Knalleffekt im Postenschacher-Prozess: Wöginger übernimmt Verantwortung

War es "Postenschacher aus dem Bilderbuch" - oder nur ein Bürgeranliegen, das ÖVP-Klubchef August Wöginger weitergeleitet hat?
Mit dieser Frage ist ab heute ein Schöffensenat unter dem Vorsitz von Richterin Melanie Halbig konfrontiert. Beschuldigt sind neben Wöginger zwei Beamte, die dafür gesorgt haben sollen, dass ein ÖVP-Mann den Vorstandsjob im Finanzamt Braunau-Ried-Schärding erhalten hat.
Der Mann soll diesen Wunsch bei Wöginger in der Sprechstunde deponiert haben, Wöginger soll sich dann bei Finanz-Generalsekretär Thomas Schmid für ihn eingesetzt haben, und dieser wiederum soll die Personalkommission beeinflusst haben.
Der Vorwurf lautet Amtsmissbrauch, es drohen bis zu fünf Jahre Haft. Wöginger wird als Bestimmungstäter geführt.
Überraschend: Auch Wöginger übernimmt Verantwortung
Die Beamten, die in der Personalkommission saßen haben am Montag völlig überraschend eine "Verantwortungsübernahme" eingereicht (der KURIER berichtete), was darauf hindeutete, dass sie heute zum Prozessstart eine Diversion beantragen. Auch Wöginger, der nichts Schriftliches eingereicht hat, übernimmt heute vor Gericht überraschend Verantwortung. "Ich sehe die Sache heute mit ganz anderen Augen als vor neun Jahren", leitet er ein. Wenn er damals schon gewusst hätte, was sein Handeln nach sich ziehe, hätte er es nicht gemacht. "Es tut mir wirklich leid, was durch mein Handeln ausgelöst wurde."
Aufgrund des Umstandes, dass heute die Angeklagten Verantwortung übernommen haben, prüfe die Richterin nun, ob es zu einer Diversion kommen werde.
Seit 10 Uhr wird verhandelt, derzeit ist Pause bis 12:15. Der KURIER berichtet live aus Saal 61 am Linzer Landesgericht.
Prozess gegen August Wöginger
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Eine Gegenstimme gibt es schon: Wolfgang Mayrhofer, er ist als Privatbeteiligtenvertreter für die übergangene Bewerberin Christa Scharf im Saal.
Gegenüber dem Standard sprach er sich in der Verhandlungspause deutlich gegen eine Diversion aus. Sie würde der bisherigen Rechtsprechung und wohl auch dem Gesetz widersprechen.
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Gleich geht's weiter
Die WKStA hat die vergangene Stunde genutzt, um darüber zu beraten, ob sie Einwände gegen eine diversionelle Erledigung hat - das Verfahren wäre damit schon heute und damit deutlich schneller als geplant vorbei. Ursprünglich waren ja elf Verhandlungstage anberaumt worden, ein Urteil hätte am 20. November fallen sollen.
Wichtig: Die WKStA kann eine Diversion für die drei Angeklagten nicht verhindern, sie kann nur ankündigen, Beschwerde einzulegen.
Die Entscheidung liegt nun also bei der Richterin bzw. beim Schöffensenat, mit dem sie sich berät.
Wir sind gespannt.
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Pause
Die Richterin fragt jetzt die WKStA; ob für sie ein diversionelles Vorgehen in Betracht komme.
Kasinger bittet um eine Sitzungsunterbrechung, um darüber nachdenken zu können. Eine Stunde bräuchte er.
Das passt gut, es ist eh Zeit für eine Mittagspause.
Wir sehen uns um 12.15 Uhr.
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Diversion steht im Raum
Aufgrund des Umstandes, das heute die Angeklagten Verantwortung übernommen haben und es ein umfangreiches Ermittlungsverfahren gegeben hat (wodurch der Sachverhalt hinreichend geklärt sei), prüft das Gericht nun, ob es eine Strafe brauche oder ob der Strafzweck auch anders erreicht werden könnte - etwa durch Diversion, erklärt die Richterin.
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Seine persönliche Befindlichkeit spiele hier zwar keine Rolle, sagt er, spricht dann aber trotzdem darüber.
Als nächstes kommt er auf "die damalige Zeit" zu sprechen, wo die Dinge noch anders gewesen seien. Heute würde er das nicht mehr so machen. "Aber ich übernehme heute die Verantwortung für mein damaliges Handeln."
Mehr sagt er nicht, er verweist auf die Worte seines Verteidigers.
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Wöginger ist am Wort
Wöginger hat schriflich nichts abgegeben, deshalb spricht er jetzt.
"Ich sehe die Sache heute mit ganz anderen Augen als vor neun Jahren", leitet er ein. Wenn er damals schon gewusst hätte, was sein Handeln nach sich ziehe, hätte er es nicht gemacht. "Es tut mir wirklich leid, was durch mein Handeln ausgelöst wurde."
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Verweis auf Schriftstück
Siegfried M. der Erstangeklagte und nimmt nun auch als Erster Stellung.
Der schriftlichen Verantwortungsübernahme sei "nichts hinzuzufügen", sagt er knapp. Es gibt auch keine Fragen an ihn.
Jetzt setzt sich Herbert B. nach vorne. Auch er verweist nur auf seine schriftliche Verantwortungsübernahme.
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Wichtig ist: Keiner der Angeklagten gibt einen formellen Antrag auf Diversion ein. Sie bitten die vorsitzende Richterin aber "um Berücksichtigung ihrer Verantwortungsübernahme".
Damit ist weiter alles offen. Es bleibt spannend.
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"Wir können das, was vor neun Jahren geschehen ist, nicht ungeschehen machen, aber wir können anerkennen, was passiert ist und dafür die Verantwortung übernehmen", sagt Verteidiger Rohregger, der sich an dieser Stelle auch bei der unterlegenen Bewerberin Scharf entschuldigt.
Am Medienandrang sehe man, dass es ein großes öffentliches Interesse gebe - und es die "Awareness" gibt, wie wichtig ein transparentes Bewerbungsverfahren sei.
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Knalleffekt
Auch Wöginger will eine Verantwortungsübernahme abgeben - auch er peilt offenbar eine Diversion an, um das Verfahren vorzeitig zu beenden und einem möglichen Schuldspruch zu entgehen.
Das ist neu. Noch nie hat ein so hochrangiger ÖVP-Mann in einem Strafverfahren "Verantwortung übernommen", sich also zu den Tatsachen geständig gezeigt. (Bisher wurden aber auch alle freigesprochen oder die Verfahren eingestellt.)
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Jetzt der Anwalt von Herbert B. Auch er verweist auf die Verantwortungsübernahme seines Mandanten und auf die Akten. Die rechtliche Qualität der Anklageschrift sei "enden wollend", sagt er, will aber nicht vertiefend darauf eingehen.
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Jetzt ist der Verteidiger von Siegfried M. am Wort.
Er beschreibt seinen Mandanten als Menschen, dessen Augen leuchten, wenn er über seine Familie spricht. Einer, der sich für die Finanzverwaltung begeistert und sie verbessert habe.
Er sei auch ein Mensch, der Verantwortung übernommen habe für sein Verhalten. Gestern reichte er ein entsprechendes Dokument ein. Dem KURIER liegt es vor. Das hat den Anwalt übrigens "zutiefst irritiert", wie er in seinem Eröffnungsplädoyer sagt. Upps.
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Intervention ist verboten
Oberstaatsanwalt Koch erklärt jetzt, warum er glaubt, dass die Handlungen strafbar sind. Die Beamten hätten ihre Befugnisse missbraucht, die WKStA unterstellt ihnen zumindest einen bedingten Vorsatz. Wöginger war zu dem Zeitpunkt noch kein Beamter, er ist deshalb nur als Bestimmungstäter zum Amtsmissbrauch angeklagt.
Was Wöginger aber wissen müsse: Intervention ist verboten. Schon alleine deshalb, weil sie regelmäßig jeder in Abrede stelle, so Koch.
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Wöginger "total happy"
Jetzt kommt Kasinger auf die berüchtigten Chats in der Causa zu sprechen. Kommissionsmitglied B. etwa schrieb Schmid noch während des laufenden Hearings eine "Erfolgsnachricht":
"Mit Bauchweh, aber (Daumen hoch)", woraufhin Schmid antwortete: "Mein Held". Und weniger als eine Minute später an Wöginger schrieb: "Wir haben es geschafft, dein Bürgermeister schuldet dir was."
Wöginger war darüber "total happy", wie er ihm schrieb.
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Oberstaatsanwalt Kasinger referiert jetzt noch weitere Details aus der Anklage - etwa dazu, wie das Hearing geführt wurde und dass es vorher schon Gemunkel gegeben habe, dass ein ÖVP-Wunschkandidat zum Zug kommen soll.
Wir empfehlen Ihnen dazu das Interview mit Christa Scharf, das sie dem KURIER Anfang September gegeben hat:
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Die Angeklagten
... sitzen in der ersten Reihe, mit dem Rücken zu den Zuschauern.
Der Erst- und der Zweitangeklagte B. und M. sitzen nebeneinander, Wöginger zwei Sessel weiter. Er hört aufmerkam zu, zeigt soweit erkennbar keine Gefühlsregung. Wie er schon zu den Journalisten sagte: Angenehm sei das heute nicht für ihn. Aber er habe Vertrauen in das unabhängige Gericht. "Und das unabhängige Gericht wird entscheiden."
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Am Ende erhielt L. von der Kommission die höchste Punktezahl, Scharf die zweitniedrigste.
Aber Vorsicht, betont Koch: Das Ermittlungsverfahren habe nicht ergeben, dass L. ungeeignet gewesen wäre. Nur, dass Scharf besser gewesen wäre.
"Wie von Wöginger gewünscht, wurde L. erstgereiht", sagt Koch. ÖVP-Finanzminister Hans Jörg Schelling hat ihn dann bestellt.
Später stellte das BVwG, wie angesprochen, fest, dass es eine Diskriminierung gab, und sprach Scharf Schadenersatz zu. Dann erstattete Scharf Strafanzeige.
Deshalb sitzen wir heute hier.
Scharf nicht, die ist Zeugin - und soll am 21. Oktober kommen.
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"Größte Konkurrentin"
Ganz anders habe sich M. gegenüber der anderen Bewerberin, Christa Scharf, verhalten.
Die beiden kannten einander schon lange beruflich, M. habe Scharf immer geschätzt und dies auch oft zum Ausdruck gebracht. "Was machst du anders als die anderen?", soll der Regionalmanager sie gefragt haben, weil das von ihr geführte Finanzamt so gut lief.
Als Scharf ihm mitteilte, dass sie sich auch bewerben würde, habe er überrascht reagiert. Und sie beim Hearing dann "vorwurfsvoll und forsch" behandelt, wie die WKStA schon in ihrer Anklage dargelegt hat.
Scharf war, so Koch, die größte Konkurrentin von ÖVP-Wunschkandidat L.
M. sei ihr gegenüber voreingenommen gewesen - er habe versucht, Scharf zu verunsichern, damit sie schlechter abschneidet beim Hearing.
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In weiterer Folge ging Schmid dann zu Herbert B., er ist der Zweitangeklagte und war damals Mitglied der Begutachtungskommission für den Vorstandsjob.
Jenes Mitglied der Kommission, das im ersten Hearing, bei dem Michael L. gescheitert war, besonders kritisch war, wurde entfernt und durch ein anderes Mitglied ersetzt. "Warum das geändert wurde, ist aus dem Akt nicht ersichtlich."
Für Koch ist klar, dass dies der erste Teil der Umsetzung des ÖVP-Wunsches durch Schmid war. Denn: "Diese neue Kommission hat dann gehalten."
Siegfried M. habe (den mutmaßlichen ÖVP-Wunschkandidat) L. beim zweiten Hearing dann um zehn Prozent besser bewertet als beim ersten.
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"Die Sache war ihm wichtig"
Wöginger habe sich dann an den Generalsekretär im Finanzministerium, Thomas Schmid, gewendet - die nächste einflussreiche und für den Bereich Finanzverwaltung zuständige Person.
Schmid ist Kronzeuge im Casag-Verfahrenskomplex. Der heute vorliegende Sachverhalt gehört zu jenen, die Schmid bei seinem Geständnis bei der WKStA 2022 geschildert hat.
"Mehrmals" habe Wöginger dann über die Besetzung des Finanzamts mit Schmid telefonisch und persönlich besprochen. "Die Sache war ihm wichtig", so Koch.
Und: "Wäre L. wirklich so hervorragend geeignet gewesen, wäre die Unterstützung durch einen einflussreichen Parteifreund wohl nicht nötig gewesen."
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Macht und Einfluss
Über seine Ambitionen, in der Finanzverwaltung Karriere zu machen, habe Michael L. mit Siegfried M., der damals Regionalmanager war, gewusst - und diese unterstützt.
Bei einem Hearing für einen Vorstandsjob im Mühlviertel scheiterte L.
Die nächste Gelegenheit bot sich dann im Innviertel - eben im Finanzamt Braunau-Ried-Schärding.
L. soll diesmal Wöginger um Unterstützung gebeten haben. Warum? "Weil dieser sein Parteifreund war, ein regionaler Mandatar, den er kannte und weil er mächtig und einflussreich war", sagt Koch.
Er habe sich also nicht nur auf dem Dienstweg beworben, betont der Oberstaatsanwalt, sondern seine Bewerbungsunterlagen auch dem ÖVP-Klubchef gegeben.
"Zu einem Roten wäre ich nicht gegangen", sagte L. bei seiner Einvernahme im Ermittlungsverfahren.
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Oberstaatsanwalt Koch schildert jetzt die Details des Falles:
Als 2016 der Vorstandsposten beim Finanzamt Braunau ausgeschrieben wurde, ist Michael L., ein ÖVP-Bürgermeister aus dem Mühlviertel und Ex-Polizist, der in die Finanzverwaltung eingestiegen ist, zum Zug gekommen.
Nicht zum Zug gekommen ist unter anderem Christa Scharf, die das Finanzamt zuvor schon interimistisch geführt und jahrzehntelange Erfahrung hatte.
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Die Schöffen sind vereidigt, jetzt hat die WKStA das Wort, um die Anklage vorzutragen.
Oberstaatsanwalt Kasinger nennt das Schlagwort gleich im ersten Satz: Postenschacher - ein "weit verbreites Phänomen". Es sei bekannt, dass in der öffentlichen Verwaltung bei Postenausschreibungen nicht immer der Beste zum Zug kommt, sondern der, der die besten Kontakte hat.
Trotz dieses Umstandes gab es zwar viele Ermittlungsverfahren, aber nie eine Anklage mit Verurteilung. Der Grund: Diese Absprachen im politischen Umfeld würden meist im Geheimen getroffen, offen rede niemand darüber.
Der gegenständliche Fall aber sei anders: Derart viele Beweise für eine Absprache habe man noch nie gesehen.
Es gibt Chats, Aussagen und - last but not least - ein Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, das eine klare Diskriminierung aufgrund von Weltanschauung (politischer Färbung) festgestellt habe, so Haslinger.
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Zu den Personen
Der Erstangeklagte sitzt jetzt vor der Richterin und gibt seine Personalien an. Siegfried M. ist 63 Jahre alt, von Beruf Finanzbeamter. Er hat keine Vorstrafen, ist also unbescholten.
Das war's schon wieder. Der Nächste bitte.
Herbert B. ist 60 Jahre alt, ebenfalls Beamter, ebenfalls unbescholten.
Jetzt ist August Wöginger an der Reihe und setzt sich in die Mitte. Er ist 50 Jahre alt (bald 51), und Klubobmann der ÖVP, auch er ist nicht vorbestraft.
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Die Strafsache ist aufgerufen
Auch der Erst- und der Zweitangeklagte - Siegfried M. (62) und Herbert B. (60) - sind jetzt da.
Die vorsitzende Richterin Melanie Halbig lässt noch kurz Fotos und einen Kameraschwenk zu, dann geht's los.
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Auch die Vertreter der WKStA haben schon ihre Plätze eingenommen - die Anklage vertreten heute Georg Kasinger und Roland Koch.
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Gleich geht's los
August Wöginger hat gerade den Saal 61 des Landesgerichts betreten. Vor Journalisten sagt er: "Wie Sie sich vorstellen können, ist heute kein angenehmer Tag für mich. Aber ich vertraue in die Unabhängigkeit der Gerichte."
In knapp 15 Minuten wird die Verhandlung aufgerufen.
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