Biden trifft Putin: Zwei alte Rivalen tasten sich ab
Der Gipfel aus Sicht der USA
von Dirk Hautkapp, Washington
Erwartungen gesenkt, freundlicheren Ton angeschlagen – so geht Joe Biden heute, Mittwoch, in Genf mit Wladimir Putin zu Werke.
Der „Killer“, den Biden vor Wochen in einem TV-Interview in Putin sah, ist außer Dienst gestellt. Beim russischen Präsidenten handle es sich um einen „klugen“, „harten“ und „würdigen Gegner“, der allerdings einen „Keil in die transatlantische Solidarität treiben will“, sagte der US-Präsident am Dienstag.
Als solchem wolle er Putin Kooperationsbereitschaft signalisieren. Und gleichzeitig „rote Linien“.
Bidens Liste ist üppig: Oben stehen russische Manipulationsversuche bzw. Desinformation bei den Wahlen 2016 und 2020 zugunsten Donald Trumps.
Gleich dahinter kommen sich häufende Cyberangriffe russischer Hacker auf US-Institutionen und Privatunternehmen zum Zweck der Lösegelderpressung, für die Putin jede Verantwortung zurückweist.
Repressionen
Die Drangsalierung des inhaftierten Kremlkritikers Alexej Nawalny und das Verbot seiner Organisation treibt Biden ebenfalls um. Sollte Nawalny im Gefängnis sterben, werde dies das Verhältnis Russlands zur Welt und zu ihm persönlich „beeinträchtigen“, erklärte er. Biden lässt sich aber nicht in die Karten sehen, was etwaige Konsequenzen angeht.
Ebenfalls auf dem Zettel hat er die russische Aggression gegen die Ukraine, die Unterstützung des syrischen Regimes und militärische Einmischungsversuche in Libyen.
Interessenausgleich könnte es bei gutem Willen aller Beteiligten neben dem Klimaschutz beim Dauer-Thema Gefangenenaustausch geben. Moskau hält die US-Bürger Paul Whelan und Trevor Reed gefangen. In den USA sitzen der Ex-Waffenhändler Viktor Bout und der wegen Drogenschmuggels verurteilte Pilot Konstantin Jaroschenko hinter Gittern.
Rüstungskontrolle
Auch in der Frage, wie Afghanistan nach dem Abzug der US-Truppen vor einem Rückfall in finstere Taliban-Zeiten bewahrt werden kann, „gibt es Interessen, die in Deckung zu bringen sein müssten“, heißt es in Washington.
Insider spekulieren zudem über einen neuen Anlauf für Rüstungskontrollgespräche nach der Verlängerung des New Start-Vertrags im Februar.
Darin verpflichteten sich beide Seiten, die Zahl ihrer Trägersysteme auf 800 und die Gesamtzahl der einsatzbereit gehaltenen Sprengköpfe auf 1.550 zu begrenzen. Beide Mächte verfügen zusammen über mehr als 90 Prozent aller Nuklearsprengköpfe auf der Welt.
Keinen Fortschritt wird es dagegen beim Thema „Open Skies“ geben. Trump hatte das Abkommen über international reglementierte Beobachtungsflüge 2020 verlassen. Putin besiegelte den Austritt vor wenigen Tagen.
Weniger Fehleinschätzungen
Auf der Meta-Ebene, betonen Regierungsbeamte in Washington, sei die Begegnung auch ohne konkrete Beschlüsse schon deshalb sinnvoll, „weil die Top-Leute im direkten Austausch ihre Meinungsverschiedenheiten austragen können“. Was das Risiko von Fehleinschätzungen im Krisenfall reduziere.
Biden will laut Diplomaten im State Departement das „Trumpsche Appeasement“ gegenüber dem Kreml offiziell ad acta legen und durch sanktionsbewehrten Klartext ersetzen. Gleichzeitig sollen aber Spannungen abgebaut werden, die sich zuletzt im gegenseitigen Rauswerfen von Diplomaten ausdrückten.
Um von Putin nicht gefoppt oder kompromittiert zu werden, wird es keine gemeinsame Unterrichtung der Medien (wie bei Trump 2018 in Helsinki) geben. Sondern getrennte Pressekonferenzen. Motto: Jedem seinen eigenen Spin.
Härteres Vorgehen
Daheim wird Biden daran gemessen werden, wie seine Abkehr vom Kuschelkurs Trumps gegenüber Moskau in der Substanz aussieht. Republikaner wie Demokraten fordern beständig ein härteres Vorgehen und fühlen sich durch Bidens Worte bestätigt: „Moskaus aggressive Handlungen sind eine Bedrohung für unsere Sicherheit.“
Die entscheidende Frage, sagen Außenpolitiker, laute: Was passiert, wenn Moskau die von Biden abgesteckten „roten Linien“ überschreitet?
Der Gipfel aus Sicht Russlands
von Maxim Kiirev, Moskau
Es war fast ein kleines Theaterstück, das Wladimir Putin und Moskaus politische Elite in den vergangenen Wochen darboten. Freilich ist der Gipfel mit US-Präsident Joe Biden das politische Ereignis des Jahres für Putin. Das Umfeld des Präsidenten hat aber mit aller Kraft versucht, diesen Eindruck zu vermeiden.
An einen Durchbruch sei nicht zu denken, ließ Putins Sprecher mehrfach mitteilen, auch wenn der Gesprächsbedarf natürlich groß sei. Auch stellte Moskau klar, dass weder ein Abschlussdokument noch eine gemeinsame Pressekonferenz geplant sei. Die staatlichen Medien dokumentierten derweil, wie hoch ihre Kollegen in den USA das Treffen hängen.
„Moskau ist an einer Zusammenarbeit mit den USA interessiert, kann aber auch ohne“, fasst Alexander Lukin von der Moskauer Higher School of Economics die Botschaft aus Russland zusammen. Moskau wolle nicht zu interessiert wirken und keine Initiative zeigen.
„Killer“
Dabei war es Putin, der das Treffen mit Biden forcierte. Schon im März hatte er – nach Bidens Aussage, er halte Putin für einen Killer – eine Art Live-Debatte vorgeschlagen. Washington ignorierte das, Moskau ließ Zehntausende Soldaten an der Grenze zur Ukraine aufmarschieren.
Als Biden dann ein Treffen vorschlug, pfiff Verteidigungsminister Sergei Schoigu die Soldaten zurück.
Das Treffen ist ein politischer Erfolg für Putin. Die Botschaft an seine Untertanen ist klar: Russland ist keine isolierte, schwächelnde Macht, sondern ebenbürtiger Gesprächspartner der USA.
Für die konservative Mehrheit der Russen ist die Rivalität mit Amerika noch immer ein wichtiger Indikator für die Rolle des eigenen Landes in der Welt. Dieser Umstand ist aus Kreml-Sicht wichtiger als konkrete Inhalte des Gipfels.
Ins Abseits gedrängt
Für gute Stimmung sorgte Putin vor dem Treffen nicht. In Russland läuft eine beispiellose Repressionskampagne gegen die Opposition, die vor der Duma-Wahl im September so weit ins Abseits gedrängt werden soll wie möglich. Fadenscheinige Gerichtsverfahren treffen bereits Oppositionelle aus der zweiten und dritten Reihe.
Alexej Nawalny ist weggesperrt, seine Anhänger werden pauschal als Extremisten abgestempelt und sollen per Gesetz für Jahre von Wahlen ausgeschlossen werden.
Kundgebungen sind seit Monaten de facto verboten. Ein Szenario wie nach den Wahlen in Weißrussland, als Demonstranten die Staatsmacht in Bedrängnis brachten, soll mit allen Mitteln verhindert werden. Bidens Kritik daran ist Putin gewiss.
Imagepolitur
Dem Kremlchef ist neben der Imagepolitur im eigenen Land daran gelegen, etwas mehr Ordnung und Vorhersagbarkeit in die zwischenstaatlichen Beziehungen zu bringen. „Es ist nötig, die ungesunde und irrationale Stimmung zwischen den beiden Staaten zu beseitigen“, schrieb der Moskauer Außenpolitik-Experte Fjodor Lukjanow in der staatlichen Rossijskaja Gazeta.
Zuletzt balancierten die Beziehungen am Rande des Chaos. Im Frühjahr gelang es Moskau und Washington quasi in letzter Minute, den Vertrag zur Verringerung strategischer Waffen doch noch um fünf Jahre zu verlängern.
Der Open-Skies-Vertrag, der militärische Beobachtungsflüge erlaubt, konnte dagegen nicht gerettet werden. Jüngst drohten die USA, keine Visa mehr für Russen ausstellen zu können, weil die US-Botschaften kein russisches Personal in Russland beschäftigen dürfen.
„Rote Linien“
In Sachen Visa-Diplomatie und strategische Sicherheit könnte es beim Vier-Augen-Gespräch der Staatschefs Anknüpfungspunkte geben. Putin wird das Treffen auch nutzen, um über die „roten Linien“ der Außenpolitik zu sprechen.
Wiederholt hatte er den Westen – und allen voran die USA – gewarnt, sich in Weißrussland einzumischen und auf einen Sturz des autokratischen Präsidenten Alexander Lukaschenko hinzuarbeiten. Wenige Tage vor dem Gipfel betonte Putin erneut, dass ein Beitritt der Ukraine zur NATO für Moskau tabu ist und bleibt.
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