Grüne: Hätte die Causa Schilling verhindert werden können?

Green Party's candidate for the EU elections Schilling attends a press conference, in Vienna
Hätten die Grünen mit sorgfältigeren Background-Checks die jetzigen Negativ-Schlagzeilen verhindern können? Frühere Kanzler-Sprecher und Partei-Insider geben Antworten.

Wenn es etwas gibt, was die Verteidiger und Kritiker von Lena Schilling gemein haben, dann allenfalls das: Niemand will mit ihr tauschen. Absolut niemand.

Seit Wochen steht die 23-Jährige Spitzenkandidatin der Grünen im Zentrum von Anwürfen, die selbst Europas größtes Nachrichtenmagazin Der Spiegel nicht ignorieren will. 

Doch unabhängig davon, was an dem „Gemisch aus Lügen, Affären und Gewaltvorwürfen“ (Spiegel) politisch relevant ist, müssen sich die Grünen und Parteichef Werner Kogler den Vorwurf gefallen lassen, ihre „Hausaufgaben“ nicht gemacht zu haben.  Immerhin gehört es bei politischen Quereinsteigern zur gelebten Praxis, „Background-Checks“ zu machen, sprich: Es wird vorab systematisch überprüft, ob er oder sie dem Job gewachsen ist.

Haben die Grünen dies ausgerechnet bei der streitbaren Umwelt-Aktivistin Schilling verabsäumt? Und: Hätte sich die ganze Sache möglicherweise verhindern lassen?

Der KURIER sprach mit den früheren Kanzler-Sprechern Heidi Glück (Wolfgang Schüssel) und Josef Kalina (Viktor Klima)  und befragte Mitarbeiter der grünen EU-Kampagne, zu den erwähnten Background-Checks.

Wie laufen diese in der Praxis ab?

„Bei Kandidaten für politische Spitzenjobs wird zunächst das Inhaltliche abgeklärt“, sagt Kalina. Das bedeutet: Alle verfügbaren Äußerungen, Interviews, die in der politischen Auseinandersetzung Thema sein können, werden gesichtet. In einem weiteren Schritt wird das persönliche und berufliche Umfeld analysiert. „Man spricht mit Freunden, Bekannten oder Arbeitskollegen“, sagt Kalina. „Und schließlich spricht man mit dem Kandidaten selbst, welche Schwächen er bei sich ortet.“ Das könne dann zu Fragen führen wie: Hast Du deine Putzfrau eh angemeldet?

Grüne: Hätte die Causa Schilling verhindert werden können?

Haben die Grünen all das gemacht? „Natürlich“, sagt ein Grüner Insider. "Wir waren bei Lena sogar besonders genau und sind sehr weit gegangen." Schillings Social Media-Kanäle wurden gescannt und sie selbst zu Freunden und Familie befragt. Die Lebensgefährten ihrer Verwandten, möglicher Drogen-Konsum wurden abgefragt. "Natürlich auch die Frage nach Straftaten. Zum Beispiel, ob alle Demonstrationen angemeldet waren, ob es verfolgte oder unbekannte Straftaten gibt."

Wie konnte es dann passieren, dass Schillings einst engste Freunde nun politisch erst Recht zu einem Problem werden?

Schlüsselloch-Recherche 

Das liegt daran, dass es auch beim Background-Checks einen Bereich und Themen gibt, wo man "nicht hingeht", wie es so schön heißt.

Glück nennt das die „Schlüsselloch-Recherche“. "Das sind höchst intime Dinge, also die Frage, mit wem man eine Beziehung hat, wie diese abläuft, etc."

"In den USA wirst du als angehender Spitzenpolitiker mittlerweile nach allem gefragt, also: Wie sieht es mit heimlichen Liebschaften, Prostitution, mit unehelichen Kindern und derlei Dingen aus", ergänzt Kalina. „In Österreich und Europa sind wir nicht so weit, zumindest noch nicht - und das ist gut so.“

Glück sieht das exakt gleich. Denn abgesehen davon, dass "Schlüsselloch-Recherchen“ die Aufgabe jedweder Privatsphäre bedeuten, sieht die frühere Kanzler-Sprecherin zwei zusätzliche Probleme: "Als Partei muss man zunächst einmal darauf vertrauen, dass Menschen, die Spitzenfunktionen übernehmen, sich der Verantwortung bewusst sind und sich selbst daher fragen, ob sie integer sind.“ Würde eine Partei und deren Strategen schon vorab alle intimen Details von angehenden Politikern wissen wollen, käme das mitunter einem Misstrauensvorschuss gleich. 

Hinzu kommt für Glück die Frage, ob und welche Fehler relevant für künftiges Verhalten sind. "Jeder macht in der Jugend den ein oder anderen Unsinn, und als Gesellschaft gehen wir davon aus, dass man aus Fehlern lernen kann." Würden alle Fehler der Vergangenheit dazu führen, dass man sich für politische Ämter disqualifiziert, bleibe bald niemand  mehr übrig. „Denn niemand ist makellos.“

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