Vorab: Der Standard berichtet von mehreren Personen, die bezeugt hätten, dass Schilling im Jänner und Februar in Gesprächen tatsächlich mit einem Parteiwechsel nach der Wahl kokettiert habe. Diese Personen wurden anonymisiert und sind somit für den KURIER nicht greifbar.
Konkret bezieht sich der Standard auf einen Chatverlauf Schillings vom 24. Jänner 2024, mit einer ehemaligen Freundin aus dem SPÖ-Umfeld.
"Bis 24. Februar (Bundeskongress der Grünen, bei dem die EU-Kandidatenliste beschlossen wurde, Anm.) muss ich halbwegs lieb sein dann bin ich gewählt und die Grünen können nichts mehr machen muhahha", schreibt Schilling. Ein paar Nachrichten später meint sie auch noch, sich "ur" darüber zu freuen, "wie viele junge Mädels sich bei mir melden vielleicht können wir andere orga (Organisation, Anm.) aufbauen". Nachsatz: "haha".
Dass Schilling ernsthaft plante, zu einer linken EU-Fraktion zu wechseln, wie vom Standard berichtet, geht aus dem Chat nicht hervor. Die Unterhaltung wirkt zudem scherzhaft.
Bei einem "feuchtfröhlichen Abend" Ende März sollen die zitierte Freundin, Schilling und Gabriel Hofbauer-Unterrichter, SPÖ-Politiker in Wien Alsergrund, ebenso einen möglichen Wechsel Schillings nach der Wahl besprochen haben. Das sei aber "von anderen scherzhaft in den Raum" gestellt worden und Schilling sei "in keiner Weise darauf eingestiegen", so Hofbauer-Unterrichter.
Ist "Team Lena" die "andere Organisation"?
Am 21. März geht es im Chat um einen Termin für ein gemeinsames Arbeitstreffen. Schilling fragt ihre ehemalige Freundin etwa, wie man „Pensionistenheime“ inhaltlich erreichen könne. Hintergrund: Schilling will in einem "Mitmach-Wahlkampf" (#TeamLena, Anm.) gemeinsam mit jungen Menschen auch andere Zielgruppen ansprechen. War vielleicht damit die "andere Organisation" gemeint? Kann, muss aber nicht sein.
Die Frage des Hassens
Aus einem anderen Chatverlauf, der dem Standard vorliegt, soll sich erschließen, dass Schilling die Grünen "gehasst" habe. Schilling wird ihre Äußerung damit rechtfertigen, zu den Grünen lange ein sehr kritisches Verhältnis gepflegt zu haben. Das sei nie ein Geheimnis gewesen und habe sich durch die Kandidatur "stark verändert".
Die Grünen haben öffentlich geoutet, dass es sich bei der Chatpartnerin um Veronika Bohrn Mena handelt. Das Ehepaar Bohrn Mena hat Schilling bekanntlich geklagt, weil sie Gerüchte der häuslichen Gewalt über Ehemann Sebastian verbreitet haben soll. Der Streit zwischen Schilling und den Bohrn Menas eskalierte im März 2024.
Schilling haderte mit Kandidatur
Zuvor, das zeigt der Chatverlauf, pflegten Schilling und Veronika Bohrn Mena einen engen Austausch. Sie besprechen intensiv die Vor- und Nachteile einer Kandidatur Schillings bei der EU-Wahl. Bohrn Mena ist skeptisch, Schilling hadert. Sie "schwanke" noch, bekundet Schilling am 30. November 2023. Sie habe Angst davor, zu kandidieren – und noch mehr Angst, das nicht zu machen und "für immer zu bereuen".
Was aus Schillings Sicht für die Kandidatur spricht: „Das Klima ist wirklich mein Hauptanliegen geworden in den letzten Jahren“. Ob sie sich als Grüne sehe? Nein, aber vielleicht könne sie das lernen, schreibt Schilling. Und: "Ich hab niemanden so sehr gehasst wie die Grünen mein leben lang".
Den Begriff "hassen" verwendet Schilling übrigens bereits zuvor, salopp, in einem anderen Zusammenhang.
In den folgenden Tagen wird weiter über die Kandidatur abgewogen. Bohrn Mena moniert, dass Schilling offenbar nur die "fünfte Wahl" der Grünen sei. Schilling meint, das sei ihr egal. Sie habe keine Lust mehr "auf unseren Flohzirkus", auf die Wiener Blase "mit ihren Verstrickungen und Intrigen".
Versprechen nicht gehalten
Im Dezember hat sich Schilling offenbar für die Kandidatur entschieden. Sie schreibt "Ich hätte das nie gemacht ohne alles abzuwiegen […] Ich hab ihnen jeden Grünen Rahmen für meine Wahlplakate verboten. Ich glaub ich werd auch der Partei nicht beitreten".
Beide Ankündigungen wurden nicht eingehalten. Schillings Wahlplakate haben einen grünen Rahmen. Am 22. Mai stellt sie den Antrag auf die Parteimitgliedschaft – wohl, um ihren vermeintlichen Hass auf die Grünen demonstrativ zu widerlegen.
Was bleibt, ist ein grünes PR-Desaster. Aber auch die Frage, ob man alles, was eine Person im privaten Rahmen, gegenüber Vertrauenspersonen verbal oder in Chats äußert, wortwörtlich nehmen muss.
*Die Chatnachrichten wurden 1:1 übernommen, Fehler in Grammatik oder Interpunktion nicht ausgebessert
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