Doris Bures: "Wir können nicht zur Tagesordnung übergehen"

KURIER: Zuletzt sorgten Justiz und Politik in unterschiedlichen Zusammenhängen für Schlagzeilen. Die Causa Wöginger und der Fall Anna. Im Zuge der Berichterstattung um die Diversion des ÖVP-Klubobmanns wurde eine Bestellung von Ihnen als Infrastrukturministerin genannt. Peter Franzmayr wurde nicht Sektionschef und bekam von der Republik 317.368 Euro Entschädigung von der Republik. Ist der Vergleich zu Ihnen unlauter?
Doris Bures: Ja das wäre unlauter, ich hatte 2011 als Ministerin eine Entscheidung über die Besetzung einer Sektion im Ministerium vorzunehmen. Das war keine Reihung, sondern es war ein Dreiervorschlag, in dem dezidiert seitens der Bestellungskommission keine Reihung vorgenommen wurde. Es handelte sich um zwei Männer und eine Frau. Das Bundesgleichbehandlungsgsetz besagt: Solange Frauen in Spitzenfunktionen unterrepräsentiert sind – und ich kann sagen im Verkehrsministerium war das damals in einem unfassbaren Ausmaß der Fall – hat man sich bei gleicher Qualifikation für die Frau zu entscheiden.

Nachdem Peter Franzmayr, der der FPÖ zugehörig war, entschädigt worden ist: Würden Sie heute nochmals so entscheiden?
Es war eine rechtlich korrekte Entscheidung damals, denn ich habe mich als Ministerin an die Vorgaben zu halten. Bei einer positiven Diskriminierung würde ich mich wieder so entscheiden. Was man sich heute anschauen muss, sind die Grundlagen und Kriterien der Personalkommissionen.
Eine andere juristische Entscheidung, der Fall Anna, hat Verteidigungsministerin Klaudia Tanner und Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner auf den Plan gerufen. Dass die Legislative die Judikative kommentiert und kritisiert…
… Ich halte es für eine Unsitte, wenn Politikerinnen und Politiker Entscheidungen von unabhängigen Gerichten abwerten. Ich glaube, dass damit der Rechtsstaatlichkeit kein guter Dienst erwiesen wird. Man kann zu einzelnen Entscheidungen eine Meinung haben, aber in einem Rechtsstaat ist es wichtig, dass die Gewaltentrennung von Exekutive, Legislative undJudikative nicht nur respektiert, sondern akzeptiert wird.

Die 63-Jährige startete ihre Polit-Karriere in der Sozialistischen Jugend. 1987 zog sie in Wien-Liesing ins Bezirksparlament ein, 1990 in den Nationalrat. Danach war sie unter anderem Bundesgeschäftsführerin und von 2008 bis 2014 Verkehrsministerin. Seit 2. September 2014 ist Bures im Nationalratspräsidium vertreten, bis 2017 als Erste, hernach als Zweite Präsidentin und seit 2024 Dritte Präsidentin. Sie ist zudem stellvertretende SPÖ-Vorsitzende.

Aufgrund des Falles debattieren wir öffentlich auch über „Ein Ja ist ein Ja“.
Ich habe bei den Bedenken ein Déjà-vu. Auch bei den Diskussionen rund um Vergewaltigung in der Ehe hörte ,an Ähnliches. Damals wurde auch gesagt, dass das alles nicht machbar sei, denn da müsste neben jedem Ehebett ein Polizist stehen. Tausend Gründe wurden genannt, warum man das nicht machen kann.

Nehmen Sie bezüglich von Justiz und Politik eine Verschiebung des Diskurses wahr?
Die Diskursverschiebung läuft und sie läuft schon viel länger. Ich möchte nur daran erinnern, dass der ehemalige Bundeskanzler Sebastian Kurz von „roten Netzwerken“ innerhalb der Justiz gesprochen hat. Bereits da hätte man wahrscheinlich noch stärker reagieren und öffentlich die Kritik zurückweisen müssen.
Themensprung. Am 26. Oktober feiern wir den Nationalfeiertag, die Souveränität und Neutralität. Was verstehen Sie unter Freiheit?
Freiheit bedeutet für mich die Freiheit der Meinung, der Medien, der Wissenschaft, von Kunst und Kultur und Freiheit bedeutet Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, also alles, was die Grundsäulen einer liberalen Demokratie ausmacht. Für all diese Freiheiten haben Generationen vor uns gekämpft und diese gilt es auch heute zu verteidigen.

Was von dem Genannten erscheint Ihnen besonders gefährdet?
Wir müssen überall achtsam sein und das Wort erheben: Wenn die unabhängige Justiz diffamiert wird, wenn unabhängige Medien als Lügenpresse tituliert werden und politische Mitbewerber ausschließlich als Feinde herabgewürdigt werden, dann dürfen wir das nicht hinnehmen. Das sind massive Angriffe auf unsere demokratischen Grundwerte. Ein Blick in die Welt zeigt, dass es ein Privileg ist einer liberalen Demokratie zu leben, weil autoritäre Regierungsformen immer mehr werden. Die Hoffnungen - egal ob durch das Internet oder Bewegungen wie den Arabischen Frühling – haben sich leider nicht erfüllt. Es gibt weltweit immer weniger Demokratien.
Reicht es, das Wort zu erheben?
Wir brauchen eine hohe Sensibilität dafür, wenn rote Linien überschritten werden. Und dann brauchen wir den Mut, das zu erkennen und auch aufzuzeigen. In den parlamentarischen Debatten, die ich seit vielen Jahren verfolge, ist die Auseinandersetzung jedenfalls rauer geworden. Ich gehöre zu jenen, die sich dessen bewusst sind, dass Gewalt in der Sprache beginnt. In der Vorsitzführung trachte ich danach, dass rote Linien nicht überschritten werden. Um ein Beispiel zu nennen: Ich habe mit den beiden anderen Präsidenten ausführlich darüber gesprochen, dass Begrifflichkeiten wie „Umvolkung“, also eindeutig rechte Codes, einen Ordnungshof nach sich ziehen werden. Darüber gab es zuvor keinen Konsens.

Gibt es Konsens über andere Worte?
Es geht darum, dass immer mehr in Freund-Feind- und Schwarz-Weiß-Schemata gedacht und gehandelt wird und das darf im Hohen Haus keinen Platz haben. Es geht auch in harten und leidenschaftlichen Auseinandersetzungen darum, eine Sprache zu wählen, die andere nicht herabwürdigt.

Zur SPÖ. Die wirbt gerade für „Dein Zuhause, unser Auftrag“. Ist es Aufgabe der Politik oder einer Partei, für Wohnraum zu sorgen oder anders formuliert, in den Markt einzugreifen?
Es gibt viele Bereiche, in denen der Markt gut funktioniert. Im Bereich Wohnen ist es wichtig, dass hier eingegriffen wird, weil es um ein Grundrecht geht. Ein Dach über dem Kopf zu haben, ist eben ein Grundrecht. Es gibt die Wohnbauförderung, ein Mietrechtsgesetz, in Wien eine erfolgreiche Mischung aus gefördertem und privatem Wohnbau – das alles ist nichts Neues und all diese Eingriffe in den Markt gibt es seit Jahrzehnten. Eingriffe in den Markt, um das Leben leistbarer zu machen wie durch die Mietpreisbremse und den eben verlängerten Strompreisbonus sind notwendig und wirken auch inflationsdämpfend.
Beim Österreich-Aufschlag müssen wir etwas tun. Bei der Mehrwertsteuersenkung hat Finanzminister Markus Marterbauer klare Worte gesprochen. Die Senkung ist derzeit nicht finanzierbar.

In Marterbauer setzt die Bevölkerung hohes Vertrauen, in die Regierung immer weniger. Worauf führen Sie das zurück?
Die 4,2 Prozent beim Budget halten, wie Marterbauer gesagt hat. Das zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Zum ersten Mal haben drei ideologisch sehr unterschiedliche Parteien eine Bundesregierung gebildet, um die auch ich mich sehr bemüht habe, weil ich davon überzeugt bin, dass es der einzige Weg für Österreich in eine positive Zukunft ist. Alle müssen jetzt ihre Problemlösungskompetenz einsetzen und sich ein bisschen weniger um ihre Inszenierungsinstinkte kümmern, dann kommt mit der Zeit auch der Zuspruch der Bevölkerung und die wichtige Zuversicht in die Zukunft.
Die SPÖ liegt in Umfragen derzeit weit unter dem Nationalratswahlergebnis 21,14 % . Wie kommt die Partei wann und mit wem da wieder heraus?
Sie haben Recht, wir haben nicht nur das schlechteste Wahlergebnis aller Zeiten bei der letzten Nationalwahl vor einem Jahr gehabt, sondern wir sind jetzt in den Umfragen sogar darunter. Wir können nicht zur Tagesordnung übergehen und das tun wir auch nicht.

Georg Dornauer und andere melden sich regelmäßig zu Wort, üben Kritik an Babler. Mit welchem Votum für Babler rechnen Sie am Bundesparteitag im Frühjahr?
Es ist schon interessant: Es sind immer Männer, die sich öffentlich zu Wort melden. Ich beteilige mich nicht an solchen Personaldebatten. Ich erinnere mich noch an die erste weibliche Vorsitzende Dr. Pamela Rendi-Wagner, die ich aus tiefster Überzeugung unterstützt habe. Ich weiß, wie schwer sie es hatte, wie viel permanenten Anfeindungen sie ausgesetzt war. Wir brauchen in der SPÖ nach sieben Jahren Opposition ernsthaften Gestaltungswillen, Geschlossenheit und Stabilität und wenn wir ein konsolidiertes Budget im Bund schaffen, wenn wir gute Regierungsarbeit leisten, dann wird sich das im März auch am Bundesparteitag zeigen.
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