Christian Kern: "Der aktuelle Zustand der Politik ist keine Einladung"
Der Ex-Bundeskanzler (SPÖ) über die Situation vor der Nationalratswahl, seine Absage an ein Polit-Comeback und den fehlenden Plan für eine europäische Lösung für den Bahnverkehr.
Christian Kern sieht für seine SPÖ bei der Nationalratswahl Chancen. Im Wahlkampf wird er sich dennoch nicht engagieren.
KURIER:Bei einer Diskussionsveranstaltung haben Sie angedeutet, dass man bis zum Wahltag Herbert Kickl und seine FPÖ nicht mehr überholen kann. Warum sind Sie dieser Überzeugung?
Christian Kern: Das war eigentlich nicht ganz korrekt wiedergegeben. Meine Hypothese war, dass man in der kurzen Zeit, die einem im Wahlkampf noch bleibt, die FPÖ inhaltlich nicht mehr stellen kann. Die entziehen sich jeder Diskussion. Daraus resultiert für die anderen Parteien der logische Umkehrschluss, dass man über die eigenen Stärken und Zukunftsvisionen reden muss. Wenn das gelingt, wird es schon am Wahltag zu Verschiebungen kommen. Ich glaube auch, dass die Ausgangsposition für die SPÖ einfacher ist als in den Wahlkämpfen davor.
Die Umfragen sind das eine. Aber ich glaube, dass die Regierung insgesamt vermutlich 15 Prozent der Stimmen verlieren wird. Was jetzt keine Überraschung ist, weil die letzte Wahl sicher eine Anomalie war, wo die ÖVP durch die Decke geschossen ist und die Grünen zurück ins Parlament gekommen sind. Die Rahmenbedingungen sind also für die Opposition gut, daraus kann man sicher etwas machen.
Die einzige Oppositionspartei, die in den Umfragen profitiert, ist derzeit die FPÖ.
Ist dieses Umfragebild in Stein gemeißelt? Ich glaube nicht. Wenn man auf das Gesamtbild schaut, werden – so denke ich – die beiden großen Parteien unter ihrem Wert gehandelt. Wenn Sie die SPÖ hernehmen, die regiert in drei Bundesländern erfolgreich, stellt in fünf Landeshauptstädten den Bürgermeister. Genauso gibt es in vielen großen Gemeinden exzellente Bürgermeister. Deswegen sollte man nicht zu früh den einen oder anderen abschreiben.
Im Gegensatz zu früheren Zeiten wirkt die Sozialdemokratie jetzt aber nicht mehr so zusammengeschweißt. Man nehme nur den Konflikt zwischen Hans Peter Doskozil und Andreas Babler, zwischen Wien und Eisenstadt her.
Das Phänomen, das Sie beschreiben, trifft ja nicht nur auf die SPÖ zu, sondern ist ein generelles Bild. Man hat ein bisschen den Respekt vor anderen Meinungen und Einschätzungen verloren. Das steigert sich manchmal bis ins Unerträgliche, wenn Konflikte ausgetragen werden, wo man den anderen jeden positiven Willen abspricht. Ich verstehe auch nicht, mit welcher Wut und mit welchem Zorn man da teilweise aufeinander losgeht. Innerhalb der Parteien und auch im Wettbewerb zwischen den Parteien.
Im Vergleich zu Ihrer Zeit in der Politik: Ist es schlimmer geworden?
Ich empfand es schon in den Jahren 2016 bis 2018, als ich noch dabei war, als gewöhnungsbedürftig. Ich habe aber schon den Eindruck, dass es sich weiter verschlechtert hat.
KURIER TV-Sendung "bei Gebhart": Gast Ex-Kanzler Christian Kern
Ihr großes politisches Programm war der Plan A. Wie viel davon findet sich im Programm des jetzigen Parteichefs Andreas Babler? Auf jeden Fall ist es die Erbschaftssteuer.
Also, das habe ich nicht durchstudiert. Ich glaube nur, dass die Herausforderungen, vor denen wir stehen, so komplex sind, dass sie mit Stückwerk und Einzelmaßnahmen nicht lösbar sind. Wir haben ein Riesenproblem mit der Demographie. Wenn wir also unseren Wohlstand erhalten wollen, müssen wir mehr Menschen zum Arbeiten bringen. Wir wissen, dass die Boomer-Generation jetzt in Pension geht. Das trifft den Gesundheitssektor, das trifft die herkömmliche Wirtschaft, das trifft den Bildungssektor.
Mehr Menschen in die Arbeit bringen und gleichzeitig die Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich verkürzen, wie es die SPÖ vorschlägt? Das wird sich nicht ganz ausgehen.
Ich bin, offen gesagt, kein Freund davon. Ich arbeite wieder im Bahngeschäft. Wir wissen, wie schwierig es ist, Techniker oder Lokführer zu gewinnen. Ich sehe keinen Weg, wie man dort mit weniger Arbeitszeit die Erfordernisse erfüllen kann. Ich glaube, es ist eher eine Frage, wie viel die Leute dort verdienen. Den Fokus darauf zu haben, dass diese anständig bezahlt werden, halte ich für sinnvoll. Übrigens machen wir das in allen unseren Unternehmen schon, weil wir in internationaler Konkurrenz stehen.
Wie sehr können Sie als Ex-Kanzler mit SPÖ-Chef Andreas Babler mitfühlen, der ja als Spitzenkandidat unter enormem Druck steht – und der damit rechnen muss, dass schon an seiner Nachfolge geschmiedet wird, wenn er am 29. September nicht erfolgreich ist?
Den Druck haben alle Spitzenkandidaten, das ist überhaupt keine Frage. Für meinen Teil habe ich diese Lebensphase als sehr bereichernd empfunden. Ich habe das sehr gerne gemacht. Es war wirklich eine schöne Aufgabe. Du kommst mit den Menschen in tiefen Kontakt. Und ich kann es nur nochmals sagen: Ich glaube, für die SPÖ ist das Potenzial rein nominell groß, bei dieser Wahl dazuzugewinnen.
Werden Sie im Wahlkampf aktiv im Einsatz sein?
Nein, ganz sicher nicht.
Im Frühjahr hat es ja immer wieder Gerüchte gegeben, dass Sie vielleicht sogar auf einer eigenen Liste als Kandidat aufscheinen werden. Etwa gemeinsam mit dem ÖVP-Politiker Othmar Karas. Ist man jemals an Sie herangetreten?
Es gab schon Bemühungen und Avancen, gar keine Frage. Eines Ihrer Konkurrenzblätter hat ja sogar von einem Abendessen geschrieben, wer sich da alles zusammenrottet und schon Geld einsammelt. Ich habe das immer lustig gefunden. Ich war jedenfalls nicht dabei, obwohl mein Name angeführt worden ist.
Aber man sagt doch, dass jeder, der einmal in der Spitzenpolitik war, wieder Sehnsucht danach hat. Gleichgültig wie erfolgreich und zufrieden er in seinem Leben nach der Politik ist. Wird man Sie noch einmal in der Spitzenpolitik sehen?
Man bleibt ein politisch interessierter Mensch, das legst du nicht ab. Jetzt muss man aber sagen, dass die Politik wirklich ein echtes Problem hat, weil ihr Image so schlecht ist. Da hast du dann das Dilemma, dass die Leute, die ausscheiden, in Wahrheit gar keine andere Perspektive mehr finden, als in der Politik oder in deren Umfeld zu bleiben. Oder sie werden Lobbyisten, was – ehrlich gesagt – keine schöne Arbeit ist. Man klopft dann an Türen an, hinter denen man früher gesessen ist. Ich habe das Glück gehabt, dass ich vorher eine Karriere in der Wirtschaft hatte. Ich habe mittlerweile vier Unternehmen erfolgreich geführt, sodass ich jetzt mit Private-Equity-Eigentümern, die in Paris und London sitzen, also fortsetzen konnte, was ich vor meiner politischen Karriere gemacht habe. Und vor dem Hintergrund ist die Antwort: Ich bin wirklich froh, dass ich in meinem Leben etwas anderes außer der Politik habe. Etwas, das mich herausfordert und interessiert, das mir riesige Freude macht. Außerdem ist der aktuelle Zustand der Politik keine Einladung, das alles noch einmal durchzuziehen.
Ein anderes Thema: Können Sie mir als Experte in Sachen Bahnverkehr sagen, warum man beim Thema „europäisches Bahnnetz“ nicht weiterkommt?
Es hat ja Versuche in diese Richtung gegeben. Ich war seinerzeit auch Präsident der europäischen Bahnen, wo wir uns sehr um eine europäische Vereinheitlichung bemüht haben. Da sitzen dort aber dann Leute, die wollen, dass alles weiterhin national organisiert wird. Die wollen nichts ändern. Und dazu kommt noch eine Politik, die das alles zulässt. Es fehlen uns in Europa der Vorsatz und der Wille, dass wir uns hinsetzen und sagen: Das ist doch alles absurd.
Ein Problem ist sicherlich, dass die nationalen Bahngesellschaften noch immer als eine Art Staatsbahnen gesehen werden. Da will kein Staat, dass hineinregiert wird.
Das Thema ist auch so kompliziert, dass es der durchschnittliche Politiker nicht angreifen will. Außerdem dauert es Jahre, bis etwas herauskommt. Im Hinblick auf die nächste Wahl hat man dann vielleicht nur schlechte Nachrichten, dann lässt man es lieber gleich bleiben. Und in Europa gibt es einen Mechanismus – entschuldigen Sie den Sarkasmus –, dass alle Mitgliedsstaaten einen Kommissar nominieren. Danach wird zuverlässig der mit den wenigsten Kompetenzen herausgesucht, und den macht man dann zum Verantwortlichen für den Verkehr. So schaut die Verkehrspolitik in Europa aus.
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