„Nächster Halt – die Hauptveranstaltung!“ So hatte der Pressebetreuer in der Air Force One die Reise des US-Präsidenten und seiner Entourage in Richtung Genf angekündigt. G7-Gipfel, NATO-Gipfel, das Treffen mit EU-Vertretern in Brüssel - alles nur Nebenschauplätze. Denn im Zentrum dieser ersten Auslandsreise Joe Bodens als US-Präsident ist das Treffen mit dem russischen Staatschef Wladimir Putin.
Für diesen war das Treffen bereits ein Erfolg, bevor es überhaupt begonnen hatte. „Allein, dass sich der US-Präsident neben ihn stellt, ist für Putin ein Sieg“, sagte der frühere US-Botschafter in Moskau, Michael McFaul. Er zeige damit, dass die Welt die Hand nach ihm ausstrecke.
Für Biden war vor allem wichtig, Härte zu zeigen. Er wollte seinem Gegenüber rote Linien darlegen, die es bei allen Differenzen nicht zu übertreten gelte.
"Face to Face"
In Begleitung ihrer Top-Diplomaten, den Außenministern Sergej Lawrow und Antony Blinken, und zweier Übersetzer begannen die beiden Präsidenten zu Mittag in der Villa La Grange am Genfersee ihr Treffen. In einer antiken Bibliothek nahmen sie Platz, die Russen auf der rechten, die Amerikaner auf der linken Seite. (In Protokoll-Sprache gilt daher Russland als "Host".) Die Masken nahmen sie ab.
"Es ist immer besser, sich persönlich zu treffen", sagte Biden freundlich am Anfang des Meetings. Ein Vier-Augen-Gespräch, nur Putin und Biden, war nicht geplant. In den folgenden Gesprächsrunden sollten sich weitere hochrangige Beamte dazugesellen. Mehrere Stunden wurden für die Gespräche veranschlagt.
Denn zu besprechen gab es eine Menge. Neben Corona und Wirtschaft stand die Bekämpfung von Cyberkriminialität ebenso auf der Agenda wie der Fall des inhaftierten, russischen Regimekritikers Alexej Nawalny, Putins Unterstützung des weißrussischen Machthabers Alexander Lukaschenko, die Ukraine und Syrien. Expertinnen erwarten, dass Putin und Biden neue Verhandlungen für eine atomare Abrüstung und für eine Kontrolle der Waffenarsenale anstoßen könnten.
"Am Tiefpunkt"
Die Kluft zwischen den beiden Großmächten ist groß. Die Stimmung zwischen den USA und Russland ist so kalt wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr. Putin bezeichnete die Beziehungen zuletzt als „am Tiefpunkt“, Biden gab ihm recht.
Insbesondere die Demokraten in Amerika haben ein Problem mit dem Kreml, nachdem sich dieser aktiv für Donald Trump eingesetzt hatte. Das Verhältnis der beiden Staaten ist nach dem Ost-Ukraine-Konflikt, der Krim-Annexion, nach Giftanschlägen in Großbritannien, durch Moskaus Rolle in Syrien, nach der Inhaftierung Nawalnys und der Lage in Belarus schwer beschädigt.
Die Hoffnungen, dass sich nach dem Gipfel am Mittwoch viel an diesem Zustand ändern werde, blieben gering. Die US-Diplomaten wissen: Bei Putin kann man schwer abschätzen, wie die Verhandlungen ausgehen werden.
An einen historischen Durchbruch sei nicht zu denken, machte Putins außenpolitischer Berater Yuri Ushakov schon im Vorfeld klar. Aber beide Seiten bemühten sich, die Bedeutung des Treffens angesichts der angespannten Beziehungen zu betonen.
Er rechne nicht damit, dass „plötzlich Harmonie ausbrechen könnte“, sagte Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz. Doch zumindest könnte eine Art bilateraler Dialog in Gang gesetzt“ werden. Ein Anfang wäre etwa die Wiederaufnahme der Tagungen des NATO-Russland-Rates – auch der lag seit Monaten auf Eis.
Putin bekam also seine Show, als relevanter Player wahrgenommen zu werden. Denn auch er weiß: Die USA sehen China langfristig als deutlich größere Bedrohung als Russland. Erklärtes Ziel der Amerikaner: Das Verhältnis zu Russland soll „vorhersehbarer“ werden. Wohl, weil man sich außenpolitisch auf China konzentrieren will.
Als Erfolg kann Biden es verbuchen, wenn er einen starken, staatsmännischen Auftritt hinlegen kann. Und wenn er Russland „rote Linien“ kommunizieren kann. Seine Forderungen: Russland soll die militärischen Provokationen einstellen – in der Ukraine aber auch in Lufträumen und Seegebieten in Europa. Die russische Regierung soll Menschenrechte respektieren und Geheimdienst-Attacken auf Kritiker unterbinden. Russland soll jede Einmischung in die Wahlen anderer Länder beenden und gegen die Hacking-Angriffe krimineller Banden vorgehen.
Umgekehrt sind für Putin rote Linien etwa die Einmischung Europas in Belarus oder der NATO-Beitritt der Ukraine.
Biden hatte Putin zuletzt als US-Vizepräsident vor zehn Jahren getroffen. Bei einer Begegnung in Moskau will der damalige US-Vizepräsident zu Wladimir Putin gesagt haben: „Ich schaue Ihnen in die Augen und ich glaube, dass Sie keine Seele haben.“ Daraufhin habe Putin lächelnd gesagt: „Wir verstehen einander.“
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