Grüner Minister Anschober: Zwischen Genie und Chaos
Am Freitag die Reisewarnung für Kroatien, am Dienstag die Reisewarnung für die Balearen, am Mittwoch erste Gespräche über das Mega-Defizit bei der Österreichischen Gesundheitskasse. Die Ereignisse rund um die Corona-Krise halten Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) seit Monaten gewaltig auf Trab.
Mit dem Stresspegel stiegen auch seine Imagewerte. Laut Vertrauensindex war der 59-Jährige im Juli mit Kanzler Sebastian Kurz gleichauf, vor den beiden rangiert nur Bundespräsident Alexander Van der Bellen.
Auf der anderen Seite ist es ausgerechnet Anschobers Ressort, das wegen struktureller Probleme mitten in der Corona-Krise umgebaut werden muss. Auch das Chaos um die vom Verfassungsgerichtshof für unrechtmäßig befundenen Corona-Verordnungen hängt ihm nach.
Ist er nach alledem also der Superstar auf der Regierungsbank oder doch eher ein "Minister Chaos"?
Kommunikationsprofi
"Anschober ist ein echter Kommunikations- und Politprofi. Er hat in den letzten Monaten sehr viel richtig gemacht und so auch Lorbeeren von der Bevölkerung gesammelt", sagt Politikberater Thomas Hofer.
Bei Anschober gibt es keine Pressekonferenz ohne Taferl oder ausgedruckte A4-Zettel mit Corona-Grafiken. Das ist inzwischen sein Markenzeichen – und dem Minister übrigens selbst eingefallen, sagt einer seiner Pressesprecher, der Anschober schon zu seiner Zeit als Landesrat in Oberösterreich begleitet hat. Anschober wolle "etwas zum Herzeigen" in der Hand haben und "trockene Daten visualisieren".
Trotz hervorragender Image-Werte ist seine Rolle eine undankbare, sagt Politikberater Hofer: "Im Ministerium hat er einige Probleme geerbt, die jetzt in dieser Stresssituation zutage treten. Das wird für ihn langsam gefährlich, auch weil es viele Unsicherheiten gibt, etwa hinsichtlich des Schulbeginns oder beim Thema Beschaffung von Grippeimpfstoffen."
Hinzu komme, dass der Bereich Gesundheit vor der Corona-Krise eher als "Wurmfortsatz des mächtigen Sozialressorts" galt und entsprechend stiefmütterlich behandelt wurde. Diese strukturellen Defizite hat Anschober kürzlich beim Namen genannt, als er sich für Schlampereien bei den Verordnungen entschuldigte. Die Selbstkritik des Ministers kam zwar öffentlich gut an, nicht aber bei seiner Belegschaft.
Die rote Gewerkschaft FSG konterte, die Mitarbeiter ließen sich nicht zum "Sündenbock" machen – schuld seien vielmehr "politische Unzulänglichkeiten".
Beratungsresistent
Tatsächlich gibt es wohl eine Diskrepanz zwischen dem, was politisch gewünscht und nach außen gut verkaufbar war, und dem, was juristisch sauber machbar war.
Im Expertengremium, das Anschober nach dem Fiasko beim Oster-Erlass im April einberufen hatte, war man zuweilen konsterniert: Mitglieder schildern dem KURIER, sie hätten dem Kabinett des Ministers klargemacht, dass etwa die Betretungsverbote so, wie sie vorgesehen waren, rechtlich nicht halten würden. Sie behielten recht, das Höchstgericht schritt ein.
Die Novelle des Covid-19-Gesetzes, das neue Rahmenbedingungen für Ausgangsverbote, Mindestabstand und Contact Tracing schaffen soll, steht erneut in der Kritik. Der Gesetzesentwurf ist in Begutachtung. Es bleibt zu hoffen, dass der Minister diesmal die Einwände beherzigt.
Eigenwilligkeit
Bei den Grünen intern sieht man den Star-Minister ambivalent. Anschober gehe prinzipiell seinen eigenen Weg, lasse sich wenig dreinreden oder in die Karten schauen, heißt es.
Auch in der ÖVP wird manchmal über die Eigenwilligkeit des Grünen gemotzt, aber grundsätzlich funktioniere die Zusammenarbeit gut, wird betont.
Attestiert wird Anschober eine gehörige Portion Eitelkeit und ein Drang auf die mediale Bühne. An der grünen Basis gefällt das nicht allen, andererseits ließ ihn diese Eigenschaft in der Krise zur Höchstform auflaufen.
So dürfte es ihm wohl auch schmeicheln, als Kandidat für die Hofburg gehandelt zu werden. In seiner wortreichen Stellungnahme zu dem Thema ließ er ein klares Dementi vermissen. Klar sagte er nur eines: "Ich habe derzeit andere Sorgen."
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