Militärexperte zu Wagner-Abzug: "Könnte auch eine Finte sein"

Militärexperte zu Wagner-Abzug: "Könnte auch eine Finte sein"
Die Erklärung Jewgeni Prigoschins aus Bachmut abzuziehen, lässt für Oberst Markus Reisner zwei Varianten offen.

Nach massiver Kritik an der russischen Führung veröffentlichte Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin eine Erklärung, in der er ankündigt, bis 10. Mai alle Wagner-Einheiten aus Bachmut abzuziehen: „Ich erkläre im Namen der Kämpfer der Wagner PMC, im Namen des Kommandos des Wagner PMC, dass wir am 10. Mai 2023 gezwungen sind die Stellungen in Bachmut an die Einheiten des Verteidigungsministeriums zu übergeben. Ich ziehe die Einheiten ab, weil sie ohne Munition zu einem sinnlosen Tod verdammt sind", schrieb er auf seinem Telegram-Kanal.

So kämpft die Wagner-Gruppe

Zuvor hatte er in einem Video, das er vor Dutzenden Leichen seiner Söldner aufgenommen hatte, mit wutverzerrtem Gesicht auf die russische Militärführung geschimpft – man leide unter einen Munitionsmangel von 70 bis 90 Prozent. Es gebe keine Unterstützung seitens des Verteidigungsministeriums.

Was ist von Prigoschins Erklärung zu halten?

Oberst Markus Reisner vom Österreichischen Bundesheer sieht die Sache skeptisch: „Die Wagner-Gruppe würde damit alle Erfolge und auch Opfer der vergangenen Monate aufgeben“, gibt er zu bedenken. „Schon jetzt sind sie eine Kampfgemeinschaft der Aussätzigen – ziehen sie tatsächlich aus Bachmut ab, kann man sich vorstellen, was innerhalb der Wagner-Gruppe los wäre“, sagt der international renommierte Ukraine-Experte.  

Zudem sei die Unterstützung der Wagner-Gruppe durch die russischen Streitkräfte durchaus gegeben: „Die 106. Luftlandedivision sichert seit einigen Wochen die Flanken der Wagner-Gruppe im Norden und Süden Bachmuts, gleichzeitig unterstützt die russische Luftwaffe den langsamen Vormarsch innerhalb der Stadt mit Bombardements – und auch der Mehrfachraketenwerfer TOS-1 ist in Bachmut im Einsatz. Er hat also durchaus Unterstützung“, sagt Reisner zum KURIER.

Bedrohung für die ukrainische Gegenoffensive: Die russischen FAB

Bezogen auf die Ankündigung Prigoschins, seine Söldner am 10. Mai abzuziehen sieht der Gardekommandant zwei Varianten:

Variante 1: Prigoschin zieht tatsächlich ab

„Sollte er tatsächlich sagen, dass es ihm reicht, dass Hunderte Tote am Tag zu viel sind und er sich tatsächlich nicht ausreichend unterstützt fühlt, dann kann das eine interessante Wende in diesem Konflikt werden. Zieht Wagner aus Bachmut ab und übergibt die Stellungen den regulären Streitkräften, könnten die ukrainischen Streitkräfte die Situation nützen und die Stadt wieder unter ihre Kontrolle bringen“, sagt Reisner.

Mit diesen Waffen soll die ukrainische Gegenoffensive gelingen

Die entsprechenden Änderungen im Frontverlauf und der symbolisch wichtige Sieg würden allerdings aus Sicht Reisners nichts am stattfindenden Abnützungskrieg ändern: „Bachmut liegt auf der zweiten ukrainischen Verteidigungslinie – man käme auf den Urzustand von vor vier bis fünf Monaten zurück.“ Seit der ukrainischen Gegenoffensive im Herbst vergangenen Jahres befestigen die russischen Streitkräfte ihre Stellungen massiv. Nicht nur an der Krim und an der Front bei Saporischschja, sondern auch entlang des Frontverlaufs im Osten.

Militärexperte zu Wagner-Abzug: "Könnte auch eine Finte sein"

Variante 2: Prigoschin baut Druck auf

Für wahrscheinlicher hält Reisner, dass der Wagner-Chef Druck auf seine innenpolitischen Gegner – wie etwa Verteidigungsminister Sergej Schoigu – aufbauen will. „Der Tag des Sieges am 9. Mai ist in Russland extrem symbolisch aufgeladen, es gab die Direktive, Bachmut bis zu diesem Tag vollständig einzunehmen“, sagt Reisner und weist darauf hin, dass der Durchbruch bei Popasna, der letztendlich die Einnahme der Städte Lessetschansk und Sjewerodonezk ermöglichte, am vergangenen 9. Mai in Moskau frenetisch gefeiert wurde.

Warum Bachmut noch nicht gefallen ist

„Wenn Prigoschin der ist, der er zu sein scheint – ein Mann, der über Leichen geht, um seinen Vorteil daraus zu schlagen – dann macht er hier seine Feinde dafür verantwortlich, dass er es trotz hoher Opfer nicht geschafft hat, das Ziel zu erfüllen“, sagt Reisner. Nach wie vor dürfte der Wagner-Chef gute Verbindungen zu Russlands Präsident Wladimir Putin haben – und diese auch nützen.

Reisner sieht Argumente, die für beide Varianten sprechen. Festlegen will er sich nicht: „Grundsätzlich ist Krieg immer reich an Überraschungen, an Ereignissen, die man nicht vorhersehen kann. All das könnte auch eine russische Finte sein“, sagt der Generalstabsoffizier.

 

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