Ab in den harten Lockdown: "Treffen Sie niemanden!"
Es war eine lange, unruhige Nacht für alle Beteiligten: Erst weit nach Mitternacht war er fertig, der Entwurf zur Verordnung des neuen Lockdowns. Bis kurz vor der Pressekonferenz am späten Samstagnachmittag wurde noch verhandelt und am Text gefeilt.
Der „Lockdown light“, der am 3. November verhängt wurde, hat offensichtlich nicht gereicht, um die Corona-Lage in den Griff zu bekommen – im Gegenteil: Sie wurde schlimmer. Am Samstag wurden 7.063 Neuinfektionen registriert, aussagekräftiger ist aber die Sieben-Tages-Inzidenz – und hier liegt Österreich bei rund 550. „Der Zielwert ist eigentlich 50. Wir sind also mehr als zehn Mal so hoch, wie es gut wäre“, erklärte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), der überzeugt ist: „Wenn wir jetzt nicht massiv reagieren, besteht das Risiko, dass unser Gesundheitssystem überlastet wird.“
„Mittel, das funktioniert“
Ein Lockdown sei das einzige Mittel, „von dem wir verlässlich wissen, dass es funktioniert“, sagte er. Deshalb sind die Regeln im Wesentlichen ganz ähnlich wie im Frühjahr: Nach der Gastro sperrt ab Dienstag auch der Handel bis auf die Grundversorgung zu, Schulen und Unis werden auf Fernunterricht umgestellt, aus dem Haus gehen darf man nur noch aus bestimmten Gründen (siehe oben).
Hier kommen wieder die bekannten „vier Ausnahmen“ ins Spiel – und wieder wünscht sich die Regierung mehr, als gesetzlich drin ist: „Treffen Sie niemanden! Jeder soziale Kontakt ist einer zu viel!“, sagte Kanzler Kurz. Seine Freizeit solle man nur noch mit jenen Menschen verbringen, mit denen man zusammenlebt. Wer alleine lebt, solle eine Person definieren, mit der man in persönlichem Kontakt bleibt.
Im Verordnungstext ist das freilich großzügiger formuliert – von einer „Ein-Personen-Regel“ steht darin nichts. Auf Nachfrage erklärte der Kanzler, es sei ihm bewusst, dass die Polizei nicht alles kontrollieren könne. Er bittet deshalb um „Zusammenhalt“, denn: „So können wir das Weihnachtsfest retten und es, zwar mit Vorsicht, aber würdig und gemeinsam verbringen.“ Die Ausgangsbeschränkungen müssten am 26. 11. verlängert werden, der Lockdown soll voraussichtlich bis 6. 12. gelten.
Dramatische Corona-Zahlen führen in neuen "Lockdown"
„Auf festem Boden“
Aber sind diese massiven Einschnitte wirklich gerechtfertigt? Ist das alles gesetzlich gedeckt? Verfassungsjurist Heinz Mayer sagt: „Ja.“ Das Gesundheitssystem sei offensichtlich am Rande seiner Kapazitäten – „deshalb sind die Einschränkungen zulässig“. Das öffentliche Wohl ist in dem Fall wichtiger als die persönliche Bewegungsfreiheit.
Gewissheit bringt ihm noch eine Sache, die jetzt anders ist als im Frühjahr: „Damals wurde der Lockdown aufgrund von Prognosen verhängt – man sah ja nur in den Nachbarländern, dass es eng werden kann. Jetzt ist das bei uns schon fast Realität. Die Verordnung steht deshalb auf festem Boden.“
Auch an der Qualität des Gesetzestextes sei (diesmal) nichts auszusetzen, sagt Mayer. So seien die Ausnahmen von der Ausgangssperre recht detailliert formuliert – auch wenn einzelne Unschärfe wohl bleiben. Der Verfassungsexperte ist übrigens im Juristengremium, das den Gesundheitsminister berät.
Neos prüfen Rechtliches
Alles also klar? Mitnichten. Die Opposition tobte am Samstag. „Diese Regierung hat versagt“, sagte Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger. Das Kabinett Kurz habe in den vergangenen Monaten „nur einen einzigen Job“ gehabt: einen zweiten Lockdown zu verhindern. Dass das möglich sei, zeigten andere Länder. Besonders heftig kritisiert sie die Schulschließungen – die Neos werden rechtliche Schritte prüfen, da sich bereits Eltern an sie gewandt hätten.
Auch SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner sieht im neuen Lockdown „ein Schuldeingeständnis für das totale Versagen der Regierung im Corona-Management“. Deftiger drückt es FPÖ-Klubchef Herbert Kickl aus: „Kurz, Kogler, Anschober und Nehammer versuchen, unsere Republik zu Grabe zu tragen.“
Im Wissen, dass das Thema polarisiert, zeigten sich neben Kanzler Kurz auch Vizekanzler Werner Kogler, Gesundheitsminister Rudolf Anschober und Innenminister Karl Nehammer bei der Präsentation der Regeln von einer verständnisvollen Seite. „Uns ist bewusst, dass das eine Zumutung ist“, sagte Kogler. „Aber wir bekommen etwas dafür. Mit Ihrem Verhalten können Sie Leben retten.“ Ähnlich Nehammer: „Ja, es zipft jeden an, aber es ist notwendig.“ Und Anschober appellierte: „Es ist unsere einzige, unsere letzte Chance, einen Kollaps in den Spitälern zu verhindern.“
Das gilt ab Dienstag:
Ab Dienstag gelten rund um die Uhr Ausgangsbeschränkungen (nicht mehr nur von 20 Uhr bis 6 Uhr früh). Der Aufenthalt außerhalb der eigenen Wohnung ist aus den bekannten Gründen erlaubt (Hilfe bei Gefahr, Betreuung, Grundbedürfnisse, Arbeit und Erholung). Als Ausnahmen gelten auch unaufschiebbare Behördenwege, Wahlen, das Betreten von Kundenbereichen (der verbliebenen offenen Geschäfte) sowie Gottesdienste.
Die Kirchen verzichten jedoch freiwillig auf Messen im Lockdown. Verschärfend dazu kommen Kontaktbeschränkungen – es wird definiert, welche Kontakte als „Grundbedürfnis“ gelten. Das sind Personen, mit denen man zusammenwohnt, der Lebenspartner, engste Angehörige oder einzelne Bezugspersonen, die man „in der Regel mehrmals wöchentlich“ trifft.
Schüler ab 14 Jahren sind bereits im Fernunterricht, ab Dienstag folgen alle anderen. Schulen und Kindergärten bleiben prinzipiell geöffnet: Es gibt zwar keinen Unterricht, aber eine Betreuung für Kinder, die tagsüber nicht zu Hause versorgt werden können – etwa, weil die Eltern arbeiten (siehe Seite 7). Details werden vom Bildungsministerium geregelt.
Apropos: In der Verordnung heißt es, dass „die berufliche Tätigkeit vorzugsweise außerhalb der Arbeitsstätte erfolgen soll“. Man soll also nach Möglichkeit auf Homeoffice umstellen. Wer doch ins Büro oder in die Firma muss, muss zu Kollegen einen Meter Abstand halten – ist das nicht möglich, sind ein Mund-Nasen-Schutz (eng anliegend, Gesichtsvisiere fallen also aus) oder andere Schutzvorrichtungen vorgeschrieben – zum Beispiel Trennwände oder die Einteilung in feste Teams.
Das Betreten von Betriebsstätten des Handels und von Dienstleistungsunternehmen ist ab Dienstag bis 6. Dezember untersagt. Offen bleiben jene Bereiche, die bereits beim Lockdown im Frühjahr als „kritische Infrastruktur“ definiert wurden.
Das sind neben Lebensmittelgeschäften und bäuerlichen Direktvermarktern auch Drogerien, Apotheken, Postfilialen, Banken, Trafiken, Kfz- und Fahrrad-Werkstätten und Verleihe, Tankstellen, Tierfutter- Geschäfte und Gartenbaubetriebe. Die Öffnungszeiten bleiben auf die Zeit zwischen 6 und 19 Uhr beschränkt. Mund-Nasen-Schutz und Abstandhalten sind Pflicht – auch auf Märkten im Freien.
Zusperren müssen auch „körpernahe“ Dienstleister wie Friseure, Kosmetiker, Tätowierer, Masseure oder Hörgeräteakustiker.
In Gesundheitseinrichtungen ist pro Patient nur noch ein Besucher pro Woche erlaubt. In Alten- und Pflegeheimen braucht man dafür ein aktuelles, negatives Testergebnis, ansonsten muss man während des Besuchs eine Mund-Nasen-Schutzmaske tragen.
Ein Besuch pro Woche gilt auch in Spitälern – aber auch nur, wenn der Kranke oder Verletzte länger als eine Woche dort ist. Ausnahmen: Schwangere dürfen bei Untersuchungen, bei der Entbindung und danach von einer Person begleitet werden. Minderjährige und Unterstützungsbedürftige dürfen von zwei Personen begleitet und besucht werden.
Mitarbeiter werden einmal pro Woche getestet. Auch, wenn der Test positiv ist, dürfen sie im Einsatz bleiben – sofern sie mindestens 48 Stunden symptomfrei sind und bei der Überprüfung des CT-Werts festgestellt wird, dass sie nicht ansteckend sind.
Sämtliche Sportanlagen für Amateure werden gesperrt – etwa Tennis- oder Eislaufplätze. Einzelsportarten im Freien sind weiterhin erlaubt. Profisport (Fuß-, Hand-, Volley-, Basketball und Eishockey) bleibt erlaubt. Die Grenzen für Sportler, Betreuer und für Ablauf sowie TV-Übertragung notwendige Personen (100 in der Halle, 200 im Freien) bleiben. Profis können künftig auch Teamsport betreiben, wenn sie positiv getestet wurden, aber symptomfrei und laut CT-Test nachweisbar nicht ansteckend sind. Veranstaltungen mit Publikum sind weiter verboten, ebenso bleiben die Betretungsverbote für Gaststätten, Freizeit- oder Kultureinrichtungen wie Museen aufrecht. Verboten ist auch das Betreten von Bädern, Tanzschulen, Tierparks, Wettbüros und Einrichtungen zur Ausübung von Prostitution.
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