Die Beamten holten das Handy ab und ließen es der Witwe zukommen, obwohl es rund um die Todesumstände ein Beweismittel hätte sein können. Ein Amtsmissbrauch war aber "weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht" nachweisbar, steht in der Begründung zur Einstellung.
Das Verfahren wegen Amtsmissbrauchs gegen zwei niederösterreichische Kripo-Beamte in derCausa um den verstorbenen Justiz-Sektionschef Christian Pilnacek wurde eingestellt, wie am Montag bekannt wurde. Nach einer Weisung der Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien musste die ermittelnde Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), wie berichtet, ihre Begründung ändern. Jetzt wurde die Begründung in der Ediktsdatei veröffentlicht.
Was genau geändert wurde, geht nicht daraus hervor. Spannend sind die 21 Seiten allemal. Sie werfen einen durchaus kritischen Blick auf die Geschehnisse nach dem Ableben des Spitzenbeamten.
Die Ermittlungen starteten mit einer Anzeige, die im Frühjahr 2024 von Pilnaceks Freundin Karin W. eingebracht wurde. Sie behauptete darin, die Beamten hätten ihre hoheitlichen Befugnisse missbraucht, weil sie wenige Stunden nach dem Fund der Leiche am 20. Oktober 2023 in Rossatz persönliche Gegenstände Pilnaceks bei ihr abholten.
Die Beamten übergaben das Handy, Auto- und Wohnungsschlüssel sowie die Geldbörse anschließend dem Anwalt der Witwe, die wie sich später herausstellte - das Handy mit einem Bunsenbrenner vernichtete.
Im Fokus stand immer die Frage nach dem Motiv: Spekuliert wurde etwa, dass die Kripo-Beamten auf Pilnaceks Handy (politisch) belastendes Material vermutet hätten, und dieses (möglicherweise nach einem Auftrag von oben) verschwinden lassen wollten. Pilnacek war ja langjähriger Sektionschef im Justizministerium, hatte die Aufsicht über brisante Strafverfahren und war politisch bestens verletzt.
Auch, dass er - laut Angaben der Freundinnen Anna P. und Karin W., in deren Haus in Rossatz er sich in jener Nacht aufhielt - "wie wild am Handy herumgetippt" habe, gab Anlass zur Vermutung, er habe womöglich versucht, seine Kontakte zu aktivieren, um die Geisterfahrt zu vertuschen.
Das Handy wurde nie sichergestellt und die Daten nie ausgewertet - und dafür verantwortlich sind, so viel geht aus der Einstellungsbegründung hervor, die Polizisten. Allerdings sei "weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht von einem Missbrauch hoheitlicher Befugnisse auszugehen".
Sinngemäß liest sich die Begründung so, als hätten sie es schlicht nicht besser gewusst. Sie seien "berechtigterweise" davon ausgegangen, dass es sich beim Tod des Sektionschef um einen Suizid gehandelt habe. Auch, wenn ein Suizid nie zweifelsfrei belegt wurde.
Für möglich gehalten wird auch, dass es ein Unfall war. Und auch die Frage nach einem möglichen Fremdverschulden ist noch nicht ganz ausgeräumt. Die Staatsanwaltschaft Krems prüft derzeit eine Wiederaufnahme der Ermittlungen.
Zu den Abläufen: Pilnacek wurde in der Nacht des 19. Oktober 2023 als Geisterfahrer aufgehalten, von Freundin Anna P. zu Karin W. nach Rossatz gebracht, trank noch eine halbe Flasche Prosecco und verließ gegen Mitternacht das Haus. Um 7.51 Uhr wurde sein Leichnam in einem Seitenarm der Donau entdeckt.
Die zuständige Gemeindeärztin konnte vor Ort ein Fremdverschulden nicht ausschließen und regte eine Obduktion an. Von der Staatsanwaltschaft Krems wurde schließlich ein Verfahren zur Klärung der Todesursache eingeleitet.
Jetzt kommen die beiden Kripo-Beamten ins Spiel, die Pilnaceks persönliche Gegenstände gegen 16 Uhr bei den Frauen im Haus in Rossatz abholten.
Laut Einstellungsbegründung wussten die beiden "erfahrenen Ermittler", dass es ein Verfahren eingeleitet worden war. Sie wussten auch, dass die Frage der Beweisrelevanz des Mobiltelefons zum Zeitpunkt, als sie das Gerät an den Anwalt der Witwe übergeben haben, "nicht abschließend geklärt war".
Die Todesursache stand noch nicht fest - die Obduktion fand erst sechs Tage später statt. Einer der beiden Beamten räumte in seiner Vernehmung bei der WKStA sogar ein, dass man erst da eine etwaige Vergiftung feststellen hätte können, die "auf den ersten Blick nicht ersichtlich war".
Die Kripo-Beamten vertraten jedenfalls die Ansicht, es handle sich um einen Suizid - was sie offenbar glaubhaft darlegen konnten. In dem Schriftstück heißt es, es sei "nachvollziehbar" und "jedenfalls vertretbar", dass sie "mangels (aus ihrer Sicht) ins Gewicht fallender Beweisrelevanz" davon abgesehen haben, das Handy als Beweismittel zu sichern.
Wörtlich wird an einer anderen Stelle, die sich auf die Annahmen der WKStA bezieht, festgehalten:
Die Beamten wussten, "dass es sich bei dem in ihrer Gewahrsame befindlichen Mobiltelefon des Mag. P*** um ein (potentielles) Beweismittel handelte, das im laufenden Ermittlungsverfahren einen Beitrag zur Klärung der Todesursache, konkret zur Gewinnung von Hinweisen leisten konnte, die für oder auch gegen die zu diesem Zeitpunkt (aus ihrer Sicht) bereits naheliegenden Annahme sprechen würden, dass es sich um einen - nicht durch eine Straftat verursachten - Selbstmord handelte."
Und dennoch: Sie nahmen "davon Abstand", eine Auswertung des Mobiltelefons in die Wege zu leiten oder die Staatsanwaltschaft Krems zu kontaktieren, "um diesbezüglich weitere Anordnungen einzuholen".
Später wird im Zuge der Beweiswürdigung darauf hingewiesen: Es bleibe dahingestellt, ob sie sich mit der Staatsanwaltschaft Krems abgestimmt hätten, ob das Handy sicherzustellen sei oder nicht. Dokumentiert ist es nicht.
Die gesetzlichen Vorgaben seien den Kriminalbeamten bewusst gewesen. Dass sie aber im Wissen gehandelt hätten, ihre Pflichten - konkret: von Amts wegen "die Wahrheit zu erforschen" - zu vernachlässigen bzw. diesen zuwiderzuhandeln, sei "nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens nicht anzunehmen".
"Ebenso wenig kann auf Grundlage der Ermittlungsergebnisse angenommen werden, dass sie sich dabei von unsachlichen Erwägungen hätten leiten lassen." Sprich: Dass dahinter eine politische Vertuschungsaktion gesteckt haben soll, wie ihnen etwa Peter Pilz(siehe unten) vorwirft.
Warum aber nahmen sie das Handy überhaupt an sich und übergaben es der Witwe?
Auch dazu liest sich die Geschichte heute etwas anders als noch vor einem Jahr, als Ex-Mandatar Pilz auf zackzack.at zum ersten Mal über die Vorfälle berichtete: Damals gab Karin W. an, die Beamten hätten die Gegenstände von ihr gefordert, sie schilderte die Szene sogar als einschüchternd - und erstattete ebenjene Anzeige, die zu den Amtsmissbrauch-Ermittlungen geführt hat.
Später änderte Karin W. ihre Aussage und gab an, dass sie und Anna P. die Polizisten selbst darum baten, die Gegenstände abzuholen.
Im Schreiben heißt es, die Abholung bzw. Übernahme durch Polizeibeamte erfolgte "allein aus dem Grund", dass die Frauen diese Gegenstände nicht behalten, sondern der Witwe zukommen lassen wollten und daher ein Angebot der Polizeibeamten angenommen haben, sich darum zu kümmern.
Ein "missbräuchlicher Einsatz hoheitlicher Befehls- und Zwangsgewalt" finde daher "keinen Halt", steht im Einstellungsschreiben. Auch, wenn die Aktion an sich weder in der Strafprozessordnung, noch im Sicherheitspolizeigesetz vorgesehen sei, wie festgehalten wird.
Dass die Beamten später behaupteten, es habe sich bei den Gegenständen um "geringfügige Effekten" gehandelt, die man im Rahmen der kriminalpolizeilichen Leichenbeschau an sich genommen habe, sei als "reine Schutzbehauptung zu werten".
Nachricht an einen engen Freund
Zur Frage, warum die Kripo-Beamten so fest davon ausgegangen sind, dass Pilnacek sich das Leben genommen habe, findet sich im Einstellungsschreiben ein Erklärungsansatz:
Ein (laut eigenen Angaben) "enger Freund" Pilnaceks habe am späten Vormittag des 20. Oktober (knapp vier Stunden nach dem Fund des Leichnams) beim Landeskriminalamt angerufen und erklärt, dass Pilnacek ihn in der Nacht zuvor folgende Nachrichten schrieb:
"Verkehrskontrolle" mit einem Emoji (Affe mit zugehaltenenen Augen); und später: "Bin fertig und kann nicht mehr, alles Liebe."
In einem eMail erklärte der Freund der Polizei später noch, er vermute hinter der "Niedergeschlagenheit der Nachricht" Pilnaceks, dass dieser mit Alkohol am Steuer erwischt worden sei sowie berufliche und private Probleme gehabt habe.
Die Staatsanwaltschaft Krems hat ihre Ermittlungen rund um die Todesumstände am 1. März 2024 eingestellt, weil kein Fremdverschulden festgestellt werden konnte. Wie berichtet, gab es kürzlich aber eine Weisung von oben, zu prüfen, ob die Ermittlungen nicht doch neu aufgenommen werden sollen.
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