Andreas Mölzer: "Kickl ist derzeit alternativlos für die FPÖ"
KURIER: Die türkis-grüne Koalition gleiche einer "Falotten-Regierung“, sagte FPÖ-Chef Herbert Kickl am Sonntag in Innsbruck – und zu den Demonstrierenden: "Wir sind das Volk“, das sich nicht brechen lassen werde. Teilen Sie seine Meinung?
Andreas Mölzer: Vieles von dem, was Kickl in Bezug auf die Corona-Maßnahmen sagt, ist richtig. Das teile ich. Was ich nicht teile, das ist die Tonalität, mit der man jede Gesprächsbasis mit dem politischen Mitbewerber – der unter Umständen einmal politischer Partner sein wird – verliert.
Ist Kickl Ihrer Meinung nach rhetorisch schärfer als er es als Klubchef war?
Ich hatte die Hoffnung, dass Kickl in die Rolle des Parteichefs hineinwächst, weil er am Anfang sehr maßvoll und ausgleichend geredet hat. Ich habe Verständnis, dass auf der Straße, bei Groß-Demonstrationen hoch emotional geredet wird, die Rhetorik eine andere ist als im Parlament. Es ist immer ein Grenzgang. Man kann scharfe Oppositionsrhetorik betreiben, aber man darf nie den Mitbewerber verletzen, weil die FPÖ nie 51 Prozent haben wird.
Hat der FPÖ-Chef die Grenze überschritten, potenzielle Partner vergrämt?
Als Realist weiß ich, dass sich alles schnell ändern kann. Die Haider-FPÖ war laut Andreas Khol auch „außerhalb des Verfassungsbogens“, und dann waren wir auf einmal in einer Koalition mit der ÖVP. Wenn ich die Regierung als „Falotten“ bezeichne, dann kann ich mir vorstellen, dass keiner mit mir reden will.
Jörg Haider schrieb dereinst "Die Freiheit, die ich meine“ …
Wer sagt, dass das er geschrieben hat? Das habe zu 80 Prozent ich geschrieben.
Das Buch, das Sie und Jörg Haider geschrieben haben, hat jedenfalls die Freiheit zum Inhalt. Kickl argumentiert stets mit der "Freiheit“. Wo hört die Freiheit des einzelnen innerhalb der FPÖ auf?
Der Titel „Die Freiheit, die ich meine“ stammt aus einem alten Studentenlied aus dem 19. Jahrhundert. Seit der deutschen Klassik, der Aufklärung und Immanuel Kant wissen wir, dass die Freiheit des einzelnen dort endet, wo die Freiheit des anderen eingeschränkt wird. Es ist auch eine Freiheit, wenn man gegen Impfzwang eintritt. Allerdings muss man darauf achten, dass dieses Freiheitsstreben nicht Freiheitsrechte der Allgemeinheit beeinträchtigt.
Werden die FPÖ und deren Spitze die Anti-Corona-Haltung beibehalten?
Schauen Sie, Kickl ist für eine fundamental-oppositionelle Partei der richtige Mann. Messerscharfe Rhetorik, eine gewisse Gnadenlosigkeit in der politischen Auseinandersetzung und: Kickl ist sicher derzeit alternativlos für die FPÖ. Ob das auf ewig so sein wird, das ist eine andere Frage. Ob er sich so entwickeln kann, dass er aus der Oppositionsrolle hinaustritt – wie das Haider und Strache gemacht haben – und in eine konstruktive Regierungsrolle schlüpfen kann, das wird man sehen. Vorläufig hat man den Eindruck, dass ihn in hohem Maße Revanchegedanken treiben für seine Abberufung als Innenminister. Das ist verständlich, kann aber nicht das alleinige politische Motiv sein.
Ist es nicht mehr ein egoistisches Motiv?
Ein verständliches. Der einzige Minister der Zweiten Republik zu sein, der vom Bundespräsidenten geschasst wird, das ist schon ein starkes Stück. Denken Sie an andere Fälle wie Kurz – da ist der Herr Bundespräsident nicht so hart vorgegangen. Es war unberechtigt, denn Kickl hat mit Ibiza wirklich nichts zu tun gehabt.
Noch einmal zurück zum alternativlosen Kickl: Liegt es daran, dass keine FPÖ-Funktionäre an die Spitze wollen?
Wollen jedenfalls nicht – können würden es viele. Eine Reihe von Landesobleuten wäre fähig den Bundesparteiobmann zu stellen. Der Oberösterreicher Manfred Haimbuchner ist ein hervorragender Mann, auch Dominik Nepp und Mario Kunasek sind es. Es muss nicht immer eine Obmanndiskussion geben. Es geht auch darum, vorbereitet zu sein, wenn was passiert – wie seinerzeit dem Schleinzer in der ÖVP (Obmann Karl Schleinzer verunglückte 1975 bei einem Verkehrsunfall tödlich; Anm.). Aber es gibt keine Obmanndiskussion, und daher stellt sich diese Frage nicht.
Kickl hat den Parlamentsklub hinter sich, Länderchefs wie Haimbuchner und den Dritten Nationalratspräsidenten Norbert Hofer in der Corona-Frage gegen sich. Droht der FPÖ eine Spaltung?
Das ist Wunschdenken der etablierten Medien und der politischen Gegner.
Sagen Sie jetzt absichtlich etablierte Medien und nicht Mainstream-Medien?
Das kommt aufs selbe raus.
Sie sind zwei Mal geimpft und nicht auf Parteilinie, was die Impfpflicht betrifft. Daraus entstand eine parteiinterne Diskussion über die "freiheitliche DNA“. Woraus besteht die blaue DNA gegenwärtig?
Erstens: Ich bin zweifach geimpft, genesen, habe den Grünen Pass und bin verunsichert, ob ich mich noch ein drittes Mal impfen lassen soll, weil ich sehr hohe Antikörperwerte habe. Vielleicht kann mir da einer Ihrer Leser weiterhelfen. Und was die DNA der FPÖ betrifft: Die ist nicht gegenwärtig, sondern letztlich zeitlos – das freie Wort und die Meinungsfreiheit, auch innerparteilich und für einfache Mitglieder wie mich.
Würden Sie auf eine Demonstration gehen?
Kommt darauf an, wofür. An sich ist das nicht unser politischer Stil, aber für eine gute Sache: warum nicht? Eine Anti-Corona-Demo muss ich aber nicht haben.
Abseits von Corona sind gegenwärtig wenig freiheitliche Forderungen publik. Worauf wird die FPÖ gleichsam setzen müssen, um beim Wähler zu punkten?
Man muss Herbert Kickl zugutehalten, dass seine politische Linie dogmengeschichtlich eine gewisse Kontinuität aufweist. Da ist einerseits das Eintreten für die Bürgerfreiheit, in dem er gegen das Zwangsregime bei Corona auftritt. Und da ist andererseits das Eintreten gegen Massenzuwanderung und illegale Migration, womit man die nationale oder kulturelle Identität des Landes bewahren will. Das ist das Nationale und das Liberale der FPÖ. Man läge richtig, wenn man genau das vernünftig argumentiert.
Wer argumentiert vernünftig?
Bei mir haben alle einen Vertrauensvorschuss, insbesondere Parteifreunde. Ich weiß aber, dass bei Corona-Demos nicht nur Vernünftige sind.
Wäre es denn ratsamer, wenn die FPÖ nicht mehr an den Demos teilnimmt oder sie ausrichtet?
Nein, eine Demonstration ist demokratiepolitisch legitim. Man muss nur schauen, mit wem man auftritt.
Sie waren Mitglied der 2018 aus Anlass der Liederbuch-Affäre initiierten FPÖ-Historikerkommission. Auf Anti-Corona-Demos vergleichen sich Teilnehmer mit Juden, tragen Davidsterne. Kickl distanziert sich auf Nachfrage nicht von diesen Vergleichen, die Jüdische Hochschülerschaft wirft ihm eine Verharmlosung der Shoah vor. Ist der Vergleich für Sie lauter oder ein Fall für die Historikerkommission?
Man muss mit historischen Vergleichen und Bezugnahmen sehr vorsichtig sein. Ich verstehe schon, dass sich Ungeimpfte mit einem Lockdown ad aeternam, also auf ewig, ausgegrenzt fühlen. Aber sich mit Holocaust-Opfern gleichzustellen, das ist historisch betrachtet sicher nicht gescheit.
Grenzen Sie sich ab?
Wovon soll ich mich abgrenzen? Ich finde es nicht gut und sage warnend, dass man mit historischen Vergleichen vorsichtig sein muss.
Zum Schluss: Wie hoch schätzen Sie gegenwärtig das Wählerpotenzial der FPÖ ein?
Das ist eine schwierige Frage, weil man den einen oder anderen Corona-Gegner gewinnen und den einen oder anderen bürgerlichen Wähler durch die brachiale Rhetorik verschrecken wird. Würde nächste Woche gewählt werden, hätte Kickl die Möglichkeit, einen großen politischen Erfolg für sich zu verbuchen.
Worauf beruht Ihre Annahme?
Weil die Impfpflicht, die die FPÖ Impfzwang nennt, fallen wird. Davon gehe ich aus, denn die Absetzbewegungen der Regierungsparteien sind deutlich. Es sind zwischen 20 und 25 Prozent drinnen. Da sind die Gegner der Corona-Maßnahmen, und da sind traditionell freiheitliche Wähler, die Kickls Kurs gegenüber kritisch sind, aber alle auch gegen den Impfzwang sind. So wie ich. Ich bin für die Impfung, aber nicht für den Impfzwang.
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