Der Tag der Befreiung

Peter Weck
Vor 70 Jahren hatte das Terrorregime der Nazis ausgedient. Zeitzeugen erzählen.

Am 8. Mai 1945 ist es vorbei. Das Deutsche Reich hat bedingungslos kapituliert, der Zweite Weltkrieg ist beendet. Hitler ist tot, und Österreich hat eine provisorische Regierung. Der 8. Mai war für viele ein Freudentag, ein Tag der Befreiung, andere hatten jedoch Angst vor den Besatzern, besonders vor den russischen. Langsam wurden die Folgen des Nazi-Terrors bekannt: 55 Millionen Menschen waren gestorben, davon sechs Millionen jüdische und eine halbe Million nichtjüdische Häftlinge, die in Konzentrationslagern ermordet wurden. Fünf Zeitzeugen erinnern sich an den 8. Mai 1945.

Peter Weck, Schauspieler

Der Tag der Befreiung
"Als im Frühjahr 1945 die Bombenangriffe auf Wien schlimmer wurden, fuhr ich mit meinen Eltern zu meiner Großmutter nach Pitten, wo vom Krieg nichts zu spüren war. In den letzten Apriltagen wurden aber noch alle vom Kind bis zum Greis mobilisiert, um im Volkssturm das ‚Tausendjährige Reich‘ zu verteidigen." Auch Peter Weck war mit seinen 14 Jahren darunter und erhielt die Aufgabe, als Beifahrer auf einem Motorrad Depeschen zu verteilen. "Kaum hatten die heranrückenden Russen die ersten Schüsse abgegeben, löste sich unser Haufen auf, und ich kehrte zu meiner Familie nach Pitten zurück. Die Frauen hatten Angst vor Vergewaltigungen durch russische Soldaten, und wir hörten auch jede Nacht Hilfeschreie." Da Peter Wecks Großvater vor der Nazizeit Bürgermeister von Pitten war, wollte sein Vater jetzt helfen, die Administration in dem Ort wieder aufzubauen. "Daraufhin haben ihn die Russen abgeführt und beinahe erschossen. Glücklicherweise war ich durchs Fußballspielen mit einem russischen Leutnant befreundet, der das verhindern konnte." Als der Krieg am 8. Mai beendet war, ging Peter Wecks Vater zu Fuß die 60 Kilometer von Pitten nach Wien, "um nachzusehen, ob unsere Wohnung und unser Auto in Ordnung waren." Die Wohnung hatte die Bombardements überstanden, doch der Wagen war als Beutegut beschlagnahmt worden.

Erich Finsches, Kaufmann

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Erich Richard Finsches (Auschwitz-Überlebender) Foto: Georg Markus
Der Sohn eines jüdischen Wiener Lebensmittelhändlers verbrachte die letzten eineinhalb Jahre des Nazi-Regimes in KZ-Haft. "Am 8. Mai 1945 war ich im bayerischen Kloster Holzhausen, wohin mich die Amerikaner nach der Befreiung gebracht hatten. Ich wog 28 Kilo und wurde von den Schwestern des katholischen Ordens rührend aufgenommen. Ich litt an Typhus, hatte eine Mageninfektion, schwere Erfrierungen und konnte mich kaum auf den Beinen halten. Die Ordensfrauen haben mich mit Tee, Schleimsuppe und Zwieback aufgepäppelt." Finsches hatte Auschwitz und zuletzt Kaufering, ein Außenlager von Dachau, überlebt. "Ich musste bis zur Befreiung am 27. April 1945 jeden Tag zwölf Stunden lang 50 Kilo schwere Zementsäcke schleppen." Der heute 87-Jährige hat im Holocaust alle Angehörigen verloren. Er kehrte nach seiner Rehabilitation im Kloster nach Wien zurück, wo er eine Familie gründete und als Geschäftsmann tätig war.

Harald Serafin, Kammersänger

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Interview mit Harald Serafin, Helmuth Lohner und Otto Schenk in den Kammerspielen am 09.03.2015 in Wien
"Ich war bei Kriegsende 13 Jahre alt und hatte eine abenteuerliche Flucht vor den Sowjets hinter mir." Geboren in Litauen, war Harald Serafin nach wochenlangem Fußmarsch in die Stadt Marktleuthen in Oberfranken gelangt, wo er den 8. Mai 1945 mit Mutter und Schwester erlebte. "Ich ging dort zur Schule, die aber in den letzten Kriegstagen infolge der Bombardements geschlossen blieb. So hatten wir Zeit, die verbotenen ,Feindsender‘ anzupeilen. Nie werde ich den Tag vergessen, an dem es hieß: ,Die Amerikaner sind im Anrücken‘. Wir liefen von da an jeden Tag auf eine Anhöhe, von wo wir nach ihnen Ausschau hielten.Als die ,Amis‘ dann kamen, säumten wir die Straßen und winkten ihnen begeistert zu. Die Soldaten verteilten Lebensmittel, Zigaretten und an die Kinder Schokolade. Die Amerikaner taten alles, um Sympathien aufzubauen, sie waren locker und freundlich." Später gelangte die Familie in ein US-Lager für litauische Flüchtlinge in Bamberg. "Dort lernte meine Mutter ihre große Liebe kennen und ich meinen zweiten Vater."

Otto Talsky, Baudirektor i. R.

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Zeitzeuge, Hofrat Otto Talsky
Der 1923 in Graz geborene und in Wien aufgewachsene Diplomingenieur verbrachte den 8. Mai 1945 in dem Dorf Hasenkrug in Schleswig-Holstein, "wo ich von den Briten mit meinem Funktrupp bei Bauern einquartiert wurde. Die Engländer haben uns gut behandelt, auch als wir ab Juni im Lager Putlos in Kriegsgefangenschaft gerieten."Otto Talsky war als Leutnant der deutschen Kriegsmarine auf dem Schweren Kreuzer Lützow stationiert gewesen, bis dieser am 16. April 1945 von englischen Lancaster-Bombern in der Hafenzufahrt von Swinemünde bei Stettin versenkt wurde. "Von der Lützow wurden wir nach Flensburg in Marsch gesetzt, wo wir zur Verteidigung von Hitlers Stellvertreter Dönitz abgestellt waren. Es gab katastrophale Verluste, ich hatte das Glück, zu überleben."

Elisabeth Orth, Schauspielerin

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Interview mit Elisabeth Orth, der neuen Doyenne des Burgtheaters, am 05.02.2015 in Wien. Die offizielle Ernennung findet im Rahmen einer Festvorstellung von "die unverheiratete" am 15. Februar im Wiener Akademieheater statt.
Die damals Neunjährige war, um den Bombenangriffen auf Wien zu entgehen, mit ihren Eltern Paula Wessely und Attila Hörbiger und ihrer Schwester Christiane nach Sölden ins Tiroler Ötztal übersiedelt. Dort hatte man noch den Eindruck, in tiefstem Frieden zu leben. "Die Situation vom Ende des Krieges werde ich nie vergessen", erzählt Elisabeth Orth, die in dieser Woche ihre Erinnerungen "Aus euch wird nie was" präsentierte. "Christiane und ich besuchten in Sölden die Volksschule. Als wir um den 8. Mai zum Hotel Post kamen, in dem wir wohnten, saß meine Mutter davor. Ich hab stolz zu ihr gesagt: ,Mami, der Krieg ist aus!‘ Sie brach in Tränen aus. Ich war peinlich berührt, dass meine Mutter in der Öffentlichkeit weinte!"Paula Wessely war aus mehreren Gründen erleichtert: Nachdem ihr Schwager Paul Hörbiger von der Gestapo verhaftet worden war, "hatten sie meinen Vater Attila, wohl aus Sippenhaft, in den Volkssturm, ins letzte Aufgebot vor dem Untergang der Nazi-Diktatur, gesteckt." Eine Torte rettete wohl sein Leben: Attila Hörbiger hatte während eines Kurzurlaubs von einer Verehrerin einen Schokoladekuchen bekommen, den er mit Heißhunger verschlang. Die Folge war ein Gallenanfall, der ihn ans Bett fesselte. Als er wieder gesund war, war der Krieg zu Ende.Die Familie Hörbiger war zu viert nach Tirol gereist und zu fünft nach Wien zurückgekehrt. Paula Wessely brachte in Seefeld ihre jüngste Tochter Maresa zur Welt."Ich hatte das Privileg", sagt Elisabeth Orth, "keinen Bombenangriff erlebt und nicht an Hunger gelitten zu haben. Umso mehr hat mich nach dem Krieg interessiert, was da wirklich passiert ist. Was ich dabei erfahren musste, hat dazu beigetragen, dass ich meine Stimme immer wieder gegen Krieg, Faschismus und Antisemitismus erhebe. Und das hält bis heute an, das werd’ ich nicht wieder los."

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