Die Aula der Bildenden ist eine von mehreren österreichischen Hochschul-Räumlichkeiten, die aktuell besetzt sind bzw. in den vergangenen Tagen besetzt waren: Nicht nur in Wien, auch in Graz oder Innsbruck wird so protestiert. Den Studierenden geht es um bessere Studienbedingungen, aber noch viel mehr um das Klima. „Erde brennt“ ist das Motto ihres Protests. Es ist eine Reminiszenz an das Jahr 2009, als unter dem Motto „Uni brennt“ die längste Uni-Besetzung in der Geschichte Österreichs (61 Tage) stattfand.
Dafür, dass Österreich gemeinhin als Land mit kaum Protestkultur gilt, ist es in den vergangenen Jahrzehnten gar nicht so selten zu Besetzungen an den Unis gekommen: 2004 organisierte die Hochschülerschaft (ÖH) aus Protest gegen den neuen Organisationsplan des Rektors eine mehrstündige Besetzung des Rektorats und des Senatssitzungssaals, der Rektor selbst wurde „getortet“, bekam also eine Torte ins Gesicht geworfen.
Zehn Jahre zuvor, Mitte der 90er, besetzten Studierende den größten Hörsaal der Uni Wien gegen das mit dem neuen Universitätsorganisationsgesetz beschlossene Sparpaket. Aus einem ähnlichen Grund war es schon 1987 zu Besetzungen gekommen. Dem voraus gingen Widerstandsbekundungen gegen geopolitische Ereignisse wie den Einmarsch von US-Soldaten in Kambodscha im Mai 1970, woraufhin das Dachgeschoß der „Bildenden“ besetzt und am Dach des Hotel Bristol die Fahne der vietnamesischen Befreiungsfront gehisst wurde.
Auch in den 60ern ging es rund an den Unis: Teach-Ins einschließlich Besetzung des Hörsaal 1 im Neuen Institutsgebäude oder eine Veranstaltung von aktionistischen Künstlern, die unter dem Namen „Uni-Ferkelei“ bekannt wurde, fanden statt. Auch im Jänner 1969 protestierten die Studierenden gegen den Besuch des Schahs von Persien in Wien, sie besetzten mehrere Räume, es gab Sitzstreiks und sogar einen Hungerstreik iranischer und österreichischer Studierender.
Dass die Unis auch in Österreich eine so lange Tradition von Protest haben, hat laut dem mittlerweile pensionierte Professor für Kultursoziologie, Roman Horak, einen einfachen Grund: „Die Studenten haben das Privileg, relativ viel Zeit zu haben – zum Denken, Reden, um sich zu empören. In den Sozialwissenschaften ist die Beschäftigung mit gesellschaftspolitischen Vorgängen ja auch Teil des Studiums“, sagt er. Wobei es die Studierenden heute schwerer hätten als zu der Zeit, als er in den 70ern selbst an Besetzungen beteiligt war. Denn heute würden viele nebenbei arbeiten. Dafür seien Protestaktionen über soziale Medien leichter zu organisieren als früher: „Bei uns lief das über Flugblätter und Mundpropaganda. Da musste man telefonieren, aber das hat auch oft nicht funktioniert, weil dann wieder jemand anderer am Vierteltelefon hing“.
Und pragmatischer seien die Studierenden heute – etwa, wenn sie wie aktuell Alkohol und Drogen bei den Besetzungen verbieten. „Selbstkritisch betrachtet glaube ich, wir waren früher überheblicher“, sagt Horak. „Was in der bürgerlichen Presse über uns stand, war uns egal.“ Diskutiert werde aber sicher heute genauso wie damals – schon über den Zweck des Protests: „In den 70ern wollten einige nur über die Studienbedingungen reden und die Radikaleren haben gesagt: ,Nichts da, wir wollen die Welt aus den Angeln haben, wir sind für alles verantwortlich’“.
Auch heute ist nicht nur das Klima Thema – auch Kolonialismus, Rassismus, Produktionslogiken und vieles mehr wird bei Veranstaltungen in den besetzten Räumlichkeiten debattiert. Für vieles (etwa auch das Putzen) gibt es eigene Organisationsteams und Arbeitsgruppen.
Eine, die weiß, wie sehr es bei einem solchen Protest auf die Organisation ankommt, ist Sigrid Maurer, ehemals als ÖH-Vorsitzende an den „Uni-brennt-Protesten“ beteiligt, heute Klubobfrau der Grünen. „Eine Besetzung ist auch Arbeit“ sagt sie. Und obwohl Maurer heute Regierungspolitikerin ist, kann sie nachvollziehen, dass jetzt wieder besetzt wird. „Aber die ältere Generation sollte der jüngeren nicht ausrichten, wie Protest richtig geht oder wie er am wenigsten stört – das macht ihn ja weniger sichtbar“, sagt sie zum KURIER. Dass junge Menschen etwas verändern wollen und für ihre Interessen eintreten, findet sie „gut und richtig“.
Bleibt die Frage: Was bringt es?
„Es ist viel Positives entstanden“, sagt Maurer, wenn sie auf 2009 zurückblickt: „Es gab einen riesengroßen Dialog, zum ersten Mal wurde auf Augenhöhe diskutiert, die ÖH war eingebunden, eine Arbeitsgruppe von Uni brennt, die Wissenschaftssprecher der Parteien und viele mehr.“ Nachdem damals auch Obdachlose Zuflucht in den besetzten Hörsälen gesucht hatten, entstand danach die zweite „Gruft“ in Wien.
Auch im schlechtesten Fall, wenn die Proteste keine unmittelbare Verbesserung bringen, sei es keine verlorene Zeit für die Studierenden, findet Horak. „Man lernt viel für das spätere Leben“, sagt er. „Vor allem, dass Widerstand möglich ist.“
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