Wöginger von der Justiz "geschont"? Was an der Kritik dran ist

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) habe den ÖVP-Klubchef zu billig davonkommen lassen; die Diversionen für die drei Angeklagten seien ein „Freibrief“; und die Parteien könnten jetzt fröhlich weiter „postenschachern“: So lautet im Kern die Kritik, die nach dem Prozess in der Causa Finanzamt gegen August Wöginger über die Justiz hereinbrach. Wieder einmal – diesmal sogar von fachkundiger Seite.
So stört sich Anti-Korruptionsexperte Martin Kreutner an der Argumentation des Schöffengerichts, dass „nur wenig Schaden“ entstanden sei. Gemeint waren der Verdienstentgang des Opfers (die unterlegene Bewerberin, mehr dazu hier) und die Tatsache, dass damals kein komplett Unfähiger den Vorstandsjob bekommen hat.
Kreutner sieht den Schaden mehr im „Vertrauensverlust in die staatlichen Institutionen, in die Regierung, in die öffentlichen Mandate“, wie er im Ö1-Journal sagte. Die Diversion setze ein falsches Signal, auch in Hinblick auf die Abschreckung künftiger Täter.
Prinzipien
Da ist wohl etwas dran. Nächste Frage: Hätte die WKStA die Causa „aus Prinzip“ durchfechten müssen? Mit dem Risiko, zu verlieren, und dann zuzuschauen, wie sich der nächste ÖVP-Politiker als völlig unschuldiges Opfer einer „linken Justiz“ inszeniert?
Zur Erinnerung: Eine Staatsanwaltschaft muss anklagen, wenn sie sich zu mehr als 50 Prozent sicher ist, dass verurteilt wird; ein Gericht aber darf nur verurteilen, wenn es sich zu beinahe 100 Prozent sicher ist.
Die Beweislast schien in dieser Causa zwar hoch – aber so klar war die Sache nicht. Auch die Beweiskraft von Chats kann sich – siehe die Causen Prikraf und Asfinag, in denen Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache freigesprochen wurde, sowie das Falschaussage-Verfahren gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz – vor Gericht schnell relativieren.
Kurz wurde in zweiter Instanz freigesprochen – nach mehr als zwölf Verhandlungstagen und rund 20 Zeugen. In der Causa Wöginger „erspart“ man sich nun zehn Verhandlungstage und die Einvernahme von 31 Zeugen.
ÖVP-Erzfeind
Ein weiterer „Vorteil“ aus WKStA-Sicht: Ihr Kronzeuge Thomas Schmid bleibt von Diskreditierungsversuchen durch die Verteidigung verschont. Zudem hielt die vorsitzende Richterin fest, dass der Sachverhalt „hinreichend geklärt“ sei. Was bedeutet, dass die Anklage sauber und inhaltlich dicht war.
Und mit dem vorzeitigen Ende bleibt alles, was in der Anklage steht – inklusive dem, was ÖVP-Erzfeind Schmid beigetragen hat – unwidersprochen picken.
Kehrtwende
Zur Frage, wie aufrichtig Wögingers Worte sind oder ob er taktiert hat: Diese Dinge müssen einander nicht ausschließen. Seine Vorgehensweise änderte sich jedenfalls grundlegend, als seine Mitbeschuldigten am Vortag eine Verantwortungsübernahme abgegeben und damit den Weg zur Diversion beschritten haben. Wöginger zog am Prozesstag nach.
Wobei die Kernelemente dessen, was er vor Gericht sagte – dass die Folgen für ihn so nicht vorhersehbar waren und dass er heute nicht mehr so handeln würde – schon in seine Stellungnahme zur Anklageschrift Anfang August standen (nachzulesen hier). Nur das: „Es tut mir wirklich leid“ war neu.
Die Koalitionsparteien erklären die Angelegenheit für erledigt, von der Opposition kam die erwartbare Kritik: FPÖ-Chef Herbert Kickl wettert gegen die Justiz und „selbst ernannte Eliten“. Die Grüne Vize-Klubchefin Sigrid Maurer sieht einen „von der ÖVP angerichteten Vertrauensschaden“. Persönlich wird Wöginger nicht angegriffen. Auch spannend.
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