Was sind eigentlich Freikirchen - und warum entstand dort ein Corona-Cluster?
Die zuletzt wieder steigenden Corona-Zahlen haben auch ein Phänomen in den Fokus gerückt, das sonst eher wenig mediale Beachtung findet: Die sogenannten Freikirchen. Der Anstieg an Neuinfektionen findet ja hauptsächlich in Wien und Oberösterreich statt – und in letzterem Bundesland ist einer der Cluster eben rund um eine sogenannte Freikirche entstanden.
Hier begann freilich schon die Verwirrung, die auch mit der Unschärfe des Begriffs „Freikirche“ zu tun hat. Im konkreten Fall ging es um die „Gemeinde Gottes – Pfingstkirche“ in Oberösterreich, eine nicht anerkannte Bekenntnisgemeinschaft, zu der viele rumänische Großfamilien gehören.
Sie ist jedoch nicht Mitglied der Freikirchen in Österreich (FKÖ), die seit 2013 eine anerkannte Religionsgemeinschaft sind (wie die großen christlichen Konfessionen, Islamische Glaubensgemeinschaft, Israelitische Religionsgesellschaft, aber auch Mormonen, Zeugen Jehovas u. v. a.).
Die FKÖ gliedern sich wiederum in fünf Bünde: neben Baptisten, Mennoniten, Evangelikalen Gemeinden, Elaia Christengemeinden ist das die „Freie Christengemeinde – Pfingstgemeinde“, die mit der zuvor genannten „Gemeinde Gottes“ verwechselt wurde, mit der sie in Linz die Räumlichkeiten teilt.
Der Vorsitzende der „Freien Christengemeinde“ sah sich denn auch damals zu einer Klarstellung veranlasst, dass man mit der „Gemeinde Gottes“ nichts zu tun habe und selbstverständlich die Hygienemaßnahmen zur Eindämmung der Covid-19 Pandemie unterstütze.
Zurück zum Ursprung
Ungeachtet dessen ist es wohl kein Zufall, dass der Cluster sich in einer freikirchlichen Gemeinde gebildet hat. Deren Glaubensleben und Gottesdienste sind im Vergleich zu den traditionellen „Großkirchen“ viel stärker charismatisch geprägt: Körperlichkeit, Emotionen spielen hier eine deutlich größere Rolle.
Freikirchen sind ja in Abgrenzung zu den überkommenen christlichen Kirchen – insbesondere der katholischen – entstanden. Die Grundidee ist eine, die auch für die Reformation leitend war: zurück zum Ursprung, zu Jesus Christus, zum Evangelium. Alles Institutionalisierte, Dogma und Tradition gelten tendenziell als Hindernis für die angestrebte Unmittelbarkeit der Beziehung zu Gott/Jesus.
Kirche und Theologie treten gegenüber dem subjektiven Glaubens(er)leben in und mit der Gemeinde stark in den Hintergrund, ein sakramentales Verständnis von Kirche im katholischen Sinne gibt es nicht. Die Bibel wird häufig wörtlich ausgelegt, woraus sich bei manchen Gruppierungen eine theologisch sehr konservative Haltung, bisweilen auch ein Hang zum Fundamentalismus ergibt.
Letztlich aber sind Freikirchen spezielle Ausprägungen jenes reformatorischen Impetus, welcher das Christentum insgesamt seit seinen Anfängen umtreibt.
International
Während Freikirchen in Österreich und den meisten europäischen Ländern eine marginale Rolle spielen, sind sie etwa auf dem amerikanischen Kontinent sehr stark vertreten. Das hat historische Gründe. Sie sind zwar aus dem Protestantismus hervorgegangen, haben aber die Zuständigkeit der territorialen Herrscher (Fürsten) für Fragen der Religion abgelehnt. Auch die Reformation folgte ja dem Prinzip des Staatskirchentums (cuius regio, eius religio = wessen Herrschaft, dessen Glaube).
Die Freikirchen standen damit nicht nur zur katholischen, sondern auch zu den protestantischen Kirchen in Gegnerschaft. Viele ihrer Anhänger wurden verfolgt und bezahlten für ihre Überzeugung mit dem Leben.
Insbesondere die USA wurden daher für viele von ihnen eine neue Heimat, in der sie ihren Glauben leben konnten. Der Baptist Roger Williams schrieb eine Verfassung für Rhode Island, in der erstmals in der Geschichte die Trennung von Staat und Kirche verankert war, und die zur Grundlage der Verfassung der gesamten Vereinigten Staaten von Amerika werden sollte.
Heute werden freikirchlich Gläubige in den USA meist unter „Evangelikale“ subsumiert. Sie gelten als politisch „rechts“ und zählen nicht zuletzt zur Stammklientel der Republikaner bzw. des derzeitigen Präsidenten Donald Trump.
Von den USA ausgehend haben sich die Evangelikalen ganz stark in Südamerika ausgebreitet, wo sie insbesondere der traditionell dort stark verwurzelten katholischen Kirche massiv Konkurrenz machen. Dort sind es insbesondere die sogenannten Pfingstler, die enormen Zulauf haben. Das wurde zuletzt auch bei der römischen Amazonien-Bischofssynode im Herbst 2019 thematisiert.
Auch der brasilianische Präsident Jair Messias Bolsonaro, wiewohl selbst katholisch, setzt ganz stark auf die Unterstützung evangelikaler Bevölkerungsgruppen.
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