Geheime Antisemiten an der Uni: "Die Lustgemeinschaft"

Wiener Juridicum
Wie konnte es dazu kommen, dass sich Jus-Studenten in sozialen Medien über Juden und Menschen mit Behinderung lustig machen?

"Es schmerzt, dass solche Untaten am Juridicum möglich sind. Hier zeigt sich eine Geisteshaltung, die unseren Studierenden, Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen fremd ist." Dekan Paul Oberhammer, findet klare Worte, nachdem ein Skandal an der Wiener Hochschule von der Wochenzeitung Falter aufgedeckt wurde. Mitglieder der ÖVP-nahen AktionsGemeinschaft (AG) verbreiteten in geheimen Facebook- und WhatsApp-Gruppen antisemitische und NS-verherrlichende Postings.

So ist ein Foto mit drei Aschehäufchen zu sehen, darüber steht der Spruch "Leaked Anne Frank nudes" (Anne-Frank-Nacktfotos durchgesickert). Eine Zeichnung zeigt ein blondes Mädchen aus dem Bund Deutscher Mädel, neben ihr steht ein Korb voller Hakenkreuzfahnen. Die Aufregung in der Gesellschaft ist groß, die Wiener Staatsanwaltschaft hat bereits Ermittlungen wegen Verdachts auf Verhetzung und eventuell auch Verstöße gegen das Verbotsgesetz eingeleitet (der KURIER berichtete).

Doch die Frage, die sich alle stellen (müssen): Wie konnte es 72 Jahre nach der Befreiung des KZ Mauthausens überhaupt dazu kommen? Was finden Menschen so spaßig am Holocaust, am Tod von Millionen Menschen, dass sie darüber scherzen können? Und: Wie konnte es dazu kommen, dass Jus-Studenten involviert sind? Gilt nicht gerade die Universität als Institution der Aufklärung? Des kritischen Denkens?

Karl Fallend, Sozialpsychologe am Grazer August-Aichhorn-Institut, beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit dem Antisemitismus und Nationalsozialismus im Witz. In seinem Buch "Unbewusste Zeitgeschichte" kommt er unter anderem zum Schluss, dass antisemitische Witze bis heute in der Gesellschaft weit verbreitet sind. "Im Gegensatz zu den zahlreichen antifaschistischen Flüsterwitzen, die trotz drakonischer Strafen während der NS-Zeit kursierten", erklärt er. Die gegen das NS-Regime gerichteten Schmähungen hätten nach dem Zweiten Weltkrieg ihr Ablaufdatum erreicht und wurden aus dem Alltag verbannt.

Geheime Antisemiten an der Uni: "Die Lustgemeinschaft"

Empathielosigkeit steigt

Warum aber antisemitische Witze eine derart lange Nachlaufzeit haben, hat für Fallend mehrere Gründe. So hätte es Österreich geschafft, "die Empathielosigkeit gegenüber den Opfern des Holocaust über Generationen hinweg zu erhalten". Es mangelte an der nötigen Aufklärung, sagt der Forscher. Und insgesamt hätten Menschen auch vermehrt das Bedürfnis, in einer "Lustgemeinschaft" das "Unterdrückte, Gehemmte und Verschmähte" rauslassen zu können. "In diesen Gruppen fühlt man sich wohl. Dort gibt es keine Moralapostel und 'Gutmenschen'", analysiert der Sozialpsychologe.

Früher waren solche "Lustgemeinschaften" die heute oft zitierten Stammtische. Man schimpfte und machte Späße auf Kosten anderer. Den Stammtisch gibt es freilich noch, aber in Sozialen Medien haben sich bereits neue "Lustgemeinschaften" entwickelt. Es sind geheime Chats und geschlossene Facebook-Gruppen - wie "Fakultätsvertretung Jus Männerkollektiv", jene Gruppe der AG-Jus-Funktionäre.

"Nur weil der Antisemitismus im Witz verkleidet ist, ist er nicht weniger antisemitisch. Mit allen Beteiligten muss gesprochen werden."

Dass gerade künftige Akademiker und Juristen einander antisemitische Witze erzählen, ist für Fallend nicht überraschend, aber dennoch schockierend: "Man kann es nicht deutlich genug sagen: Nur weil der Antisemitismus im Witz verkleidet ist, ist er nicht weniger antisemitisch. Mit allen Beteiligten muss gesprochen werden."


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Der Skandal würde ohnehin zeigen, wie weit die "Hemmschwelle in der Gesellschaft gefallen ist". Denn für einen Witz bedarf es immer eines Zuspruchs, "sonst ist er tot und funktioniert nicht". Vom "schwarzen Humor", wie die AG Jus die antisemitischen Witze in einem Statement bezeichnet hat, will der Forscher nichts wissen. "Genau das Gegenteil ist der Fall", sagt er. Humor sei eine starke Ich-Leistung, um Unerträgliches erträglich zu machen. "Sigmund Freud brachte es mit einem Beispiel auf den Punkt: 'An einem Montagmorgen wird ein Verbrecher zum Galgen geführt und kommentiert es folgend: Die Woche fängt ja gut an!'"

Mit Humor würde man den anderen dabei helfen, eine äußerst triste Situation zu überstehen, erklärt der Forscher. "Das ist bei den Kommentaren der AG nicht der Fall. Das sind tendenziöse Witze, die sich explizit gegen Dritte richten."

Jörg Haiders Antisemitismus

Beispielhaft sei ein Auftritt von Jörg Haider im Jahr 2001, als er über den ehemaligen Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde, Ariel Muzicant, antisemitische Witze machte. "Es wurde ein Feind konstruiert. Und alle haben gelacht", erzählt Fallend.

Wortwörtlich sagte der Rechtspopulist: "Ich verstehe nicht, wie einer, der Ariel heißt, so viel Dreck am Stecken haben kann." Der Saal hat vor Entzücken gebrüllt, schrieb der SPIEGEL damals. Haider wies freilich alle Antisemitismus-Vorwürfe umgehend zurück, aber das Urteil zahlreicher Wissenschafter fiel anders aus: Der ehemalige Kärntner Landeshauptmann hat antisemitische Codes bewusst eingesetzt. Er habe sich judenfeindlicher Stereotype bedient hat - und das getarnt als Witz, schreibt die international renommierte Linguistin Ruth Wodak in ihrem Buch "The Politics of Fear" (Interview).

Keine Witze über Flüchtlinge

Der AG-Fall, sagt Fallend, habe marginal auch eine "pubertäre, infantile Komponente. Die aktiven Poster haben gewusst, was sie tun. Sie suchen sich den antisemitischen Witz aus, diese Handlung geschieht bewusst." Anders sehe es bei den Mitläufern aus. Sie würden den antisemitischen Gehalt erst dann erkennen, wenn es ihnen jemand sagt. "Und trotzdem: Zu entschuldigen gibt es nichts. Es gehört sanktioniert", meint der Forscher.

Was der Sozialpsychologe darüber hinaus für bemerkenswert hält, ist die Tatsache, dass es noch keine Witze über Flüchtlinge gibt. Während beim Antisemitismus noch einigermaßen Hemmungen und Scham vorhanden sind (geheime Gruppen oder Anonymität), seien sie beim Thema Asyl gar nicht mehr existent. "Die Hemmschwelle ist schon so tief, dass jeder seine Aggression gegen Asylsuchende coram publico ausleben darf. Dafür bedarf es keines Witzes mehr."


Hinweis: Eine kürzere Version des Artikels erschien am 12. Mai 2017 in der KURIER-Tageszeitung.

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