Coronavirus: "Wir sind Krisen gewohnt, aber Corona toppt alles"
Die Welt führt Buch. Über Zahlen. Über Infizierte, Genesene, Tote. Über Durchseuchungsraten, Dunkelziffern. Parameter einer Pandemie, nach der sich die Politik zu richten hat. Und das tut sie, seit dem 13. März.
Seit "Europa zum Epizentrum der Covid-19-Pandemie geworden“, wie es Tedros Adhanom Ghebreyesus, Chef der Weltgesundheitsorganisation WHO an eben diesem Freitag, dem 13., formuliert.
Seither bestimmen Zahlen die Botschaften an die Bevölkerung. Und derer gibt es seit einem Monat nicht nur reichlich. Sie sorgen für bis dato nie dagewesene Zahlen, was den Zuspruch der Menschen betrifft.
"Die Welt ist zynisch geworden“, beschreibt Journalist Gabor Steingart den Zeitgeist.
Freitag, der 13., und Rekorde
Die erste, größere Pressekonferenz aus dem Bundeskanzleramt am 13. März sehen im ORF bis zu 1,419 Millionen Zuseher. Das entspricht einem Marktanteil von 69 Prozent. Als Bundeskanzler Sebastian Kurz am Montag, dem 15. März, die Ausgangsbeschränkungen verkündet, sind bis zu 2,991 Millionen Zuseher via ORF dabei. (Marktanteil 68 Prozent).
Seither ist Österreich auf Notbetrieb. Seither vergeht kein Tag ohne mindestens eine Pressekonferenz aus dem Bundeskanzleramt ( BKA). Selbst an Wochenenden (mit Ausnahme des Osterwochenendes) lässt die Bundesregierung ein oder mehrere ihrer Mitglieder ans Rednerpult. 50 Pressekonferenzen sind es laut BKA bis dato.
"Einmaleins der Krisenkommunikation"
"Es gehört zum Einmaleins der Krisenkommunikation, dass es immer einen Ort, eine Gruppe von Personen und eine Regelmäßigkeit in der Kommunikation gibt“, sagt Gerald Fleischmann, des Kanzlers Medienbeauftragter, im KURIER-Gespräch.
"Deshalb sind wir immer im Bundeskanzleramt und haben regelmäßig Pressekonferenzen, um die Bevölkerung zu informieren.“ Dass es an einem Tag mit vier Pressekonferenzen zu viel des Guten war, das bestreitet man im Kanzleramt nicht.
Es gebe nun täglich mindestens eine – maximal drei Pressekonferenzen. Etabliert hat sich derweil auch eine Vierer-Konstellation: Kanzler Sebastian Kurz, Vizekanzler Werner Kogler, Gesundheitsminister Rudolf Anschober und Innenminister Karl Nehammer treten gemeinsam jeweils zu Wochenbeginn – Feiertagsbedingt wohl diesmal am Dienstag nach Ostern - auf, um den Fahrplan für die nächste Woche zu skizzieren und argumentieren.
Wie wichtig die richtige Wortwahl ist und wie gewichtig sie wird, wenn sie inhaltlich falsch oder missverständlich interpretiert werden kann, zeigen der kurzzeitig avisierte Oster-Erlass und die dann doch nicht-verpflichtende "Stopp Corona“-App.
Fleischmann, der als Mastermind der Message Control in Kurz‘ Team gilt, sagt darauf angesprochen zum KURIER: "In Wohlstandszeiten ist die Distanz zwischen Medien und Realität teils groß, ab und zu hat das, was in den Medien stattfindet nur relativ etwas mit der Realität zu tun. In Krisenzeiten verringert sich diese Distanz drastisch. Was man in den Medien sagt, hat eine viel direktere Wirkung auf die Realität. Ein falscher Halbsatz in einer Krisenzeit ausgesprochen, kann schwerwiegende Folgen haben.“
Auf Distanz sind derzeit die Journalisten, die zum Großteil aus dem Homeoffice via Video-Streaming Pressekonferenzen verfolgen, Interviews telefonisch führen. Auf Distanz sind auch jene Journalisten, die vor Ort im Bundeskanzleramt ihrer Arbeit nachgehen.
Auf Distanz mit Plexiglas
Einlass gewährt wird ob der auferlegten Abstandsregel von einem Meter zum nächsten Gegenüber nur jeweils einem Journalisten pro Medium. Seit einer Woche Pflicht ist zudem das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes. Daran zu halten haben sich auch die auftretenden Minister und Experten, wenngleich sie die Masken zum Sprechen abnehmen.
"Als Regierung kann man von der Bevölkerung nicht verlangen, Mund-Nasen-Schutz zu tragen und selbst keine benutzen“, sagt Fleischmann.
Weil aber mit Maske die Aussprache schwer verständlich sei, habe man sich für die Plexiglaswand vor dem Rednerpult entschieden, um den nötigen Schutz und Abstand zu wahren, wie das auch bereits im Parlament gemacht wurde.
Fleischmann: „Wir sind Krisen gewohnt“
Hinter den Kulissen im Kanzleramt laufe in der Krise vieles wie vor Corona.
"Wenn man so will: Wir sind Krisen gewohnt. Denken Sie nur an die Ukraine-Krise, die Migrationskrise, die von vielen als Staatskrise bezeichnete Zeit nach der Ibiza-Affäre, aber Corona toppt alles.“
Das engste Team, das Kabinett des Bundeskanzlers, sei seit Jahren gleich. Man sei ein eingespieltes Team, die Strukturen extrem schlank, die Wege, weil alle im Bundeskanzleramt sind, extrem kurz.
Es gäbe derzeit wohl kaum jemanden in Österreich, der mehr über die aktuellen Entwicklungen und Auswirkungen wisse als der Bundeskanzler, heißt es rund um den Ballhausplatz auf KURIER-Nachfrage mit Verweis auf das Besprechungspensum.
Alle zwei Tage Videokonferenzen mit Länderchefs
Alle zwei Tage Videokonferenzen mit den Landeshauptleuten und Regierungsmitgliedern, ein bis zwei Mal pro Woche mit den Chefs aller Parlamentsparteien und ein bis zwei Mal in der Woche Briefings von den Experten aus Forschung und Medizin. Dazu kämen regelmäßige Telefonate mit den Staatschefs Merkel, Conte und Co.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder geht dem (Boulevard) gemäß vor und macht nach anfänglicher Abgrenzung - "Ich bin mir noch nicht ganz sicher, ob das Modell eins zu eins taugt, denn es ist an einigen Stellen nicht sehr konsequent“ - Österreichs Modell gleichsam nach. Er hegt, lässt er Mitte der Karwoche wissen, Sympathie für das "Wiener Modell“.
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