Norbert Hofer: "Da ist alles viel zu weit gegangen"
Der Dritte Nationalratspräsident über FPÖ-Chef Herbert Kickl, die Trennung zwischen Geimpften und Ungeimpften und warum er sich mit Hofburg-Kandidatur Zeit lässt.
Norbert Hofer: Ich bin einmal an einer Demo vor dem Parlament vorbeigegangen. Ich bin aufgrund meines Unfalles nicht der perfekte Demo-Marschierer. Stundenlang mit Stock auf einer Demo – das ist nicht das, was mich hoch erfreut.
Sie hätten auch wie FPÖ-Chef Herbert Kickl oder FP-Mandatare am Samstag vor zwei Wochen auf der Bühne reden können.
Mir geht es bei den Corona-Maßnahmen um einen Punkt: Das ist die Frage der Impfpflicht. Ob ich dagegen auf einer Demo eintrete oder im Parlament, das ist nicht die Frage. Jeder ist dort einzusetzen, wo er am besten ist.
"Impf-Apartheid“, "Mist im Kopf“, eine Regierung, die "verarscht“. Können Sie den Worten von FPÖ-Chef Kickl etwas abgewinnen?
Ich bin insgesamt dafür, dass wir uns in der Wortwahl zurücknehmen. Auch, wenn es darum geht, dass der FPÖ-Klubchef Blut an den Händen habe. Es gibt Geimpfte, die mit Ungeimpften nicht mehr reden. Es gibt Ungeimpfte, die Geimpften wünschen, dass sie Nebenwirkungen haben. Da ist alles viel zu weit gegangen. Die Trennung zwischen Geimpften und Ungeimpften ist sachlich nicht mehr gerechtfertigt, weil es viele Impfdurchbrüche geben wird. Es können nicht die Ungeimpften schuld sein an der nächsten Welle, die kommen wird. Alle Maßnahmen müssen für Geimpfte und Ungeimpfte gleich sein.
Welche "gleiche“ Maßnahmen meinen Sie?
Wir müssen die vulnerablen Gruppen besonders schützen. Wer Menschen mit Vorerkrankungen oder Betagte trifft, der soll sich vorher testen lassen – egal ob geimpft oder ungeimpft. Es darf keine Trennung mehr geben zwischen Geimpften und Ungeimpften. Ich halte angesichts der neuen Variante nichts von der Impfpflicht, denn bis die jetzt noch Ungeimpften eine Impfung haben, sind wir in der sechsten Welle. Außerdem glaube ich nicht, dass die Impfpflicht vor dem Verfassungsgerichtshof halten wird.
Nur gegen die Impfpflicht zu sein wird keinen Lockdown verhindern, die Infektionen nicht eindämmen.
Wenn man für die Impfung ist, dann sollten weder Politiker, Künstler noch Sportler für die Impfung Werbung machen, sondern Ärztinnen und Ärzte und das Gesundheitspersonal. Mein Appell ist: Mit dem Hausarzt sprechen und diesem vertrauen. Ich bin Pilot. Mir muss man auch vertrauen können, dass ich das Flugzeug starten, fliegen und landen kann. Deshalb vertraue ich meinem Hausarzt. Die beste Werbung für die Impfung waren die Bürgermeister, die sich vorgedrängt haben.
Warum ist die Impfquote im Burgenland, wo Sie leben, so hoch? Liegt es an Doskozil, der Lotterie?
Die Impflotterie ist nur ein Teil. Das Burgenland ist ein besonderes Bundesland, die Bevölkerung hat einen besonderen Zusammenhalt.
Bei Corona vertreten Sie einen Anti-Kickl-Kurs.
Herbert Kickl und ich sind, was die Impfung betrifft, anderer Meinung. Er ist ungeimpft und genesen, ich bin genesen und zwei Mal geimpft. Einer Meinung sind wir: Dass es jedem freistehen soll, ob er sich impfen lassen will oder nicht. Viele in der FPÖ sind geimpft, viele genesen, jedenfalls sind alle regelmäßig getestet.
Dagmar Belakowitsch sagte, die Spitäler seien wegen Menschen mit Impfschäden überfüllt. Haben Sie sie darauf angesprochen?
Gesprochen habe ich nicht mit ihr. Ich glaube nicht, dass Menschen sich von Politikern vom Impfen abhalten lassen. Schauen Sie sich Brasilien an. Präsident Bolsonaro ist kein Impf-Befürworter, die Impfquote in Sao Paolo beträgt 98 Prozent. Es ist die Impfpflicht, die die Gegner noch mehr dazu bringen wird, sich abzukapseln.
Ihre Frau ist Altenpflegerin. Müssen Sie sich rechtfertigen für den Anti-Corona-Kurs der FPÖ?
Nein, das ist mir privat noch nie passiert. Kürzlich wurde ich in Eisenstadt öffentlich angesprochen.
Dass die FPÖ zur Spaltung in der Gesellschaft beiträgt, das hören Sie nicht?
Was ich erlebe, das ist eine massive Beschädigung der höchsten Ämter in der Republik in den letzten Monaten. Das sage ich als Dritter Nationalratspräsident. Ich kritisiere, dass man einfach eine wichtige Funktion einnimmt und dann tut, was man will, stark auf die Außenwirkung setzt und nicht Politik macht, Maßnahmen setzt.
Sie sprechen Sebastian Kurz und welche Maßnahmen an?
Die Regierung hat beispielsweise ein Pflegekonzept versprochen, das immer noch nicht vorliegt. Es kann nicht sein, dass alle Minister und Beamten ständig mit Corona beschäftigt sind. Auf 500 Euro warten Pflegekräfte noch heute. Die Regierung hat gesagt, Masken machen keinen Sinn, dann es wird keinen weiteren Lockdown geben. Als ich gesagt habe: Es wird einen weiteren Lockdown geben, hat es geheißen, ich sei ein Fall für den Sektenbeauftragten.
Themenwechsel. Sie bezeichnen das Aus für den Lobautunnel als „ökomarxistischen Amoklauf“ von Leonore Gewessler. Spricht da der Ex-Infrastrukturminister aus Ihnen oder der Grünen-Kritiker?
Wenn man alle rechtlichen Instanzen bis hin zum Parlament durchlaufen hat und dann mit nur einem Gutachten sagt: „Das brauchen wir nicht“, dann fügt das dem Wirtschaftsstandort einen enormen Schaden zu. Ich bin mit Gewessler einer Meinung, was den Umstieg auf Erneuerbare Energie betrifft. Wir haben im Vergleich zu anderen Ländern einen Vorsprung, weil wir viel Wasserkraft haben. Aber wir werden die Energiewende mit der bestehenden Gesetzeslage bis 2030 nicht schaffen, weil die Genehmigungsverfahren viel zu lange dauern.
Mit schnelleren Genehmigungsverfahren ließe sich das allein wohl nicht lösen…
Wir sollten gemeinsam im Parlament definieren, was die für Österreich notwendige Infrastruktur ist. Genau dieser Infrastruktur sollte in den Genehmigungsverfahren der Vorzug gegeben werden.
Sind Sie beim CO2-Preis (30 Euro/Tonne) eines Sinnes mit Gewessler?
Ich bin nicht dafür, neue Steuern einzuheben. Wir haben eine massive Inflation – allein der Ölpreis ist um 60 Prozent gestiegen, der für Strom um 20 Prozent. Ich komme aus dem Burgenland, einem Land der Pendler. Da können sich viele das Autofahren bald nicht mehr leisten.
Haben Sie ein Klimaticket?
Ich habe kein Klimaticket. Es ist relativ sinnlos von Pinkafeld mit dem Klimaticket irgendwo hin reisen zu wollen. Da würde ich viel Zeit brauchen.
"Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist“ sagten Sie 2016. Hätten Sie je gedacht, dass 2021 der Kanzler nicht mehr Sebastian Kurz heißt?
Ich bin 2017 davon ausgegangen, dass wir in der ÖVP-FPÖ-Regierung 2021 gut eingearbeitet sind, der Ratsvorsitz positiv erledigt ist und diese Koalition zehn Jahre dauern wird. Aber in der Politik können Dinge sehr schnell, sehr anders sein. Ich bin gespannt, was das nächste Jahr bringen wird.
Was wird 2022 bringen?
Ich bin ein grenzenloser Optimist und wünsche mir, dass Medikamente auf den Markt kommen, die schwere Verläufe verhindern. Wir werden hoffentlich die Regierung dazu bringen, die Inflation zu bekämpfen und die sozialen Fragen zu lösen.
Inwiefern soll und kann die Politik gegen die Inflation vorgehen?
Die Politik des Gelddruckens, einer europäischen Schulden- und Haftungsunion muss aufhören. Wir brauchen soziale Maßnahmen, denn es wird für viele schwer werden durch den Winter zu kommen, Lebensmittel zu kaufen, weil alles teurer wird. Es gibt vor allem im ländlichen Raum eine Scham, eigene Armut zuzugeben. Was die Politik tun kann? Es darf in dieser prekären Zeit niemandem der Strom abgedreht werden.
Zurück zum Neuen Jahr. Im Herbst 2022 gibt es eine Bundespräsidenten-Wahl ...
Das Schönste ist: ich werde 2022 Großvater. Die Hofburg-Entscheidung werde ich so spät als möglich treffen. Es hat sich noch niemand geoutet, ob er antreten wird – auch der Amtsinhaber nicht.
Gehen Sie von vorgezogenen Nationalratswahlen 2022 aus?
Das kommt darauf an, was überwiegt: Logik oder Emotion. Wenn die Logik überwiegt, dann werden Türkis, also jetzt wieder Schwarz, und Grün nicht wählen gehen, weil die Umfragewert nicht so gut sind. Aber in der Politik gibt es viele Emotionen. Wenn es zu Streitereien kommt, dann kann es durchaus sein, dass jemand die Nerven weghaut.
Was trauen Sie der FPÖ an Wählerstimmen zu bei diesem Anti-Regierungs- und Corona-Kurs?
Unsere Werte liegen zwischen 17 und 20 Prozent. Opposition macht immer Anti-Regierungskurs, aber ich bin schon lange in der Politik, muss sagen: Eine so schlechte Performance wie jetzt habe ich noch nicht erlebt. Man tauscht nicht aus Jux und Tollerei Personal aus. Ich habe mit Alexander Van der Bellen persönlich eine gute Gesprächsbasis, aber ich bin mir nicht sicher, ob er immer so genau hingesehen hat, wen er da angelobt hat.
Wen hätte Van der Bellen nicht angeloben sollen?
Der Vorwurf des Antisemitismus beim neuen Innenminister wiegt schwer. Man muss die neuen Regierungsmitglieder erst arbeiten lassen, aber ich habe beim neuen Bildungsminister nicht verstanden, warum man ihn gegen Faßmann eingetauscht hat. Nehammer bemüht sich, einen neuen Ton anzuschlagen, aber es wird darauf ankommen, wie er die Pandemie managed. Eine Partei auszuschließen, das halte ich für keine gute Idee.
Strecken Sie Nehammer die Hand aus?
Ich habe sie nie weggezogen.
Aber Herbert Kickl?
Ich glaube, die beiden sind keine Freunde. Wir müssen in der Politik alle Profis sein. Wir werden nicht dafür bezahlt, das Gespräch zu verweigern. Kickl und Nehammer haben sich auch getroffen.
Hatten Sie noch Kontakt zu Sebastian Kurz?
Kurz ist jetzt Privatperson und Privates bleibt privat.
Das Buch von Heinz-Christian Strache haben Sie gelesen?
Ich habe so viele Fragen zu Ibiza beantwortet, dass ich ein Leben lang genug davon habe.
Was erwarten Sie sich vom ÖVP-Korruptionsausschuss?
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