Doris Bures zur SPÖ-Debatte: "Das ist nicht mein politischer Stil"
Am Samstag wurde publik, dass Doris Bures das SPÖ-Wahlprogramm im Parteipräsidium deutlich kritisiert hat. Wie die Zweite Nationalratspräsidentin über das „Leak“ denkt – und warum sie zu ihren Kritikpunkten steht.
KURIER: Wie viele Nachrichten von Genossinnen und Genossen mussten Sie seit Samstag beantworten, nachdem Ihre interne Kritik am SPÖ-Wahlprogramm publik wurde?
Doris Bures: Es waren viele und ich habe alle beantwortet. Die positiven, die besorgten und auch jene, die vielleicht ein bisschen emotional überzogen waren.
Je ein Drittel?
Ich will das jetzt keiner Bilanz unterziehen.
War es ein Fehler, die Kritik zu verschriftlichen und ans Parteipräsidium zu schicken oder ist das Usus?
Ich habe in den internen Sitzungen von Anbeginn der Diskussion um die Erstellung eines Wahlprogramms meine Anmerkungen gemacht. Dabei habe ich darauf hingewiesen, was aus meiner Sicht wesentlich ist. Ich wurde dann ersucht, diese Anmerkungen schriftlich zu übermitteln. Dem bin ich nachgekommen. Mir ist wichtig, klar zu sagen: Ich habe diese Diskussion intern und vertraulich geführt. Nach außen getragen habe ich sie nicht. Das ist auch nicht mein politischer Stil.
Welche Konsequenzen sollte die Person ziehen, die Ihr Schreiben geleakt hat? Andreas Babler meinte ja, derjenige müsse Verantwortung übernehmen.
Ich begebe mich jetzt nicht auf die Suche nach dieser Person. Ich glaube auch nicht, dass das von großem Interesse ist und will keinen Verdacht äußern. Mir ist nur wichtig zu sagen, dass ich schon lange in der Politik bin und zu jenen gehöre, die in ihrer ganzen politischen Tätigkeit noch nie Dinge an die Medien gespielt haben. Weil ich Diskussionen sehr verantwortungsbewusst führe, intern wie öffentlich.
Welche Schwerpunkte aus dem SPÖ-Programm hätten Sie stärker betont, damit dieses realpolitisch umsetzbarer wird, wie Sie es im Schreiben ans Präsidium formuliert haben?
Mein Kritikpunkt waren nicht einzelne Forderungen. Mir geht es darum, dass Parteien glaubhafte Wahlprogramme erstellen sollten, die in einer Legislaturperiode zu schaffen sind. Und zwar ohne den Verdacht zu erhärten, den die Bevölkerung ohnedies hat: Dass viel versprochen, aber nichts gehalten wird. Das ist ein Appell an alle Parteien, nicht nur an die Sozialdemokratie. Sonst wird der Vertrauensverlust in die Politik so groß, dass wir uns demokratiepolitisch Sorgen machen müssen.
Was hätte Ihnen beispielsweise gefehlt? Eine konkretere Gegenfinanzierung ihrer Ideen haben auch die anderen Parteien nicht vorgelegt.
Aus meiner Sicht ist eine Analyse wichtig: Wo haben die Menschen Problemstellungen, welche Lösungen bieten wir an und wie werden wir diese umsetzen? Nur so schaffen wir Glaubwürdigkeit.
Welche Sorgen muss die SPÖ jedenfalls ansprechen, damit sie am 29. September gewählt wird?
Ich glaube, wir brauchen mehr Gerechtigkeit in diesem Land. Wir haben aufgrund der multiplen Krisen eine Entwicklung, dass die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer wird. Das destabilisiert eine Gesellschaft. Teil des österreichischen Erfolgsmodells ist ein starker Mittelstand. Wenn dieser Mittelstand, die fleißig Arbeitenden, die Hoffnung und die Zuversicht verliert, ist das auch ein demokratiepolitisches Problem.
Heißt „Gerechtigkeit“ im Fall der SPÖ, dass man die besonders Vermögenden besteuert und das Geld jenen zugutekommen lässt, die schlechter gestellt ist?
Nicht nur in der SPÖ. Es gibt kaum noch ein Wirtschaftsinstitut, das keine Schieflage zwischen der Besteuerung von Vermögen und Arbeit in Österreich erkennt. Im OECD-Vergleich sind wir jenes Land, das die geringste Vermögensbesteuerung hat. Es gibt in Europa kluge Modelle, wie man Vermögen stärker besteuern und Arbeit entlasten kann. Das ist sozialdemokratisch richtig und wirtschaftspolitisch notwendig.
Und realpolitisch machbar? ÖVP und FPÖ versprechen ja keine neuen Steuern.
Wir sollten ja nichts versprechen, was wir nicht halten können.
Also bewerten Sie die Forderungen von ÖVP und FPÖ nicht als sakrosankt?
Als langjährige Parlamentarierin habe ich gelernt: Wenn wir uns vertrauensvoll an einen Tisch setzten und wichtige Themen diskutieren, gehen wir aufeinander zu. Ein Kompromiss ist ja kein Umfaller. Ein Kompromiss ist oft der bessere Weg, gute Entscheidungen zu finden. Jetzt ist der Wähler am Wort – nach der Wahl muss man sehen, wie man zu parlamentarischen Mehrheiten kommt. Das ist Demokratie: Es entscheidet nicht einer.
Wäre ein Kompromiss, eine vermögensbezogene Steuer einzuführen und Arbeit im gleichen Ausmaß steuerlich zu entlasten?
Ich kann ja keinen Kompromiss vorwegnehmen. Alle wissen, dass es eine Schieflage gibt und wir kluge Maßnahmen setzen müssen. Die Teuerung stellt für beinahe jeden einzelnen eine unbewältigbare Belastung dar und dämpft unser Wachstum. Abseits aller Ideologien muss es in unser aller Interesse sein, Österreich wirtschaftspolitisch zu stabilisieren. Ich bin der Auffassung, wir sollten uns Gedanken machen, wie wir das Land voranbringen und uns nicht mit dem Freund-Feind-Schema beschäftigen. Das ist fehlgeleitete Energie.
Babler hat viele Vorschläge unterbreitet. Welcher hat Sie am meisten überzeugt?
Die Frage der sozialen Gerechtigkeit ist entscheidend. Wir dürfen nicht wegschauen, wenn immer mehr Menschen armutsgefährdet sind, wenn der Mittelstand sich sorgt, abzurutschen. Ein reiches Land wie Österreich kann es sich leisten, Armut soweit wie möglich hintan zu halten.
Das Attentat in Solingen, der vereitelte Anschlag auf Taylor Swift-Konzerte in Wien: Wie schlecht ist es um die Migrations- und Integrationspolitik in der EU und in Österreich bestellt?
Wenn wir nichts tun, werden sich die Fronten verhärten. Ich finde es schon erstaunlich, dass ausgerechnet ÖVP und FPÖ, die ein Vierteljahrhundert die Verantwortung für die Sicherheit dieses Landes tragen, jetzt Versäumnisse kritisieren. Die EU hat mit dem Migrationspakt viel zu spät, aber doch reagiert. Wir müssen aber nationalstaatlich Maßnahmen umsetzen. Ich bin wie Wiens Bürgermeister für die Residenzpflicht und einen geordneten Zuzug in den Arbeitsmarkt. Andere Parteien leben aber, das muss man sagen, von genau dieser Auseinandersetzung und der Spaltung der Gesellschaft.
Brauchen wir in Österreich strengere Kontrollen für muslimische Vereine oder Moscheen?
Ich glaube, der Nationalrat hat bereits scharfe Gesetze beschlossen gegen Terror, Gewalt und staatsfeindliche Aktivitäten – sie müssen nur angewandt werden von der Exekutive. Man könnte im Übrigen auch mehr tun, was das Verhandeln von Rückführungsabkommen betrifft.
Die SPÖ hat eine Richtungsentscheidung in der Migrationsfrage getroffen. Man hätte auch den dänischen Weg einschlagen können – wie Gesetze gegen das Entstehen von Parallelgesellschaften oder Abkommen mit Drittstaaten.
Das ist kein Widerspruch zum Kaiser-Doskozil-Papier.
Was halten Sie für besser: Eine SPÖ, die sich nicht verbiegen lässt und dafür wieder in Opposition geht – oder eine Regierungsbeteiligung?
Ich erlebe die SPÖ als eine Partei, die eine klare politische Positionierung hat und einen Gestaltungsanspruch stellt. Die Frage ist: Kann ich schöne Ideen aufschreiben oder kann ich das Leben der Menschen verbessern? Wir als SPÖ sollten uns als staatstragende Partei um Letzteres bemühen.
Babler sagt, er sehe die SPÖ auch in einer wichtigen Funktion in der Opposition.
Es ist in einer Demokratie wichtig, starke Oppositionspolitik zu machen. Die Zielsetzung ist es aber, sozial-, wirtschafts- und frauenpolitisch das Land nach vorne zu bringen. Man muss nicht alles neu machen, aber wir könnten vieles besser machen.
Sie waren sechs Jahre Ministerin, sind seit zehn Jahren im Präsidium des Nationalrats und kandidieren auf Platz zwei Bundesliste. Sind Sie die „mächtigste Frau“ in der SPÖ?
Die Frage ist, wie man Macht definiert. Ich habe hohes Vertrauen und eine hohe Verantwortung übertragen bekommen. Dem will ich gerecht werden und das versuche ich mit hohem Verantwortungsbewusstsein.
Es wird kolportiert, Sie könnten bei der nächsten Legislaturperiode auch erste Nationalratspräsidentin werden, wenn die SPÖ nicht stimmenstärkste Partei wird. Könnten Sie sich das vorstellen?
Die Wahlen sind noch nicht geschlagen. In den nächsten 32 Tagen werden alle um ihre Ideen werben. Dann haben wir ein Ergebnis und dann werden 183 Abgeordnete in einer geheimen Abstimmung darüber entscheiden, wer im Präsidium des Parlaments sitzt. Ich mache die Aufgabe mit großem Engagement, viel Leidenschaft und bemühe mich sehr, sie überparteilich auszuüben.
Das heißt, Sie würden nicht „Nein“ sagen?
Ich kandidiere jetzt für den Nationalrat. Der wird dann bestimmen, wer Teil des Präsidiums ist.
War es je Teil Ihrer Lebensplanung, die SPÖ zu übernehmen?
Nein, den Bundesparteivorsitz habe ich nie angestrebt und strebe ihn auch in Zukunft nicht an.
Und das Amt der Bundespräsidentin?
Die kommenden vier Jahre haben wir einen vom Volk gewählten Bundespräsidenten, der sich unsere Loyalität verdient hat. Fragen Sie mich heute nicht, was in vier Jahren sein wird.
Dann fragen wir Sie in vier Jahren.
Bitte gern.
Die 62-Jährige startete ihre Polit-Karriere in der Sozialistischen Jugend. 1987 zog sie in Wien-Liesing ins Bezirksparlament ein, 1990 in den Nationalrat. Danach war sie unter anderem Bundesgeschäftsführerin und von 2008 bis 2014 Verkehrsministerin. Seit 2. September 2014 ist Bures im Nationalratspräsidium vertreten, bis 2017 als Erste, seitdem als Zweite Präsidentin. Sie ist zudem stellvertretende SPÖ-Vorsitzende.
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