was halten Sie davon?
Den Gedanken begrüße ich, aber es wird nichts nützen. Es ist extrem schwer, psychische Gewalt nachzuweisen. Ich werde hellhörig, wenn ein Vater sagt: „Ich kämpfe dafür, dass meine Kinder bei mir leben.“ Um Kinder kämpft man nicht – das ist keine kriegerische Auseinandersetzung. Aber diese Art von Vätern ist so und das ist schon eine Form der psychischen Gewalt.
Auch das Verschuldensprinzip bei Scheidungen soll laut Regierungsprogramm fallen. Wie finden Sie das?
Furchtbar. Beim Verschuldensprinzip geht es darum, festzustellen, ob die Ehe überhaupt geschieden wird. Unterhalt steht nur dem an der Scheidung schuldlosen oder minder schuldigen Teil zu. Dazu gibt es die Meinung: Jeder, der Unterhalt braucht, soll ihn kriegen. Aber ich frage mich schon: Muss ein Mann, der immer viel gearbeitet hat, seine Frau, der daheim fad ist und die ein Verhältnis mit dem Nachbarn anfängt, nach der Scheidung ihr restliches Leben lang erhalten? Das sieht niemand ein und ich glaube, dann hört sich das mit dem Unterhalt generell auf – auch für Frauen, die ihren Männern keinen Anlass zur Scheidung gegeben haben. Ein warnendes Beispiel ist Deutschland, wo man erst einen verschuldensunabhängigen Unterhalt eingeführt, aber bald danach den Unterhaltsanspruch auf drei oder vier Jahre nach der Scheidung beschränkt hat.
Zum Abschluss etwas Persönliches: Wenn Sie noch einmal jung wären, würden Sie dann wieder heiraten?
Ja sicher. Es ist in 45 Jahren Ehe nicht alles so strahlend gewesen, wie ich es mir vorgestellt habe, aber wir haben durchgehalten und jetzt leben wir wieder wie Philemon und Baucis.
Was ist Ihr Geheimnis für eine gute Ehe?
Ich kann mich nur wiederholen: Man muss erkennen, wenn es einem schlecht geht, dass nicht der Partner schuld ist, sondern der Kapitalismus.
Kommentare