"Hand ausstrecken"
Politisch war für Putin das Treffen bereits ein Erfolg, bevor es überhaupt begonnen hatte. „Allein, dass sich der US-Präsident neben ihn stellt, ist für Putin ein Sieg“, sagt der frühere US-Botschafter in Moskau, Michael McFaul. Er zeige damit, dass die Welt die Hand nach ihm ausstrecke.
Das tat Joe Biden, auf dessen Initiative das Treffen stattfand, sogleich. Zur Begrüßung gab es einen Handschlag und freundliche Worte zwischen den beiden Staatschefs: „Es ist immer besser, sich persönlich zu treffen“, sagte Biden. Eine geschickte Geste, die beiden Sicherheit vermitteln soll, weiß Verra.
„Ich hoffe, dass wir produktiv sein werden“, meinte Putin vor dem Eingang der Villa am Genfersee. Er bedankte sich bei Biden für die Initiative. „Ich weiß, Sie hatten eine weite Reise. Viel Arbeit. Nichtsdestotrotz haben sich in den russisch-amerikanischen Beziehungen viele Fragen angestaut.“
Langer Tag
In Begleitung ihrer Außenminister Sergej Lawrow und Antony Blinken und zweier Übersetzer begannen die beiden Präsidenten zu Mittag ihre Gespräche in der Bibliothek des Hauses. Die Russen auf der rechten, die Amerikaner auf der linken Seite. Ein Vier-Augen-Gespräch, nur Putin und Biden, war nicht geplant. Auch ein gemeinsames Essen nicht. In den folgenden Gesprächsrunden sollten sich weitere hochrangige Beamte dazugesellen. Mehrere Stunden wurde gesprochen.
Denn zu bereden gab es eine Menge. Neben Corona und Wirtschaft standen die Bekämpfung von Cyberkriminalität ebenso auf der Agenda wie Rüstung, der Fall des inhaftierten Kremlkritikers Alexej Nawalny, Putins Unterstützung für den weißrussischen Machthaber Alexander Lukaschenko, die Ukraine und Syrien.
Dem US-Präsidenten Joe Biden war bei aller Freundlichkeit vor allem wichtig, Härte zu zeigen und rote Linien darzulegen. Etwa in Sachen Cyberkriminalität.
Signale der Ungeduld
Während des Gesprächs verhielten sich die beiden Staatschefs sehr unterschiedlich. "Putin zeigt Signale der Ungeduld, das sieht man schon draußen: Sein Blick fällt immer wieder zu Boden. Biden hingegen hat sich die meiste Zeit ein wenig zu Putin hingewendet, erst im letzten Drittel dreht er sich nach vorne zu den Kameras. Putin zeigt mit seinem Habitus: Ich sage zwar, was diplomatisch angesagt ist, aber ich bemühe mich nicht um dich."
Im Laufe des Gesprächs lehnt sich Putin immer mehr zurück, die Beine fast schon ausgestreckt, die Arme auf den Lehnen abgestützt. "Das wirkt sehr unbeeindruckt - nach dem Motto 'been there, done that'", erklärt Verra. Mit seinem Verhalten schickt der Russe eine Botschaft an sein Volk: "Obwohl sein Land wirtschaftlich und militärisch mit den USA nicht auf Augenhöhe ist, schafft er es dank seiner Körpersprache immer wieder, eine wichtige Rolle für sein Land herauszuholen. Er signalisiert seinen Landsleuten, dass sie einen starken Mann vorne stehen haben, und gibt seinem Land Selbstwert."
Insgesamt wertet Verra das Aufeinandertreffen positiv. "Körpersprachlich unterschiedlich, aber sie treffen sich auf Augenhöhe. Das Händeschütteln ist für die Weltbevölkerung ein Aufatmen."
Eiskalte Voraussetzungen
Die Stimmung zwischen den USA und Russland war im Vorfeld des Treffens so frostig wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr. Putin hatte die Beziehungen zuletzt als „am Tiefpunkt“ bezeichnet, Biden gab ihm recht. Das Verhältnis der beiden Staaten ist nach dem Ost-Ukraine-Konflikt, der Krim-Annexion, nach Giftanschlägen in Großbritannien, durch Moskaus Rolle in Syrien, nach der Inhaftierung Nawalnys und der Lage in Belarus schwer beschädigt.
Die Hoffnungen, dass sich nach dem Gipfel am Mittwoch viel an diesem Zustand ändern werde, blieben gering. Aber beide Seiten bemühten sich, die Bedeutung des Gipfels angesichts der angespannten Beziehungen zu betonen.
Auch Politikwissenschaftler Heinz Gärtner erwartet sich keine deutliche Entspannung als Folge des Treffens. Er wolle aber den Gipfel auch nicht „kleinreden“: „Dieses Abtasten ist sehr wichtig.“ Er vergleicht das Treffen mit jenem 1961 zwischen John F. Kennedy und Nikita Chruschtschow in Wien. Es ging vor allem darum, „die Positionen in der Weltpolitik abzustecken“. In diesem Fall sei beiden außerdem wichtig, die jeweilige heimische Bevölkerung zu bedienen, „um Härte zu zeigen“, sich „als Weltführer darzustellen“.
Putin bekam seine Show, als relevanter Player wahrgenommen zu werden. Denn auch er weiß: Die USA sehen China langfristig als deutlich größere Bedrohung als Russland. Erklärtes Ziel der Amerikaner: Das Verhältnis zu Russland soll „vorhersehbarer“ werden. Wohl, weil man sich außenpolitisch auf die Probleme mit Peking konzentrieren will.
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