Weihnachten im Dunkeln: "Russen haben uns Weihnachten gestohlen"
"Ich träume, dass wir zu Weihnachten in die Kirche gehen können"
Ich beginne jeden Tag mit dem Rosenkranz. Der Glaube ist eine große Stütze. Ich bin froh, wenn es Strom gibt. Ich rufe Verwandte an, lade Handy, Lampen, Batterien auf und koche. Es ist schwer, zu planen. Wir berechnen, wann es zu Angriffen kommen kann. Bei uns sind jetzt seit fast 14 Stunden Strom, Warmwasser, Empfang ausgefallen. Abends mache ich Handarbeiten mit Taschenlampen – ich sticke Kreuze.
Ich habe ältere Eltern, die nicht mehr zur Notunterkunft oder zur U-Bahn gehen können, also verstecken wir uns im Korridor. Die Ukrainer sind empfindlich gegenüber lauten Geräuschen geworden. Ich beklage mich nicht. Für unsere Soldaten in den Schützengräben ist es viel schwieriger.
Ich freue mich auf Weihnachten. In Friedenszeiten gab es zu Weihnachten traditionell die Süßspeise Kutja. Nach der Kirche besuchten wir nahe Verwandte. Ich träume davon, dass es keine Luftangriffe gibt, dass wir zu Weihnachten in die Kirche gehen können. Und dass die Ukraine siegt.
Tatjana Bagautdinowa (49) lebt in Kiew.
"Die Russen haben uns Weihnachten gestohlen"
Ob wir Weihnachten oder Silvester richtig feiern werden, weiß ich schlicht und einfach nicht. In Odessa fehlt die Stimmung. Dieses Jahr gab es keine Weihnachtsmärkte, nur selten sah man in Geschäften festliche Beleuchtungen. Wie auch? Wir sind oft tagelang ohne Strom. Wenn es ihn gibt, ist jeder damit beschäftigt, Computer, Handys, Taschenlampen aufzuladen, schnell die Waschmaschine einzuschalten, Haare waschen und föhnen. Für anderes bleibt keine Zeit. Wir leben in einem Modus des ständigen Beschleunigen und Entschleunigen.
Die Russen haben uns Weihnachten gestohlen. Ich habe es trotzdem geschafft, ein Geschenk für meine Mutter zu kaufen, darüber freue ich mich besonders. Auch für Verwandte und Freunde habe ich etwas. Auch zwei Schüler von mir bekommen ein Geschenk. Die Eltern des einen können sich keine Powerbank leisten. Ohne die ist der Alltag noch schwieriger. Aber wie wir sagen: "Wir sind ohne Strom, aber auch ohne Invasoren."
Karina Beigelzimer ist Lehrerin aus Odessa.
"Gegen den Feind lachen und feiern"
Es ist ein Leben nah am Zusammenbruch. Wenn ich in Lwiw bin, stehe ich am Bahnhof wo ich mit anderen Volontären Flüchtlinge empfange und versorge. Schichten gehen immer von 7 bis 7. Dazwischen Hilfstransporter empfangen, verteilen, besorgen was fehlt. In Deutschland habe ich eine Familie und Vollzeitjob. Hier versuche ich einzelne Aufgaben dazwischen zu schieben, in der Mittagspause oder nachts. Strom gibt es unregelmäßig, manchmal nur nachts. In der Wohnung meiner Mutter in Lwiw gibt es Gas, das ist ein Riesenvorteil gegenüber denjenigen, die komplett vom Strom abhängen. Kälte und Dunkelheit sind sehr zermürbend, wenn noch Bombenalarm dazu kommt.. Aber wir sind stark. In Lwiw besteht meine Arbeit darin, den Flüchtlingen zu helfen. Das geht auch ohne Strom und Wärme. Man braucht viel Organisation, ich gehe nicht ohne Powerbank und Taschenlampe aus dem Haus.
Wir feiern Weihnachten unbedingt. Diese helle Momente machen das Leben lebenswert und geben Stärke. Gegen den Feind lachen und feiern sozusagen. Auch für meine Tochter wollen wir feiern. Ich bin jetzt unterwegs nach Deutschland, am 24 und 25 Dezember wird der Krieg vergessen, wenn auch nur äußerlich.
Haben wir nicht alle denselben Wunsch? Es ist zu viel passiert, zu viele Grenzen sind überschritten, zu viel Blut vergossen. Die Versöhnung ist nicht mehr möglich, nur Gerechtigkeit.
Yuliya Seidel lebt in Lwiw und Deutschland.
"Ich glaube an den Sieg unserer Armee"
Odessa ist meine Heimat, mein Paradies. Nie habe ich daran gedacht, es zu verlassen. Und jetzt erst recht nicht. Meine Eltern sind beide 83 Jahre alt, allein wegen ihnen hätte ich nicht flüchten können. Die machen sich am wenigsten Sorgen, sie meinen immer, sie haben lange gut ohne Strom gelebt, das schaffen sie wieder.
Mein Sohn Daniel ist 12 Jahre alt. Was er am meisten vermisst, ist der Alltag in der Schule. Die ist momentan abwechselnd online oder vor Ort, je nach Luftalarm. Um seinetwegen werden wir heuer versuchen, ganz normal Weihnachten am 7. Jänner zu feiern. Das Fasten vor Weihnachten brechen wir mit 12 Gerichten. Vorher werden wir unsere Nachbarn besuchen und in die Kirche gehen. Als Mädchen habe ich zu Weihnachten jedes Jahr in der Kirche gesungen, das hat mir Kraft gegeben. Das möchte ich heuer wieder tun. Ich glaube an den Sieg unserer Armee, und an Gott, und sollten uns die Raketen treffen, wäre dem eben so. Dann wartet ein anderer Platz auf mich.
Olga (45) ist Helferin bei der Caritas Odessa.
"Ich weiß nicht, ob ich eingezogen werde"
Ich weiß nicht, wie es mit Feiern aussieht, denn ich werde gerade medizinisch untersucht und weiß nicht, ob ich zur Armee eingezogen werde oder nicht.
Wo ich dann eingesetzt werden würde? Ehrlicherweise habe ich keine Ahnung, in welcher Truppenverwendung ich dann wäre, welche Aufgabe ich habe. Aber ich habe zu Kriegsbeginn gesagt, dass ich im Land, in Charkiw, bleiben werde, und habe gewusst, dass es einmal so weit kommen könnte. Mehr will ich dazu eigentlich gar nicht schreiben.
Viele Menschen aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis sind froh darüber, genügend Strom und beheizte Wohnungen zu haben – danach hat es in den vergangenen Wochen nämlich nicht immer ausgesehen. Bisher habe ich mit meiner Familie immer am 7. Jänner gefeiert. Dieses Jahr wird in Charkiw ganz speziell, weil wir die Nächstenliebe schon die ganze Zeit über praktiziert haben – so, wie wir das zuvor noch nie gemacht haben.
Wladimir (25) lebt in Charkiw.
"Ich habe Weihnachten noch nie gefeiert"
Ich habe Weihnachten noch nie gefeiert und würde es ganz besonders dieses Jahr nicht feiern. Spätestens dieser Krieg hat mir gezeigt, dass es keinen Gott gibt – was nicht heißt, dass die anderen nicht feiern sollten. Jeder, der im Glauben Kraft findet, soll sie von dort beziehen – ich kann dort nichts finden. Mir ist auch egal, ob sie Weihnachten am 25. Dezember oder 7. Jänner feiern. Meine Bekannten werden wohl in die Kirche gehen und festlich essen, ich weiß es nicht.
Ich bin schon froh genug darüber, dass die Versorgungssituation nicht mehr so prekär ist wie sie noch im November war. Strom und Gas funktionieren jetzt wenigstens, allerdings hängen in meiner Heimatstadt Charkiw keine strahlenden Straßenlaternen und auch keine Weihnachtsbeleuchtung.
Es wird dermaßen dunkel in der Nacht, dass man beim Spazierengehen eine Vielzahl von Sternen sieht. Das wäre fast schon romantisch, wenn der Grund dafür nicht so traurig wäre.
Alexandr (29) ist Student in Charkiw.
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