Neuregelung der Handyabnahme: Anwälte fordern Aus für „Stempelbeschluss“

Aus dem jährlichen Wahrnehmungsbericht des Österreichischen Rechtsanwaltskammertags (ÖRAK) wird ein täglicher: Auf der neuen Plattform wahrnehmungsbericht.at soll ab sofort tagesaktuell über Missstände in der Rechtspflege informiert werden.
Behörden könnten dann auch rascher darauf reagieren, erklärte ÖRAK-Präsident Armenak Utudjian bei der Präsentation am Mittwoch. Nicht nur die Meldung eines Missstands soll auf der Plattform veröffentlicht werden, sondern auch die Lösung.
VfGH zwingt zum Handeln
Ein massiver Missstand, auf den die ÖRAK im vergangenen Jahr aufmerksam gemacht hat, wird jetzt zwangsweise aufgelöst – dafür hat der Verfassungsgerichtshof gesorgt: Die jetzige Regelung, dass Staatsanwaltschaften ohne richterliche Bewilligung Handys sicherstellen und auswerten dürfen, wurde als verfassungswidrig beurteilt und gekippt. Bis 1. Jänner 2025 muss der Gesetzgeber eine neue Regelung schaffen.
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Utudjian findet es „bedauerlich“, dass das Justizministerium nicht schon vor einem Jahr reagiert hat. Immerhin habe der ÖRAK damals auf Basis eines Gutachtens einen kompletten Gesetzesentwurf vorgelegt. „Jetzt wird die Zeit knapp“, sagt der ÖRAK-Präsident. Er geht davon aus, dass die Neuregelung im ersten Halbjahr erledigt werden muss. Dann startet schon der Wahlkampf, und im Herbst läuft die Legislaturperiode aus.
Was Rechtsanwälte nach Analyse des VfGH-Erkenntnisses erstaunt: Manche Anregungen klingen restriktiver als das, was sie selbst zum Schutz ihrer Mandanten gefordert haben.
Verwertungsverbot
So etwa der Hinweis, dass das Gericht im Fall einer Bewilligung der Sicherstellung festzulegen habe, „welche Datenkategorien und Dateninhalte aus welchem Zeitraum zu welchen Ermittlungszwecken ausgewertet werden dürfen“. Das hieße, dass alles, was sich außerhalb des abgesteckten Rahmens befindet, gar nicht angeschaut werden dürfte.
Der ÖRAK wünschte sich ursprünglich nur eine generelle Schwelle für die Maßnahme (dringender Tatverdacht bei Delikten ab einem Jahr Strafandrohung) und dass Zufallsfunde nur dann verwertet werden dürfen, wenn sie selbst die Kriterien für eine Sicherstellung erfüllt hätten.
Entscheidend ist für den ÖRAK zudem, dass die sogenannten Stampiglien (Stempelbeschlüsse) abgeschafft werden. 99 Prozent der Anträge auf Hausdurchsuchungen werden von Richtern bewilligt – per Stempel, ohne schriftliche Begründung. Wenn Sicherstellungen künftig genauso oberflächlich bewilligt werden, wäre das keine wesentliche Verbesserung, heißt es.
Bundestrojaner
Die Gelegenheit einer Neuregelung will nun auch Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) nutzen: Schon seit längerem fordert die Polizei eine Überwachung von Messenger-Diensten. „Es würde Sinn machen, das gleich in einem abzuarbeiten“, sagt Karner.
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Die Grünen reagierten verwundert: Die ÖVP habe jahrelang eine Einschränkung bei Handyabnahmen gefordert und begrüße jetzt das VfGH-Erkenntnis, gleichzeitig fordere sie die Einführung einer Spyware zur heimlichen Chatkontrolle. Ein solches Modell – den „Bundestrojaner“ – hat der VfGH bereits vor Jahren gekippt. Bisher habe der Koalitionspartner kein grundrechtskonformes Modell vorlegen können, heißt es in einer Stellungnahme der Partei.
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