Bildungsminister: "Tägliche Turnstunde geht sich nicht aus"

Bildungsminister: "Tägliche Turnstunde geht sich nicht aus"
Martin Polaschek über Versäumnisse in der Pandemie, "geistige Landesverteidigung", fehlende Lehrer und was er von der Einführung von Studiengebühren hält.

KURIER: Im letzten KURIER-Interview sprachen Sie davon, nach Covid eine „Bestandsaufnahme der Baustellen“ machen zu wollen. Was ist das Ergebnis?

Martin Polaschek: Eine der Baustellen die wir identifiziert haben: Es darf nicht 10 Jahre und mehr dauern, um Lehrpläne zu adaptieren. Eine Lehrplan-Kommission, die sich aus Experten des Bildungsministeriums, von Hochschulen und aus der Praxis zusammensetzt, wird nun regelmäßig überprüfen, ob die Lehrpläne den Entwicklungen standhalten.

Was wäre ein Beispiel, was künftig unterrichtet werden soll?

Wirtschafts- und Finanzbildung. Kinder bekommen oftmals auch aus dem Elternhaus zu wenig vermittelt, was es bedeutet, mit Geld gut umzugehen, welche wirtschaftlichen Zusammenhänge man verstehen muss, um gut leben zu können. Ein weiteres Thema ist geistige Landesverteidigung.

Wie und in welchem Fach soll das unterrichtet werden?

Es wird kein eigenes Fach geben, sondern es soll fächerübergreifend gelehrt werden. Es geht uns darum: Wissen die jungen Menschen, was es heißt, in einem neutralen Land zu leben? Was bedeutet Krieg in Europa? Die geistige Landesverteidigung ist im Bundesverfassungsgesetz verankert und leider lange vernachlässigt worden.

Wie wollen Sie den eklatanten Lehrermangel bekämpfen?

Der Mangel, wie wir ihn jetzt haben – zusätzlich zur Welle an Pensionierungen – war nicht vorhersehbar und ist durch zahlreiche Krisen, etwa Covid, entstanden. Wir hatten 2015 einen Systembruch, indem wir die Lehramtsstudien auf Bachelor- und Masterstudien umgestellt haben.

Die Lehramtsausbildung für die Primarstufe wird nun von einem 4-jährigen Bachelor-Studium plus 1-jährigem Master umgestellt auf drei Jahre Bachelor und 2 Jahre Master. Damit entspricht das Studium allen anderen Bologna-Studien und der Umstieg ist leichter. Wir werden auch im Sekundarbereich die Studiendauer anpassen.

Wie viele neue Lehrer erhoffen Sie sich davon? 

Ich kann keine Zahlen nennen, weil die Entwicklung bei den Studienfächern nicht vorhersehbar ist. Generell haben wir in den vergangenen Jahren einen starken Rückgang in sehr vielen Studienrichtungen gesehen.

An den Beruf selbst werden hohe Erwartungen gestellt – seitens Eltern und Gesellschaft. Lehrer müssen oftmals mehr erziehen statt zu unterrichten.

Wir müssen die Bedeutung und die positiven Seiten des Berufes in den Vordergrund rücken. Wir brauchen einen gesellschaftlichen Konsens darüber, was Schule im 21. Jahrhundert leisten kann und was nicht. All das werden wir mit der Ressortstrategie "Klasse Job“ intensiv behandeln.

Was kann Schule denn nicht leisten?

Über Schule wird oft mit sehr viel Emotionen und in Klischees gesprochen, aber Österreich hat ein sehr gutes Bildungssystem und braucht sich nicht zu verstecken. Aber das strukturelle Schlechtreden von Schule wirkt sich darauf aus, dass immer mehr junge Menschen den Lehrberuf nicht ergreifen wollen. Ich arbeite gerade an einem Konzept, weil wir eine neue Erzählung von Schule brauchen.

Dieses Konzept werden wir 2023 oder 2024 lesen?

Lesen werden Sie es schon 2023. Ob wir mit der Umsetzung schon heuer beginnen, kann ich aber noch nicht sagen.

Wie können die Bildungsrückstände aus den Pandemiejahren aufgeholt werden?

Wir haben das Kontingent an Förderstunden erhöht und im psychosozialen Bereich aufgestockt. Statt wie bisher 120 gibt es nun österreichweit beispielsweise 240 Schulsozialarbeiter. Ich verweise zudem auf den Monat des Schulsports, der im Juni 2022 stattgefunden hat, indem wir mehr Sportvereine in die Schulen gebracht haben. In zehn Pilot-Regionen gibt es nun eine tägliche Bewegungseinheit, auch wenn das nicht immer eine volle Schulstunde ist.

Eine tägliche Turnstunde wäre aber notwendig, wenn man allein die Zahl der übergewichtigen Kinder betrachtet.

Eine tägliche Turnstunde geht ressourcentechnisch nicht. Ziel ist es, dass es in ein paar Jahren in jeder Schule eine tägliche Bewegungseinheit – ob im Turnunterricht, einem anderen Fach oder in Pausen – gibt.

Durch die Teuerung sind für viele Skikurse oder Sportwochen unleistbar geworden. Braucht es mehr Mittel?

Das ist eine generelle Frage des Sozialsystems: Es gibt zahlreiche Entlastungsmaßnahmen seitens der Regierung gegen die Teuerung. Wir müssen in einem ersten Schritt sehen, wie diese Maßnahmen greifen ehe wir über mehr Mittel sprechen. Unter anderem haben wir im Bildungsministerium auch den Schulveranstaltungfonds eingerichtet, der genau hier Entlastung schafft.

Werden Sie sich für mehr Mittel für einsetzen?
Ich bin dafür offen.

Sie haben angekündigt, der Bund soll mehr Kompetenzen bei der Elementarpädagogik bekommen…

Es war ein Fehler, das so zu sagen. Es interessiert jetzt alle nur die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern, anstatt über gemeinsame Qualitätsstandards zu diskutieren. Eine neue Verteilung würde einiges erleichtern, aber es ist nicht prioritär. Wichtig ist, dass der Kindergarten der erste Ort ist, an dem Kinder mit Bildung in Kontakt kommen, an dem der Grundstein für alles Weitere gelegt wird. Deshalb haben wir für die kommenden fünf Jahre auch eine Milliarde Euro bereitgestellt.

Gefordert war eine Milliarde pro Jahr.

Ich weiß, doch diese Milliarde für fünf Jahre ist sehr viel Geld zusätzlich zu den anderen Mitteln. Es passiert viel in der Ausbildung.

Bildungsminister: "Tägliche Turnstunde geht sich nicht aus"

13.000 Kindergärtnerinnen fehlen in Österreich in den kommenden Jahren. Bedeutet das 50 Kinder pro Gruppe?

Wir bilden nicht wenige Menschen aus, sehen aber, dass diese nach der Ausbildung nicht ins Feld gehen. Dem gehen wir nun auf den Grund – doch noch fehlt uns das empirische Material. Die Arbeitsbedingungen haben sich per se ja nicht geändert. Wir sehen nur, dass es bei jüngeren Menschen einen Trend zur Teilzeitarbeit gibt. Es gibt leider wenig Interesse, nach einem Studium Vollzeit einen Beruf zu ergreifen.

Themenwechsel. Sie sind ein Mann der Wissenschaft und haben eine Studie zu Deutschförderklassen beauftragt, die Weiterentwicklungsbedarf zeigt, und Sie behalten das System bei, warum?

Die Studie wird nicht ignoriert. Die Studie sagt nicht, die Deutschförderklassen gehören abgeschafft. Die Studie hat fünf Punkte mit Handlungsbedarf ergeben. Wir haben vier von fünf Punkte bereits erfüllt - etwa die geforderte Aufstockung der Mittel auf zehn Millionen Euro für die kommenden zwei Jahren, die Aufstockung von Förderstunden, etc. Auch der Einstiegstest und das Angebot für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache werden überarbeite. Der fünfte Punkt ist der Wunsch, dass Schulen autonom über Deutschklassen entscheiden können. Hier gibt es aber Zweifel, dass die Form, die in der Studie vorgeschlagen wird, auch Sinn macht. Aber wir werden uns überlegen, wie weit wir auch in diesem Bereich Anpassungen vornehmen können.

Die Universitäten fordern mehr Mittel, werden besetzt, um auf den Klimawandel und die Studienbedingungen aufmerksam zu machen. Haben Sie je eine Uni besetzt und verstehen Sie die Anliegen der Besetzer?

Nein und nein. Ich verstehe Besetzungen, wenn dann nur als ein Zeichen, wenn es um universitäre Themen geht. Aber Hörsaalbesetzungen sind nicht das richtige Mittel, um die Gesellschaft wegen des Klimawandels wachzurütteln. Ich habe es nicht gut gefunden, dass einzelne Rektoren die budgetäre Situation der Universitäten auf dem Rücken der Studierenden austragen. Das wäre mir als Rektor nie im Leben eingefallen.

Ist die Wiedereinführung von Studiengebühren denkbar?

Nein.

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