Nach der Wahl: Wie wollen die Parteien unser Schulsystem reformieren?
Die Industrievertreter haben seit Jahrzehnten eine eigene Bildungsabteilung, und das aus gutem Grund: Immer öfter melden sich Industrie- und Wirtschaftsbetriebe, die über die Fähigkeiten und das Wissen der neuen Lehrlinge heftig klagen. Kein Wunder, ist doch seit Jahrzehnten bekannt, dass etwa 20 Prozent, also jeder und jede Fünfte, die Pflichtschule verlassen, ohne sinnerfassend lesen zu können.
Dienstagabend gab es die seltene Gelegenheit einer Diskussion der Bildungssprecher aller fünf Parlamentsparteien zur Frage, wie es weitergehen soll.
„Bildung ist der entscheidende Hebel für die langfristige Sicherung von Wachstum und Innovationskraft“, fasste IV-Generalsekretär Christoph Neumayer das Anliegen zusammen und gab den Politikern auch gleich seine drei wichtigsten Forderungen mit: ein bundesweites Qualitätsrahmengesetz für alle Kindergärten, was Türkis-Grün zwar angekündigt, aber nicht umgesetzt hat. Dann sollten alle Schülerinnen und Schüler bis zur achten Schulstufe mit praxisbezogenen Grundkompetenzen ausgestattet werden, einschließlich einer fundierten Wirtschaftsbildung. Und Neumayer forderte eine bessere Integration durch Bildung, die in den Kindergärten beginnen und sich durch das gesamte Schulsystem ziehen müsse.
Auffällig war ein breiter Konsens bei Rot, Grün und Pink bei Themen wie dem Ausbau ganztägig geführter Schulen oder dem Vorschlag, jene bis zu 500 Schulen mit den größten sozialen Herausforderungen (nach einem Index – erstellt von der Arbeiterkammer – auf Basis des Einkommens, des Bildungsstands und des Sprachstands der Eltern) gezielter zu fördern. Derzeit läuft ein entsprechendes Pilotprojekt, allerdings nur für einhundert Schulen. Welche das sind, ist nicht bekannt.
Allen Abgeordneten wurden zwei Fragen gestellt, die sie in einem Impulsreferat beantworten sollten. Das sind die Fragen - und die Antworten.
Rudolf Taschner, ÖVP
Was wäre umsetzbar und konsensfähig?
„Wir wollen die Fachkräfteausbildung stärken. Wir sprechen immer über Defizite, aber wir müssen auch das Positive vorzeigen. Und am besten sind die Schulen insbesondere im Dualsystem bei den berufsbildenden Schulen. Da haben wir viel vorzuweisen und hervorragende Schulen. Bei den Berufsweltmeisterschaften zeigen, dass wir da viele Goldmedaillen gewinnen. Darauf würde ich einen Fokus setzen, auch für eine blühende Wirtschaft.“
Was würden Sie als Minister sofort umsetzen?
„Den Schulen, den Pädagoginnen und Pädagogen mehr Spielraum, mehr Autonomie geben, auch indem die Lehrkräfte von bürokratischen Aufgaben entlastet werden. Dafür braucht es einfach viel mehr Vertrauen statt Kontrolle im Schulbetrieb. Die Schulen wissen, was sie brauchen und am besten können, das gilt für alle Schulen. Das würde auch den Lehrberuf interessanter und attraktiver machen.“
Petra Tanzler, SPÖ
Was wäre umsetzbar und konsensfähig?
„Ein bundesweiter Ausbau der verschränkten und offenen Ganztagsschule mit gesundem, warmem Mittagessen für alle Kinder, als Wahlmöglichkeit für die Familien. Und die Schule darf nichts kosten, das steht bei uns eigentlich im Gesetz, leider ist das nicht so.“
Was würden Sie als Ministerin sofort umsetzen?
„Wir brauchen sofort multiprofessionelle Teams, die schnell bei Problemen an Schulen eingreifen können, mit Sozialarbeitern und Schulpsychologen, momentan dauert es Monate, bis Hilfe kommt. Wir wollen auch eine Schule, wo es Nachhilfe am Standort gibt, denn die Kosten für private Nachhilfe sind enorm. Wir wollen einen Rechtsanspruch auf ein 11. und 12. Schuljahr für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Und wir wollen eine bedarfsorientierte und gerechte Finanzierung für Brennpunktschulen nach dem Chancenindex der Arbeiterkammer umsetzen.“
Hermann Brückl, FPÖ
Was wäre umsetzbar und konsensfähig?
„Wir wollen eine Bildungspflicht statt einer Schulpflicht, indem wir Bildungsziele statt Lehrpläne vorgeben, die von den Schülerinnen und Schülern auch erreicht werden müssen. Das soll nicht nur am Ende der Pflichtschule sein, sondern bei allen Übergängen sollen diese Beurteilungen getroffen werden. Also was muss jemand können, um in die Mittelschule oder ins Gymnasium zu kommen, aber auch an eine Universität oder eine Lehre? Da müssen alle Institutionen eingebunden werden.“
Was würden Sie als Minister sofort umsetzen?
„Wesentlich sind Deutschkenntnisse als Voraussetzung für den Schuleintritt, Sprache ist eines der größten Probleme der Schulen. Kein Kind, das dem Unterricht nicht folgen kann, darf in einer Klasse sitzen. Dafür haben sie zwei Jahre Zeit in den Deutschförderklassen. Das kombiniert mit einer entideologisierten Leistungsschule und der Wiedereinführung der Sonderpädagogik.“
Sibylle Hamann, Die Grünen
Was wäre umsetzbar und konsensfähig?
„Wir wollen eine bundesweite Offensive für Ganztagsschulen, kostenlos inklusive einem Mittagessen. Die Nachmittagsbetreuung wäre dann zusammenzuführen in eine einheitliche, ganztägige Schule, wo die Betreuer in den öffentlichen Dienst übernommen werden und gemeinsam mit multiprofessionellen Teams aus Pädagogen, Freizeitpädagogen sowie dem psychosozialen und administrativen Personal arbeiten. Mit der Möglichkeit für externe Angebote an Bewegung, Kreativität, Berufsorientierung, individueller Förderung und Elternarbeit.“
Was würden Sie als Ministerin sofort umsetzen?
„Die 500 Schulen mit dem niedrigsten Chancenindex zu Top-Schulen entwickeln, nach dem Vorbild der London-Challenge, und diesen so viel Ressourcen, Freiheit und Expertise geben, dass diese sich zu Leuchttürmen entwickeln können. Ein Anliegen bleibt aber auch die gemeinsame Schule der 6- bis 14-Jährigen.“
Martina Künsberg Sarre, NEOS
Was wäre umsetzbar und konsensfähig?
„Wir wollen einen Chancenbonus für Schulen, zusätzliche Mittel für Schulen mit sozialen Herausforderungen auf Basis eines Sozialindex, um gezielte Fördermaßnahmen, Unterstützungspersonal, Sozialarbeit und Lerncoaching zu finanzieren. Das Pilotprojekt, das mit 100 Schulen bereits läuft, ist gut gemeint, aber zu klein. Wir brauchen was Großes.“
Was würden Sie als Ministerin sofort umsetzen?
„Wir sind für mehr Autonomie und gegen die überbordende Bürokratie. Wir haben eine Umfrage bei Lehrern gemacht, mit dem Ergebnis, dass 90 Prozent sagen, dass sie Listen, Protokolle und andere bürokratische Aufgaben erledigen müssen, wofür viel zu viel Zeit aufgewendet werden muss und wo oft kein Sinn dahinter gesehen wird. Wesentlich ist auch eine Auflösung der Bildungsdirektionen, die zu Serviceagenturen auch für Eltern umgewandelt werden.“
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