"Wir müssen liefern“: Was die Dreier-Koalition antreibt

Arbeitswoche der Dreierkoalition
Es gibt einen Satz, der begleitet Österreichs erste Dreier-Koalition seit dem ersten Tag. Und dieser lautet: „Wir müssen liefern!“
Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger sagte ihn, als sie an der Seite von Kanzler Christian Stocker und Vizekanzler Andreas Babler das Regierungsprogramm präsentierte. Und seither scheinen die drei Wörter gleichermaßen Motto wie Fluch dieser Koalition. „Es gibt keinen Tag, an dem wir den Satz nicht hören“, sagt ein Mitglied der Regierungsmannschaft – und schiebt bitter nach: „So kommen dann Pressekonferenzen wie die zur ,Sozialhilfe neu’ zustande.“
Was konkret gemeint ist, dazu später mehr. Zunächst gilt festzuhalten: Die Dreier-Koalition ist eine Getriebene – von verschiedenen Faktoren. Da gibt es interne Treiber wie Gerald Fleischmann. Der ÖVP-Stratege hat mit Sebastian Kurz die viel beschriebene Message Control miterfunden. Und diese besagt etwa, dass in einer Regierung nie nichts los sein darf.
Soll heißen: Es gilt ständig Arbeit zu zeigen. Und dafür gibt es einen Plan, worüber jede Woche gesprochen wird bzw. was man als Regierungsteam präsentiert.

Dreierkoalition bei ihrer dritten Klausur
Das Ergebnis: Jede Woche darf bzw. muss eine andere Partei die öffentliche „Bühne“ bespielen, ein Thema setzen.
Damit die Wähler sehen, wie intensiv gearbeitet wird. Und damit Parteigänger und Funktionäre mitbekommen, dass es einen enormen Unterschied macht, ob man regiert oder sich in der Opposition gefällt.

Wolfgang Hattmannsdorfer, Andreas Babler, Sepp Schellhorn
Die Schwierigkeit bei alldem: Bei ÖVP und SPÖ gibt es einige Ministern mit besonderem Mitteilungsbedürfnis. Und nicht immer, wenn man laut Plan dran ist, hat man notwendigerweise auch Großes zu erzählen.
So zu beobachten am Montag, als sich Vertreter aller Regierungsparteien zur im Zuge einer Pressekonferenz zur erwähnten Sozialhilfe neu äußern mussten, dabei aber nichts Wesentliches erzählen konnten.
Auch in Regierung sieht man den „Auftrittszwang“ heute mittlerweile eher kritisch. „Inhalt geht vor Kommunikation“, sagt der Mitarbeiter eines SPÖ-Ministers. Überhaupt sei es unmöglich, die öffentliche Debatte bis ins Letzte im Voraus zu planen. „Viele Themen sind einfach der Aktualität geschuldet“, sagt ein Roter. „Bei Fragen wie dem Waffenrecht muss man schnell etwas machen.“

Andreas Babler, Christian Stocker, Beate Meinl-Reisinger
Das ist der eine Faktor, der treibt.
Ein anderer ist die Gesamt-Gemengelage, zu der unter anderem die Umfragewerte gehören. Denn auch wenn es bis zur nächsten größeren Wahl noch zwei Jahre hin ist, macht es einzelnen Ministern zu schaffen, dass sich die Umfragewerte der Regierungsparteien nicht nur nicht verbessern, sondern dass die FPÖ gehörig zulegt. Der Druck von außen kommt auch von Wirtschaftsvertretern, die nunmehr erfolgreich dafür lobbyiert haben, die avisierte Industriestrategie nicht „erst“ zum Jahresende, sondern noch im November zu präsentieren.
Und als wäre das alles nicht genug, lastet auf einzelnen Proponenten der Regierung gehöriger Druck.

August Wöginger (ÖVP), Korinna Schumann (SPÖ) und Johannes Gasser (Neos) bei der Pensionsanpassung 2026
Einer davon ist August Wöginger. Der ÖVP-Klubchef gilt als zentralen Player in der Kanzler-Partei, wird aber im ÖVP-nahen Wirtschaftsbund als zunehmende Belastung empfunden. Weil er in wenigen Wochen ein Strafverfahren über sich ergehen lassen muss – und die ÖVP im Falle einer Verurteilung in die Bredouille brächte. Und weil er die Partei weg vom Leistungsgedanken positioniert habe. Als „Beleg“ gilt Wögingers Kritikern die Pensionsanpassung, bei der die ÖVP ja zugestimmt hat, dass auch Pensionisten, die sich mit ihren Beitragszahlungen eine höhere Pension erarbeitet haben, mit Pauschalbeträgen „abgespeist“ werden.
Das Pensionsthema ist auch das, mit dem SPÖ-Chef Andreas Babler zu kämpfen hat. Am Montag trafen sich Präsidium und Parteivorstand erstmals nach der Sommerpause. Und vor, während und nach den Sitzungen gab es hörbare Unzufriedenheit mit der Führung: Es sei ungerecht, nicht alle Pensionen um die vereinbarten 2,7 Prozent anzuheben, richteten SPÖ-Bürgermeister mehreren Landesgeschäftsführern aus.

Andreas Babler bei Plakat-Präsentation: SPÖ "DEIN ZUHAUSE, UNSER AUFTRAG"
Und selbst SPÖ-Pensionistenvertreterin Birgit Gerstorfer, die bislang nicht mit wortgewaltiger Kritik am Parteichef aufgefallen ist, sah es geboten, öffentlich vor dem Parlament gegen die Haltung ihrer Bundes-SPÖ zu demonstrieren.
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