Loacker: "Nach einem Tag dort braucht man psychologische Nachbetreuung"
Im Jahr 2013 holte Neos-Gründer Matthias Strolz seinen Vorarlberger Landsmann in seine Partei und in den Nationalrat. Bei der Wahl 2024 wird er nicht mehr kandidieren.
KURIER: Geht man nach den aktuellen Umfragen und den Prognosen von Politanalysten, dann war für die Neos noch nie die Chance so groß wie nach der kommenden Wahl, Teil einer Bundesregierung zu sein. Und genau zu diesem Zeitpunkt haben Sie Ihren Rückzug aus der Politik angekündigt. War das vielleicht nicht doch zu voreilig?
Gerald Loacker: Die Überlegung war ja keine taktische. Es war eine Überlegung für mein Leben. Ich bin jetzt 50 und habe mir gedacht, dass jetzt eine Entscheidung fallen muss: Bleibe ich in der Politik oder gehe ich raus. Mit 50 kann man noch rausgehen und etwas anderes machen. Deswegen ist es für mich der richtige Zeitpunkt.
Das Parlament war doch Ihr Leben. Sie haben von allen Abgeordneten die meisten Reden gehalten. Wird Ihnen das nicht sehr fehlen?
Ich bin sicher mit Leib und Seele dabei gewesen. Alle, die bei uns Neos in der Startformation waren, haben große Opfer gebracht, damit die Partei überhaupt entstehen konnte. Finanziell, persönlich, beruflich, privat mussten wir Abstriche machen, damit das Projekt entstehen konnte. Wir haben aber auch andere fürs Sesselkleben kritisiert. Deswegen war es mir immer wichtig, dass ich nicht selbst auf einem Sessel klebe und auch den Schritt wieder heraus aus der Politik schaffe.
Zurück zur Eingangsfrage: Glauben Sie selbst daran, dass die Neos Teil der kommenden Regierung sein werden?
Die Chancen sind intakt.
Zu Gast "bei Gebhart" Gerald Loacker, Stv. Klubobmann der Neos
Nicht mehr als bloß intakt? Wenn man die Umfragen hernimmt, dann gilt eine Ampelkoalition aus ÖVP, SPÖ und Neos als eine sehr wahrscheinliche Variante.
Ja, das ist natürlich schnell genannt. Aber wenn es dann so weit kommt, ist es sicherlich nicht so schnell verhandelt. Es ist schon schwierig genug, zwei Parteien auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Wie schwierig wird das erst mit drei Parteien? Das wird zähes Ringen. Meine Partei wird Reformen verlangen. Und ÖVP und SPÖ sind genau jene zwei Parteien, die sich mit Reformen am schwersten tun, weil sie im alten System verhaftet sind.
Ihre ständige Kritik an der Pflichtmitgliedschaft bei Wirtschafts- und Arbeiterkammer wird man in diesen Parteien auch nicht gerne hören. Warum sind Sie so strikt dagegen? Unternehmer und Arbeitnehmer brauchen ja Vertretungen.
Wenn wir uns in Europa umsehen, dann gibt es die Zwangsmitgliedschaft in Wirtschaftskammern in Österreich und in fünf weiteren von 27 Staaten. In der Arbeiterkammer nur in Österreich und einem weiteren Land. Alle anderen kommen ohne die Pflichtmitgliedschaft aus. Das kann sich kein Schwede, kein Pole, kein Däne vorstellen, was wir hier aufführen. Die Gesamteinnahmen der Wirtschaftskammer sind höher als der Nettobeitrag Österreichs zur EU.
Das Gegenargument: Die Kammern bilden die Sozialpartnerschaft, die gerade in Österreich eine tragende Säule des Staates ist.
Es stimmt, die Lohnfindung ist ein Sozialpartnerschaftsthema. Aber heute ist es doch so, dass sogar eine mittelgroße Kammer wie die Ärztekammer ein stärkeres legistisches Team hat als ein Parlamentsklub. Da werden Gesetze geschrieben. In den Kammern und nicht im Parlament.
Koalitionsverhandlungen werden auch schwierig, weil Sie als Neos-Abgeordneter einer der härtesten Kritiker der Vorstellungen der SPÖ von einem Sozialstaat sind.
Ältere Menschen können sich vielleicht noch daran erinnern: Bruno Kreisky hatte Leistung, Aufstieg, Sicherheit plakatiert. Wo geht es heute den Sozialdemokraten noch um Leistung? Wo geht es darum, dass Menschen aus eigener Kraft den Aufstieg schaffen können? Das ist nicht mehr das Thema der SPÖ und auch nicht der Arbeiterkammer. Dort geht es nur noch um die, die nicht arbeiten. Wir sind aber die Partei, die sich für jene einsetzt, die Steuern zahlen, die die Sozialversicherungsbeiträge zahlen, die arbeiten wollen oder ein Leben lang gearbeitet haben.
Ähnliche Worte kommen von der ÖVP. Sie kritisieren aber auch deren Wirtschaftskurs.
Bei der ÖVP hören wir die Worte, nach 37 ÖVP-Regierungsjahren fehlt mir aber der Glaube. Warum haben wird denn heute eine Sozialhilfe, die so hoch ist, wie sie ist? Weil diese in den vergangenen Jahren immer über der Inflationsrate erhöht worden ist. Die Systeme, die wir heute haben, hat die ÖVP in den vergangenen 37 Jahren gestaltet mit ihren Koalitionspartnern.
Die Neos selbst musten aber auch zuletzt Ihren Wirtschaftskurs ein wenig schärfen, weil dieser in den Hintergrund geraten ist, nachdem man sich fast nur auf U-Ausschüsse konzentriert hatte.
Das, was wir im Parlamentsklub arbeiten, ist nicht immer deckungsgleich mit dem, was medial groß aufschlägt. Die U-Ausschüsse haben natürlich viel Präsenz gehabt und die Arbeit des Aufdeckens, die meine Kollegin Stephanie Krisper dort gemacht hat, war wichtig.
Aber gerade diese U-Ausschüsse haben in der Bevölkerung für eine gewisse Anti-Stimmung gegenüber der Politik gesorgt.
Das haben Sie recht. Die Art, wie Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und die ÖVP in diesen U-Ausschüssen aufgetreten sind, war beispiellos. Wie die Abgeordneten Hanger und Stocker die Befragungen zerschossen haben. Ich durfte dort auch ersatzweise mitarbeiten. Nach einem Tag dort, braucht man eigentlich psychologische Nachbetreuung.
Andererseits ist es aber auch eine neue Dimension gewesen, wie viele Sachverhaltsdarstellungen nach Befragungen im U-Ausschuss an die Staatsanwaltschaften geschickt worden sind.
Das war sicherlich kein Beitrag, das Verständnis bei der Bevölkerung zu erhöhen.
Es beginnt jetzt der Intensivwahlkampf für die Nationalratswahl. Im Vorfeld haben Wirtschaftsexperten darauf verwiesen, das Österreich wegen des Budgetdefizits ein Sparpaket benötigt. Von den wahlkämpfenden Parteien wurde dieses Wort aber noch nicht in den Mund genommen. Verweigert man sich da nicht der Realität?
Wir haben in den vergangenen Jahren mit einer Regelmäßigkeit darauf hingewiesen, dass wir im Budget strukturelle Probleme haben und dass man eigentlich in einem normalen Jahr wie 2024 kein Rekorddefizit schreiben dürfte. Meine Kollegin Karin Doppelbauer war da als Finanzsprecherin mit Minister Magnus Brunner sehr streng. Wir haben darauf hingewiesen, dass uns die Ausgaben davonlaufen, insbesondere bei den Pensionen. Wir haben Vorschläge gemacht, aber die sind alle weggewischt worden.
Müsste da nicht die Kritik ein wenig milder sein? Immerhin mussten Krisen wie die Corona-Pandemie, der Ukrainekrieg oder die Energiekrise ausgeglichen werden ...
In einem Punkt gebe ich Ihnen recht: Wenn in den Jahren 2020 und 2021 im Zuge der Corona-Krisenhilfen an verschiedene Unternehmen und an die Bürger Hilfen ausgeschüttet und alle möglichen Zuschüsse gezahlt worden sind, kann man darüber streiten, was davon klug war und was davon nicht. Aber das ist vergossene Milch. Aber wir haben 2024 keine akute Krise mehr und das Budgetdefizit wird höher sein als im Krisenjahr 2020.
Was wäre Ihr Vorschlag fürs Budget? Neue Einnahmen über Erbschafts- oder Vermögenssteuern kommen für Sie ja nicht infrage.
Wir müssen darauf schauen, wo das Geld verteilt wird. Es ist nicht zu wenig da, aber wir müssen schauen, dass es die Richtigen bekommen. Wenn an Leute wie mich ein Klimabonus ausgezahlt wird, dann bekommen es die Falschen. Und wenn im Vorjahr alle Pensionen, auch die hohen, um mehr als neun Prozent erhöht worden sind, dann muss man auch überlegen, ob das gerecht ist und es immer die Richtigen trifft.
Das Wort Pensionsreform wird im Wahlkampf wohl auch nicht auftauchen.
Das liegt daran, dass die Politiker gelernt haben, dass Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel damit im Jahr 2006 eine Wahl verloren hat. Aber wir werden darüber reden. Es sagen ja der Rechnungshof, der Internationale Währungsfonds, die OECD, die Europäische Kommission, dass Österreich da was machen muss. Nur bei uns verschließen die Politiker der großen Parteien die Augen.
Zum Abschluss: Was werden Sie nach der Politik machen? Werden Sie jetzt ein nebenberuflicher Neos-Funktionär?
Ich bleibe natürlich Parteimitglied. Ich habe diese Partei mitaufgebaut und damit eine große emotionale Verbundenheit zu ihr. Aber ich werde kein Mandat mehr annehmen, auch nicht im Land oder in der Gemeinde. Ich werde die Organisation unterstützen, wo sie mich braucht. Aber beruflich geht es für mich in die Wirtschaft.
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